Es ist eines jener Jubiläen, bei denen es eigentlich nichts zu feiern gibt. Am 7. Februar 1971 gewährten die männlichen Stimmbürger den Schweizer Frauen endlich das Stimm- und Wahlrecht, für das diese seit fast 100 Jahren gekämpft hatten. «Der späte Zeitpunkt der Einführung ist eher ein Grund zum Heulen», meint die Historikerin Elisabeth Joris.
Damals hatten fast alle demokratischen Staaten das Frauenstimmrecht längst eingeführt. Eine bemerkenswerte Ausnahme war das Fürstentum Liechtenstein, das erst 1984 folgte. Über die Gründe für die Rückständigkeit wird oft spekuliert. So blieb die Schweiz seit 1848 von Kriegen verschont, in denen Frauen automatisch mehr Verantwortung übernehmen müssen.
Ein erster Anlauf auf nationaler Ebene scheiterte 1959 mit zwei Dritteln Nein. Nur zwölf Jahre später war das Ergebnis genau umgekehrt. Dafür sorgte neben den Umwälzungen der 1960er Jahre das zunehmende Imageproblem. «Mit Staaten wie Saudi-Arabien verglichen zu werden, schmerzte in der Vorzeigedemokratie dann eben doch», sagt Elisabeth Joris.
Dennoch taten sich die Schweizer Männer auch in den folgenden 50 Jahren schwer mit der Gleichberechtigung der Frauen. Immer wieder gab es Rückschläge, und noch heute ist die Schweiz im internationalen Vergleich kein Vorbild in Sachen Gleichstellung.
In der Abstimmung 1959 sagten nur Genf, Neuenburg und Waadt Ja. Sie führten das Frauenstimmrecht kurz darauf auf kantonaler Ebene ein. Bis Ende 1972 folgten alle übrigen Kantone, mit zwei Ausnahmen. Die beiden Appenzell bockten noch jahrelang. Die Ausserrhoder konnten sich schliesslich an der Landsgemeinde 1989 zum Ja durchringen.
Die Innerrhoder Männer hingegen blieben stur. Auf den zunehmenden Druck von aussen reagierten sie nach dem Motto «Jetzt erst recht». An der Landsgemeinde 1990 ging das Frauenstimmrecht auch im dritten Anlauf im Verhältnis 3:2 bachab. Dabei hatte eine Innerrhoderin beim Bundesgericht bereits eine Stimmrechtsbeschwerde eingereicht.
Im gleichen Jahr entschieden die Lausanner Richter, dass die in der Bundesverfassung verankerte Gleichheit von Mann und Frau höher zu gewichten war als der kantonale Entscheid. Ihnen half, dass sich das Stimmrecht in der Kantonsverfassung auf die «Landleute» bezog. Manche Innerhoder aber haben das Verdikt bis heute nicht verdaut.
Der besagte Gleichstellungsartikel war im Juni 1981 mit 60,3 Prozent angenommen worden, zehn Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts. Er war ein direkter Gegenvorschlag zu einer 1975 – im «Jahr der Frau» der UNO – von Frauenverbänden lancierten Volksinitiative. Auch in diesem Fall gab es Widerstand vor allem von Männern.
Das «Komitee gegen Gleichmacherei» warnte vor einer Einmischung der Justiz etwa bei Lohnstreitigkeiten – ein Argument, das auch bei anderen Genderthemen noch oft zu hören war. Konkret tat sich lange wenig, weshalb es am 14. Juni 1991, exakt zehn Jahre nach Annahme des Gleichstellungsartikels, zum ersten nationalen Frauenstreik kam.
1996 trat schliesslich nach jahrelangem Tauziehen das Gleichstellungsgesetz in Kraft. Es verbietet jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Dazu gehört auch sexuelle Belästigung. Seither hat sich vieles getan, doch gerade beim schon 1975 zentralen Argument «gleicher Lohn für gleiche Arbeit» liegt bis heute noch vieles im Argen.
Sechs Jahre nach Annahme des Frauenstimmrechts wurde die Schwyzerin Elisabeth Blunschy (CVP) die erste Nationalratspräsidentin der Geschichte. Bis zur ersten Frau in der Landesregierung dauerte es noch eine Weile. 1982 nahm die SP einen ersten Anlauf, sie nominierte Lilian Uchtenhagen für die Nachfolge des «Büezer-Bundesrats» Willi Ritschard.
Bei den Bürgerlichen stiess die Zürcher Nationalrätin auf Ablehnung. Nach einer Schlammschlacht voller frauenfeindlicher Klischees (Uchtenhagen sei «zu wenig belastbar», hiess es etwa) wählten sie den Solothurner Otto Stich. Zwei Jahre später war es soweit: Die Schweiz hatte mit der Zürcher FDP-Nationalrätin Elisabeth Kopp ihre erste Bundesrätin.
Nach ihrem nicht ganz freiwilligen Rücktritt 1988 wurde der Bundesrat für fast fünf Jahre erneut zum reinen Männergremium. 1993 versuchte es die SP erneut, mit der Genferin Christiane Brunner. Erneut kam es zu einer vor Sexismus triefenden Schlammschlacht, und erneut wählten die Bürgerlichen einen Mann, den Neuenburger Francis Matthey.
Dieses Mal hielten die Frauen nicht still. Es kam zu landesweiten Protesten. Der Luzerner FDP-Nationalrat Karl Tschuppert gab in einem bemerkenswerten Fernsehinterview zu, dass ihm Frauen in der Politik Mühe bereiteten. Nach einer Woche Bedenkzeit verzichtete Matthey auf seine Wahl zugunsten der Gewerkschafterin Ruth Dreifuss.
Seither gab es nie mehr einen frauenlosen Bundesrat. Rückschläge blieben dennoch nicht aus. Als Christoph Blocher sich 2003 einen zweiten Sitz für die SVP erkämpfte, opferte die CVP nicht den Mann (Joseph Deiss), sondern die Frau (Ruth Metzler). Blocher wurde 2007 von Eveline Widmer-Schlumpf verdrängt, und 2010 gab es erstmals eine Frauenmehrheit im Bundesrat.
Holprig war auch der Weg zur zivilrechtlichen Gleichstellung. «Der Ehemann ist das Haupt der Gemeinschaft», hiess es bis in die 1980er Jahre im Eherecht. Gegen die überfällige Revision wurde das Referendum ergriffen. Angeführt wurde das Nein-Komitee von keinem geringeren als Christoph Blocher. In der NZZ räumte er den Revisionsbedarf ein.
Sein Nein begründete er mit der Furcht, das neue Gesetz mache «den Richter zum eigentlichen dritten Partner» im Ehebund. Einmal mehr wurden also juristische Gründe vorgeschoben. Blocher sprach sich auch dafür aus, die «grundsätzliche Unterhaltspflicht des Mannes» beizubehalten. Frauen sollten von ihren Männern finanziell abhängig bleiben.
Das Referendum war chancenlos, das neue Eherecht wurde 1988 angenommen. Unwürdig war das Gerangel um die Frage, ob Vergewaltigung in der Ehe strafbar sein soll. Es war offensichtlich, dass viele Männer um die «Verfügbarkeit» ihrer Ehefrauen fürchteten. Erst seit 1992 ist die Vergewaltigung in der Ehe strafbar, und erst seit 2004 ist sie ein Offizialdelikt.
Ein Trauerspiel entwickelte sich auch bei der Frage, ob die Frauen nach der Geburt einen (bezahlten) Mutterschaftsurlaub erhalten sollen. 1945 hatten die Männer dies mit der Annahme des Familienschutzartikels in der Bundesverfassung grundsätzlich befürwortet. Die gesetzliche Umsetzung aber liess Jahrzehnte auf sich warten.
1984 wurde eine Volksinitiative und 1987 ein Bundesgesetz nach einem jeweils emotionalen Abstimmungskampf deutlich abgelehnt. Erst 2005, genau 60 Jahre nach der Abstimmung über den Verfassungsartikel, trat ein Gesetz in Kraft, das den Frauen 80 Prozent ihres Lohnes während 14 Wochen garantierte, bezahlt aus der Erwerbsersatzordnung.
Andere europäische Länder waren schon damals weiter, und die Männer dürfen sich erst seit dem letzten September über einen Vaterschaftsurlaub von gerade mal zwei Wochen freuen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bleibt in der Schweiz eine Baustelle, wie es überhaupt bei der wirtschaftlichen Gleichstellung (Löhne, Chefposten) nach wie vor harzt.
Erst 2018 wurde eine Revision des Gleichstellungsgesetzes angenommen, die grosse Firmen (und nur diese) zu Lohnanalysen verpflichtet, und auch dies erst, nachdem die Ständeräte der CVP (heute Mitte) unter grossem Druck ihre Meinung geändert hatten. 50 Jahre nach dem Ja zum Frauenstimmrecht hat sich viel getan. Aber es muss sich noch einiges bewegen, vor allem in den Köpfen der Männer.
Die Tendenz geht aber in die falsche Richtung - auch hier: „Wie sich die Männer ... querlegten“. Wirklich? Ist ‚Männer‘ der beste Deskriptor, der zufinden war? Was ist mit all den Männern, die bei den entsprechenden Abstimmungen immer progressiv stimmten?Waren es nicht eher Traditionalisten oder Konservative wie ‚Männer‘, die sich querstellten?