In den Schweizer Apotheken herrscht vor den Sommerferien Hochbetrieb. Viele Menschen wollen sich vor der grossen Reise noch testen lassen, Medikamente besorgen oder die Reiseapotheke aufstocken.
Für viele Apotheken ist der Ansturm kaum mehr zu bewältigen. Nicht nur, weil auch sie vom Fachkräftemangel geplagt sind. Sondern auch, weil dem Personal selbst Ferien zusteht oder viele wegen der Corona-Welle krankheitshalber ausfallen.
Die ApoDoc-Apotheke an der Zürcher Hardbrücke sah sich deshalb gezwungen, den Betrieb von Mitte Juli bis Anfang August einzustellen. «Es tat mir im Herzen weh, die Apotheke zu schliessen», sagt Maria Hitziger, ApoDoc-Geschäftsführerin und Fachapothekerin, gegenüber watson. «Aber es ging einfach nicht mehr anders.»
Seit der Eröffnung 2015 führt Hitziger die ApoDoc-Apotheke. Betriebsferien habe es noch nie gegeben. «Ich habe nicht damit gerechnet, dass wir jemals temporär schliessen müssen.»
Die Personaldecke sei aktuell aber so dünn, dass der Betrieb über die Sommerferien nicht aufrechterhalten werden konnte. Es fehle sowohl an Apothekerinnen als auch an Pharma-Assistentinnen. «Bisher waren wir vier bis fünf Apothekerinnen im Betrieb. Aktuell sind wir nur noch zu zweit», sagt Hitziger. Auch die Anzahl Pharma-Assistentinnen habe sich halbiert.
Viele würden der Branche den Rücken kehren. Die Gründe seien vielfältig, sagt Hitziger. Der Job werde stressiger, wenn das Personal ohnehin schon knapp sei. «Seit der Pandemie gibt es immer wieder aggressive Kundschaft, die Öffnungszeiten sind lang und die Möglichkeit zum Home-Office gibt es nicht», so die Fachapothekerin. Das bewege vorrangig jüngere Mitarbeitende dazu, sich anderweitig umzuschauen.
ApoDoc ist nicht die einzige Apotheke, die gezwungenermassen schliessen muss. Auch die Apothekenbetreiberin Galenica meldet bei einigen der über 360 Apotheken von Amavita, Sun-Store- und Coop-Vitality-Betrieben temporäre Schliessungen.
«Leider mussten wir die Amavita-Apotheke im Zollikerberg temporär schliessen, weil einfach nicht genügend Mitarbeitende für einen regulären Betrieb zur Verfügung standen», so Clément. Auch der Sun Store Bienne Centre musste für einige Tage schliessen. Die Kundschaft sei über die Schliessungen informiert und an eine benachbarte Apotheke weiterverwiesen worden, heisst es bei Galenica.
Auch an der Zürcher Europaallee muss die TopPharm-Apotheke den Betrieb für eine Woche einstellen. «Nach zwei sehr intensiven Jahren und aufgrund personeller Ressourcen erlauben wir uns, eine kurze Erholungspause einzulegen», heisst es auf der Webseite.
Betriebsferien sind das eine. In wenigen Fällen mussten im Kanton Zürich Apotheken sogar ganz schliessen. «Das ist aber die absolute Ausnahme», so Steinmann, Geschäftsführer des Apothekerverbands des Kantons Zürich (AVKZ).
Dennoch ist nicht auszuschliessen, dass in Zukunft weitere Apotheken den Betrieb einstellen müssen. Das zeigen auch die Zahlen des Schweizerischen Apothekerverbands PharmaSuisse. 2010 kamen auf 100'000 Einwohnende 22 Apotheken. 2019 waren es noch 21. Der europäische Durchschnitt liegt bei 32 – viel höher also als hierzulande.
Während die Apothekenanzahl schrumpft, sind die Studiumsabschlüsse in Pharmazie relativ stabil. Viele zieht es nach Studiumsabschluss jedoch nicht in die Apotheke, sondern in die Industrie. Dort gibt es Bürozeiten, die Möglichkeit zum Home-Office und keine aggressive Kundschaft.
Was muss sich also ändern, dass Pharma-Studierende wieder in die Gesundheitsbranche zurückkehren? Genau das wollte der Schweizerische Apothekerverband PharmaSuisse von knapp 100 Studierenden wissen. Die Studierenden wünschen sich primär mehr Anerkennung und eine Gleichstellung mit Ärztinnen und Ärzten.
Bis sich der Beruf wieder mehr Anerkennung erkämpft hat, wird es noch einige Zeit dauern. Kurzfristig hilft das den betroffenen Apotheken nicht. Das Personal lässt sich nicht herbeizaubern.
Nach den Betriebsferien muss die ApoDoc-Apotheke an der Hardbrücke zusätzlich die Öffnungszeiten verkürzen. Geschäftsführerin Hitziger bedauert das: «Damit schränken wir den Service für die Kundschaft ein. Viele waren froh, dass wir auch nach 18 Uhr noch geöffnet hatten.» Sie hält nun weiterhin Ausschau nach geeignetem Personal – und hofft, dass sich die Situation bald wieder etwas entspannt.
Bezüglich des Mangels braucht es vielleicht einfach mal mehr bezahlbare Betreuungsangebote, damit die ausgebildeten Eltern evtl zu einem höheren Teil in die Arbeitswelt integriert werden können, anstatt dass sie aus finanziellen Überlegungen zu Hause bleiben müssen. Für die Wertschätzung wären deutliche Lohnanpassung fällig.
Aber das wären ja Lösungen und keine Problembewirtschaftungen, also politisch nicht so interessant.