Die Schweiz kann Trump beim Zoll-Deal austricksen – und er muss es hinnehmen
Die SVP, die Partei von Wirtschaftsminister Guy Parmelin, jubelte noch bevor die Absichtserklärung publik wurde (das Timing war eine Panne), einzelne Exponenten bezeichneten die Lösung als «fantastisch» und «grossartig». Auch SP und Grüne hatten ihr Urteil sehr rasch gefällt, bald machte der Totschlagbegriff «Unterwerfung» die Runde.
Blitz-Urteile gehören im Zeitalter von Social Media zum Politgeschäft. Oft liegen sie daneben. Inzwischen hat sich manche Frage geklärt – auch weil Guy Parmelin im Interview in dieser Zeitung einiges zurechtrückte. Zudem erscheint die Dimension einzelner Zugeständnisse bei näherer Betrachtung kleiner als zunächst vermutet.
Ein Beispiel: Die viel zitierten 3000 Tonnen Fleisch, welche die Schweiz aus den USA importieren müsste, machen gerade einmal 0,7 Prozent des gesamten inländischen Fleischkonsums aus. Dass der Bauernverband trotzdem sofort Alarm schlägt, gehört ebenfalls zum Politgeschäft.
Der Erfolg geht beinahe unter
Vor lauter Bisonfleisch, Chlorhühnern und Cybertrucks ist das Wesentliche fast untergegangen: Der Zollsatz für Exporte in die USA, die grösste Volkswirtschaft der Welt, wird schon bald von 39 auf 15 Prozent sinken. Wie wichtig das ist, zeigen die jüngsten Wirtschaftszahlen.
Das Bruttoinlandprodukt, also der Wert aller Güter und Dienstleistungen, ist im dritten Quartal um 0,5 Prozent geschrumpft. Die Schweiz hat einen solchen Rückgang seit der Corona-Pandemie nicht mehr erlebt. Das liegt nicht nur, aber auch an den Zöllen. Würden diese länger bestehen bleiben, bedeutete das Arbeitsplatzverluste, tiefere Steuereinnahmen, und die Aussichten auf Lohnerhöhungen würden sich verdüstern.
Dieses Szenario abzuwenden war jede Anstrengung wert. Das Resultat hat einen Preis. Dieser ist hoch. Doch bezahlt wird er primär von privaten Unternehmen. Das ist das Hauptzugeständnis: 200 Milliarden Dollar werden Roche, Novartis und auch kleinere Firmen wie Stadler oder Pilatus in Amerika investieren.
Wenig deutet darauf hin, dass diese Investitionen zum Nachteil des Wirtschaftsstandortes Schweiz erfolgen. Diese Ausgaben haben die Firmen schon vorher geplant, vielleicht wurden sie taktisch noch etwas aufgerundet. Das darf niemand offiziell sagen; genau überprüfen lassen sich die Investitionsvorhaben ohnehin nicht. Ein bisschen Bluffen gehört dazu, wenn man es mit Donald Trump zu tun hat. Das begriff die EU mit ihrem 600-Milliarden-Versprechen früher als die Schweiz.
Schlechter gestellt als Grossbritannien
Trotzdem: «Fantastisch» ist das nicht. Es sind Zugeständnisse, die in einer Marktwirtschaft nichts verloren haben. Und «grossartig» ist ebenso wenig, dass der Schweiz noch immer 15 Prozent Zoll abverlangt wird. Das ist viel – mehr als davor und auch mehr als die 10 Prozent, welche das links regierte Grossbritannien als Nicht-EU-Mitglied abliefern muss.
Von «Unterwerfung» ist die Schweiz aber ebenfalls weit entfernt. Erstens wird der Bundesrat den Deal nicht per Verordnung durchpeitschen können wie Trump in den USA. Das Parlament – und bei einem Referendum auch das Volk – werden abstimmen können.
Zweitens erweisen sich viele Mutmassungen, wo die Schweiz überall habe nachgeben müssen, als übertrieben. Fünfmal «falsch» sagte Parmelin im Interview, und darauf sollte man ihn behaften: Falsch sei etwa, dass die Schweiz amerikanische Sanktionen übernehmen müsse; dass der Tesla-Cybertruck bald hier fahren dürfe; dass Chlorhühner voraussetzungslos importiert werden müssten.
Ambivalenz hat in der polarisierten Politik kaum mehr Platz. Aber sie zeichnet die Absichtserklärung aus. Diese ist eine pragmatische Lösung, viel mehr war wohl nicht herauszuholen. Und nachdem sich die Schweiz ein klein bisschen das Bluffen angeeignet hat, kommt nun ihre ureigene Stärke zum Tragen. Die politischen Mühlen mahlen langsam. Die Zölle sinken schon in wenigen Tagen, aber bis der Deal in Recht gegossen wird, dauert es Monate. Somit kann Trump ausgetrickst werden, dank der direkten Demokratie.
Es ist möglich, dass das oberste Gericht in den USA die Zölle für nicht rechtens erklärt. Das wäre der beste «Deal», nicht nur für die Schweiz. Sollte es soweit kommen, werden wir froh sein, noch keine verbindlichen Zugeständnisse gemacht zu haben. (aargauerzeitung.ch)
