Martin Bäumle: «Wir müssen kämpfen, uns wird nichts mehr geschenkt.» Bild: watson/rafaela roth
Parteien im Profil:
Die Grünliberalen punkteten mit Lifestyle-Ökologie – jetzt müssen sie das Kämpfen lernen
Wohlstand plus
saubere Umwelt – mit diesem verführerischen Mix haben die
Grünliberalen einen jahrelangen Höhenflug erlebt. Nun droht der
Partei am 18. Oktober eine harte Landung.
Martin Bäumle macht
sich keine Illusionen: «Dass das Wachstum nicht einfach so weiter
geht, war uns schon immer klar», sagte der Präsident der
Grünliberalen Partei der Schweiz (GLP) im Interview mit watson. Vor
vier Jahren hätten sie von Fukushima und der Neugründungs-Euphorie
profitiert. «Jetzt werden wir von der Konkurrenz ernst genommen.»
Für die
Grünliberalen wachsen die Bäum(l)e nicht mehr in den Himmel.
Nachdem es lange aufwärts gegangen war, mussten sie in
letzter Zeit einige herbe Rückschläge hinnehmen. Die meisten
Umfragen sagen ihnen bei den Wahlen am 18. Oktober Verluste voraus.
Einzig im neuen Combining-Modell von Claude Longchamp stehen sie auf
der Gewinnerseite, doch diesem Befund traut der Umfrage-Guru selber
nicht, wie er im Gespräch mit watson festhielt.
Martin Bäumle und der damalige BDP-Chef Hans Grunder feiern den Erfolg der «neuen Mitte» bei den Wahlen 2011. Bild: KEYSTONE
Höhepunkt für die
GLP waren die Wahlen 2011, als sie auch dank cleveren
Listenverbindungen zwölf Sitze im Nationalrat und zwei im Ständerat
erobern konnte. In den Kantonen legten die Grünliberalen seither
ebenfalls zu – bis zu diesem Jahr. Bei den Zürcher Wahlen im April
verloren sie 2,6 Wählerprozente und fünf ihrer zuvor 19 Sitze im
Kantonsrat. Auch in Luzern mussten sie Verluste verbuchen, in
Baselland konnten sie den Besitzstand knapp halten.
Grünliberal – das
ist in erster Linie eine schöne Verpackung. Sie suggeriert, das wir
unseren Lebensstil beibehalten und gleichzeitig die Umwelt schützen
können. Diese Lifestyle-Ökologie kommt an, besonders bei einer
besserverdienenden Klientel, die im Einfamilienhaus lebt, einen
Offroader besitzt, die Feiertage in Thailand verbringt und
zwischendurch zum Shopping nach New York fliegt, aber irgendwie doch ein
schlechtes Gewissen hat und deshalb GLP wählt.
Inhaltlich stimmen
die Grünliberalen bei ökologischen und gesellschaftlichen Themen in
der Regel mit der Linken. Gleichzeitig machen sie sich für eine
liberale Wirtschafts- und eine restriktive Finanzpolitik stark und
haben dabei auch schon die SVP rechts überholt, wie deren Exponenten
mit Verwunderung feststellen mussten. In diesem Punkt wird es
schwierig, denn neoliberal und nachhaltig passen in etwa so zusammen wie Cornichons und Erdbeerglacé.
Mit der Energiesteuerinitiative erlebten die Grünliberalen ein Waterloo. Bild: KEYSTONE
Prompt erlebten sie
mit der ersten Vorlage, mit der sie auf nationaler Ebene punkten
wollten, einen fürchterlichen Reinfall. Ihre Volksinitiative, mit
der sie die Mehrwert- durch eine Energiesteuer ersetzen wollten,
wurde im März vom Stimmvolk nicht abgelehnt, sondern mit 92
Prozent Nein massakriert. Die Kanterniederlage hat das Image der
Grünliberalen als lösungsorientierte Partei beschädigt. Sie wirke
demotivierend auf Basis und Wählerschaft, glaubt Claude Longchamp.
Bei den Zürcher Wahlen wanderte ein beträchtlichter Teil zur FDP
ab.
Für die «Lifestyle-Ökos» ist die Zeit der Bewährung gekommen. Sie müssen den Beweis erbringen, dass sie eine unentbehrliche Grösse in der Schweizer Parteienlandschaft sind.
Parteichef Bäumle
räumt ein, dass die Niederlage auch für ihn persönlich schlimm
gewesen sei: «Wir waren zu früh und wollten zu viel.» Sie ist
nicht das einzige Problem der Partei: Seit ihrer Abspaltung von den Grünen im Kanton Zürich 2004 wird sie
mit ihrem eloquenten Präsidenten und allenfalls
mit der Zürcher Ständerätin Verena Diener identifiziert.
Ansonsten fehlen die profilierten Köpfe. Ein Grund dafür mag sein, dass sie viele
Naturwissenschaftler in ihrem Reihen hat (Bäumle selber ist
Chemiker), die lieber Sach- statt Showpolitik betreiben.
Der Präsident gibt
einen Teil der Schuld daran den Medien: «Die Journalisten wollen
einfach immer mit dem Chef reden.» Gleichzeitig sagte er im
watson-Interview, er versuche seine Leute zu motivieren, «eine Idee
mal zu lancieren, auch wenn noch keine Doktorarbeit über sie verfasst
wurde». Womit er einen Hang zur Kopflastigkeit einräumte.
Dem Luzerner Nationalrat Roland Fischer ist es immerhin gelungen, einen gewissen Bekanntheitsgrad zu entwickeln, unter
anderem als Wortführer der bürgerlichen Gegner des Kampfjets Gripen.
Der Verein Politools lässt dich deine politischen Einstellungen auf der Wahlplattform Smartvote mit denjenigen der kandidierenden Politiker vergleichen. Es empfiehlt sich, nicht Kandidaten mit der grössten Übereinstimmung zu wählen, sondern solche mit grosser Übereinstimmung und intakten Wahlchancen.
Nun aber muss
Fischer um seinen Sitz bangen. Er ist nicht der Einzige: Als «König» der Listenverbindungen konnte Martin Bäumle
2011 in mehreren Kantonen Sitze im Nationalrat erobern. Das haben
nicht alle damaligen Partner goutiert. Zwar konnte Bäumle den
Schaden in Grenzen halten. So scheint es möglich, dass die
Grünliberalen ihre vier Zürcher Mandate verteidigen können. Jene in Graubünden und im Thurgau aber wackeln bedenklich.
Die beiden GLP-Ständeräte Verena Diener und Markus Stadler treten zurück. Bild: KEYSTONE
So gut wie
abschreiben muss die Partei ihre Doppelvertretung im Ständerat.
Verena Diener und der parteilose Urner Markus Stadler, der in der
GLP-Fraktion politisiert, treten zurück. In Zürich versucht Martin
Bäumle, den Sitz zu verteidigen. Doch gegen hochkarätige Konkurrenz (Jositsch, Noser, Vogt) ist der Dübendorfer
chancenlos. In der «Tages-Anzeiger»-Wahlumfrage liegt er sogar
hinter dem Grünen Bastien Girod.
Die Perspektiven für
grünliberal sind nicht rosig. Martin Bäumle ist sich dessen
bewusst: Er versuche seinen Leuten zu vermitteln, «dass wir jetzt
kämpfen müssen und uns nichts mehr geschenkt wird». Für die «Lifestyle-Ökos» ist die Zeit der Bewährung gekommen. Sie
müssen den Beweis erbringen, dass sie eine unentbehrliche Grösse in
der Schweizer Parteienlandschaft sind.
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die neue Vorlage für die Einführung eines elektronischen Identitätsnachweises steht. Der Ständerat hat die letzten Differenzen in den Gesetzesbestimmungen zur staatlichen E-ID und dem Kredit für die Einführung ausgeräumt. Die E-ID soll 2026 eingeführt werden.