In England ist die Hölle los. Nicht nur wegen der EM, wo die «Three Lions» im Wembley vor 60'000 ins Endspiel gestürmt sind.
Am 11. Juli steigt das Finale zwischen England und Italien. Auch dann werden drei Viertel des Stadions voll sein mit Fans und im ganzen Land wird gemeinsam Fussball geschaut, mitgefiebert und – falls England den Titel gewinnt – wohl die ganze Nacht wie wild gefeiert. Vermutlich ohne Abstand und Masken.
Am 19. Juli bedeutet der von Premierminister Boris Johnson ausgerufene «Freedom Day» dann das Ende aller Corona-Massnahmen. Alles Aussichten, die einer weiteren Verbreitung des Virus entgegenkommen.
Ob Johnson am «Freedom Day» festhält, bleibt abzuwarten. Schon im Juni wurde dieser um vier Wochen verschoben. Johnson meinte damals, dass das Impfprogramm nochmals beschleunigt werde und bis am 19. Juli mindestens zwei Drittel der Bevölkerung doppelt geimpft sein werden (siehe auch unten Punkt 4).
Aktuell regt sich gegen den Freedom Day Widerstand. In einem offenen Brief haben mehr als 100 Wissenschaftler und Mediziner die Corona-Öffnungspolitik der britischen Regierung als «gefährliches und skrupelloses Experiment» kritisiert.
Wir blicken zehn Tage vor dem möglichen «Freedom Day» auf den aktuellen Stand in Grossbritannien.
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In Grossbritannien zeigen die Neuinfektionen seit Ende Juni steil nach oben. Klar: Durch den Impffortschritt haben die Infektionszahlen weiter an Gewicht verloren. Die Verbreitung des Virus zeigen sie allerdings gut auf.
Im 7-Tagesschnitt liegen die Neuinfektionen in Grossbritannien aktuell so hoch wie seit Ende Januar nicht mehr und sie dürften weiter ansteigen.
Am Mittwoch wurden 32'548 neue Fälle innert 24 Stunden gemeldet. Erstmals seit dem 24. Januar wieder über 30'000.
Hauptgrund für den Anstieg in Grossbritannien ist die Delta-Variante. Sie brauchte drei Monate, um sich zu über 97 Prozent zu verbreiten und hat alle anderen Varianten praktisch komplett verdrängt.
In der Schweiz ist die Entwicklung rund einen Monat verzögert. Allerdings verbreitete sich die Deltavariante in Grossbritannien schneller. Machte sie am 3. Mai noch rund 9 Prozent aus, waren es in Grossbritannien zwei Wochen später schon 33 Prozent. In der Schweiz dauerte es nach der 10-prozentigen Verbreitung am 14. Juni zwei Wochen, bis sie 20 Prozent Anteile erreichte. Zu erwarten ist aber trotzdem, dass die Delta-Variante auch hier dominant wird.
Wie erwähnt: Steigende Neuinfektionen sollten mit dem Impffortschritt keine Panik mehr auslösen. Entscheidender sind Hospitalisationen. In Grossbritannien nehmen diese momentan stark zu. Gegenüber der Vorwoche gab es eine Zunahme von 70 Prozent.
Mit der aktuellsten Meldung vom Dienstag (6.7.) wurden 458 Personen aufgrund einer Corona-Erkrankung hospitalisiert. Das sind im Vergleich zum Höchststand rund 10-mal weniger. Am 12. Januar 2021 wurden an einem Tag 4134 neue Hospitalisationen gemeldet. Sorgen bereitet hier also nicht die absolute Zahl, sondern die starke Zunahme.
Um die Situation zu verdeutlichen, haben wir die Kurven der Neuinfektionen und Hospitalisationen übereinander gelegt. Weil die absoluten Zahlen visuell kaum zu vergleichen sind, wurde für die beiden Kurven eine unterschiedliche Skala gewählt (Hospitalisationen absolut, Neuinfektionen pro Million Einwohner).
Wie man sieht, lagen die Hospitalisationen in der zweiten und dritten Welle deutlich über den Neuinfektionen. Aktuell steigen sie aber nicht mehr gleich proportional zu den Fallzahlen. Das deutet darauf hin, dass die Impfung wirkt. Wie sich die Zahlen entwickeln, ist momentan nicht vorauszusagen.
Hier zeichnet sich ein ähnliches Bild wie bei den Hospitalisationen: Die Todesfälle nahmen zuletzt zu und waren im 7-Tagesschnitt am 7. Juli bei 23. Das sind zwar knapp doppelt so viele wie 14 Tage zuvor, von den über 1200 täglich verstorbenen Covid-Patienten im Januar ist man noch weit entfernt.
Die Impfungen sollen der Schlüssel zu den weitgehenden Öffnungen sein. Boris Johnson erklärte im Juni – als er den «Freedom Day» um vier Wochen nach hinten schieben musste –, dass er das Impfprogramm nochmals beschleunigen wolle und bis am 19. Juli zwei Drittel der Bevölkerung zweimal geimpft sein sollen.
Nun, beschleunigt wurde das Impftempo seit der Ankündigung nicht wirklich. Aktuell sind rund 68 Prozent der Briten mindestens einmal gegen das Coronavirus geimpft, die Impfkurve wurde in den letzten Tagen aber eher flacher.
Auch von der Hoffnung, dass bis am 19. Juli zwei Drittel doppelt geimpft sind, wird sich Johnson verabschieden müssen. Aktuell sind es in Grossbritannien knapp über 50 Prozent.
Auch wegen der EM 2020 und der erfolgreichen Engländer ist anzunehmen, dass sich die Fallzahlen in den nächsten Wochen weiter nach oben entwickeln. Die Delta-Variante hat sich verbreitet und wird auch unter Geimpften weitergegeben.
Kürzlich erklärte Boris Johnson, dass man «den Zusammenhang zwischen Neuinfektionen und schweren Verläufen trennen» konnte. Allerdings schwächte der leitende wissenschaftliche Berater der Regierung, Sir Patrick Vallance diese Aussage am Montag ab: «Wir haben den Zusammenhang geschwächt. Er ist kleiner, aber er ist noch da.»
Am Donnerstag lagen 2209 Personen wegen Covid-19 im Spital. Bevor am Mittwoch die 2000-Marke übertroffen wurde, lagen letztes Mal im April über 2000 Corona-Patienten in englischen Spitälern. Auch hier nimmt die Belegung aktuell wieder zu. Von den Höchstständen im Januar dieses Jahres mit über 30'000 gleichzeitigen Covid-Patienten ist man aber noch weit entfernt.
Wichtig zu wissen: Gemäss aktuellen britischen Studie schützen die Impfstoffe von Moderna und Biontech/Pfizer nach der zweiten Impfung ebenso vor schweren Verläufen der Delta-Variante wie von der Alpha-Variante. Bei einer Impfung mit Astrazeneca – welche in Grossbritannien oft verwendet wurde – ist der Schutz aber bei «wenig bis gar nicht». Eine zweite Impfung mit dem gleichen Wirkstoff schützt danach ähnlich hoch gegen Delta wie gegen die anderen Varianten. Das deutsche RKI empfiehlt deshalb nach einer Erstimpfung mit einer Dosis Astrazeneca eine die Zweitimpfung mit Moderna oder Biontech/Pfizer.
Man muss sich einfach schon fragen: Wenn man jetzt nicht, wann dann?
Offenbar wollen sich viele hier in der Schweiz nicht impfen - dann sollen sie sich halt natürlich immunisieren. Besser heute als morgen, dann gehts schneller vorbei...
Die vollständige Aufhebung sämtlicher Massnahmen unterstütze ich hingegen ganz und gar nicht. Wo ist das Problem, wenn man im Laden oder ÖV eine Maske tragen soll?