Rund 150'000 Menschen leiden laut Schätzungen in der Schweiz an Demenz, Tendenz steigend. Manche von ihnen erhalten Antipsychotika, auch Neuroleptika genannt. In Pflegeheimen ist das bei rund der Hälfte der an Demenz erkrankten Bewohner und Bewohnerinnen der Fall. Das zeigt eine kürzlich publizierte Studie des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums Obsan.
Für die Studie wurden Daten aus Pflegeheimen ausgewertet. Das Resultat: 42 bis 50 Prozent der Personen ab 70 Jahren mit diagnostizierter Demenz oder Demenzverdacht, die in Pflegeheimen leben, erhalten Antipsychotika. Das ist bemerkenswert - und nährt einen alten Verdacht: dass Antipsychotika eingesetzt werden, um Menschen ruhig zu stellen.
«Die Ergebnisse zur Situation in Pflegeheimen werfen Fragen auf», schreiben Gabriela Bieri-Brüning, Ärztliche Direktorin Gesundheitszentren für das Alter der Stadt Zürich, und Rafael Meyer, Präsident der Swiss Memory Clinics, in der Einleitung zur Studie. Es gebe zum Einsatz von Psychopharmaka in der Demenzbehandlung kaum Studien zur Wirkung und ein hohes Nebenwirkungspotenzial.
Als schwerwiegende Nebenwirkungen nennt die Studie als Beispiele: Störungen im Bewegungsablauf, Sedierung, kardiale Symptome und die Gefahr von Stürzen. Eigentlich sollten Antipsychotika bei Menschen mit Demenz daher zurückhaltend eingesetzt werden. So lauten die aktuellen Empfehlungen.
Die Autoren der Studie äussern die Vermutung, dass diese noch nicht ausreichend berücksichtigt und «die Antipsychotika insbesondere wegen der sedierenden Wirkung eingesetzt werden». Sprich: zum Ruhigstellen. Die Autoren bleiben aber vorsichtig: Für eine korrekte Einschätzung der Situation wären Informationen zur Dauer der Behandlung und zur Dosierung erforderlich, halten sie fest.
Stefanie Becker ist Direktorin von Alzheimer Schweiz. Sie sagt: «Trotz gegenteiligen Empfehlungen werden Antipsychotika noch immer zu oft zur Beruhigung von Personen mit Demenz eingesetzt.» Becker spricht von «medikamentöser Freiheitsbeschränkung».
Gemäss den aktuellen Empfehlungen sollten Antipsychotika bei Verhaltensauffälligkeiten oder psychischen Symptomen der Demenz in erster Linie nicht-medikamentöse Therapien zum Zug kommen, beispielsweise Musik- und Bewegungstherapie. Nur wenn das nicht funktioniert, sollten Antipsychotika eingesetzt werden.
Denn diese haben eine ganze Reihe von Nachteilen. «Sie können schwerwiegende Nebenwirkungen auslösen, helfen nicht zwingend und schränken die Ausdrucksmöglichkeiten der Menschen ein», sagt Becker.
Antipsychotika hemmen die Aktivität bestimmter Nervenzellen im Gehirn. Sie werden unter anderem bei Schizophrenie und Wahnzuständen eingesetzt. Sie können zu Antriebslosigkeit und Schläfrigkeit führen. «Das schränkt die Lebensqualität und die Freiheit der eigenen Lebensgestaltung stark ein», sagt Becker. «Die Menschen erleben Emotionen - positive wie negative - weniger intensiv.»
Becker fordert daher: «Antipsychotika dürfen nur sparsam, zeitlich beschränkt und immer in der kleinstmöglichen Dosierung verabreicht werden.»
Angehörige und Pflegende wissen: Demenzkranke Menschen können anstrengend sein. Gerade wenn Pflegende in einem Heim wegen Personalmangels wenig Zeit haben, sind beruhigende Medikamente verständlicherweise willkommen.
Doch Becker sagt, mit einem guten Betreuungskonzept könne man bei gleichbleibendem Personalbestand den Einsatz der Medikamente senken. «Ein halbstündiger Spaziergang kann beispielsweise helfen, dass Personen mit Demenz ausgeglichener sind und besser schlafen.»
Das zeigt sich in Zürich. In den Gesundheitszentren für das Alter der Stadt Zürich konnte der Einsatz von Psychopharmaka bei Menschen mit Demenz auf 27 Prozent gesenkt werden, wie es auf Anfrage heisst. Das sei unter anderem dank der Umsetzung der sogenannten Demcare-Qualitätsparameter gelungen - den Empfehlungen für Langzeitinstitutionen.
Man achte darauf, wenn möglich nicht-medikamentöse Massnahmen zu ergreifen oder sonst Neuroleptika nur gemäss den Empfehlungen der Fachgesellschaft zu verabreichen. Ebenso ausschlaggebend seien gut geschulte Mitarbeitende und Fachpersonen. Zudem lebten die Bewohnenden mit Demenz in spezialisierten Wohnbereichen und bei den Gesundheitszentren für das Alter seien eigene Fachärzte als Heimärzte angestellt.
Der Branchenverband der Dienstleister für Menschen im Alter Curaviva erklärt zur Studie, er nehme das Problem ernst und wirke aktiv mit, die Situation zu optimieren.
Und was sagt das Bundesamt für Gesundheit? Es schliesse sich dem Befund an, «dass sich zu dieser Quote Fragen stellen, die näher angegangen werden müssen», erklärt ein Sprecher. Das BAG sehe grundsätzlich Bedarf, die Qualität in der Langzeitpflege zu stärken und damit auch die Begleitung, Betreuung, Pflege und Behandlung von Menschen mit Demenz zu verbessern. Dazu brauche es alle Akteure auf allen Ebenen.
Die Heim-Realität ist traurig.
Auf Pflege angewiesen sein, ist Elend.
Sorry, ist so.
Bürgerliche machen Sparpolitik bei der Pflege (nicht beim Altersheimbau und Medikamenten).
Es hat zu wenig Pflegende, die sind schlecht bezahlt, aber vor allem eben zu wenige. Ergo Stress, keine Zeit.
Da müssen die Alten halt ruhiggestellt werden, wenn die Pflege nicht finanziert werden will.
Natürlich nicht bei den Bürgerlichen selbst: Bonzen und Burger haben Luxusheime ohne solche Probleme.