Sonia Seneviratne, wir erleben einen Sommer der Wetterextreme. Sind die extreme Hitze und Nässe nur Einzelereignisse oder ein Zeichen des Klimawandels?
Sonia Seneviratne: Diese Wetterextreme passen sehr gut zu den Schlussfolgerungen im neuen IPCC-Bericht. Wir sehen aus den wissenschaftlichen Beobachtungen, dass es eine Tendenz gibt zu einer Zunahme von Hitzewellen, so wie man das schon im Juni in Kanada gesehen hat. Und die Klimabeobachtungen und Modellierungen zeigen auch die Zunahme von Starkniederschlägen in West- und Zentraleuropa, wie wir sie gerade erleben.
Und in Zukunft?
Die Projektionen zeigen, dass es bei einer Erwärmung um 2 Grad Celsius eine weitere Zunahme von Starkniederschlägen geben wird. Ereignisse, die noch schlimmer sind als die aktuellen diesen Sommer.
Zu erwarten sind vermehrt Starkniederschläge, aber auch Dürren. Wie passt das zusammen?
Zu beiden Wetterextremen führt der gleiche physikalische Prozess. Wenn die Luft wärmer ist, kann sie mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Ist die Luft gesättigt, gibt es mehr Wasser und intensiveren Niederschlag. Umgekehrt führt die Wärme auch zu mehr Verdunstung, weshalb die Böden schneller austrocknen. Je nach Region gibt es deshalb entweder zu viel oder zu wenig Feuchtigkeit.
Gemäss dem neusten IPCC-Sachstandsbericht gibt es in West- und Zentraleuropa und somit in der Schweiz vermehrt Wetterextreme. Warum genau bei uns?
Eine wichtige Botschaft des IPCC-Berichts ist, dass alle Weltregionen betroffen sind von zumindest einer gewichtigen Klimaveränderung. Erwärmt sich die Erde um 2 Grad Celsius, gibt es pro Region zumindest zwei Veränderungen. In Zentraleuropa gibt es dabei besonders viele Klimafolgen.
Die Tendenz zeigt zum einen mehr Starkniederschläge in Nordeuropa und in Mitteleuropa und zum anderen Trockenheit in Südeuropa. In der Mitte Europas sind wir von beiden Tendenzen betroffen. Hitzewellen werden in allen Regionen vermehrt vorkommen. In der Schweiz erleben wir zudem noch zusätzliche Auswirkungen des Klimawandels wegen der Alpen, in denen der Permafrost und die Gletscher schmelzen sowie der Schnee weniger wird.
Im Bericht wird mit fünf verschiedenen Szenarien gerechnet, die unter anderem abhängig von unserem CO2-Ausstoss sind. Das beste Szenario rechnet wie im Pariser Abkommen mit Netto Null 2050. Was bedeutet das?
Wenn wir es schaffen auf dem tiefsten Szenario zu verbleiben, könnten wir die Erwärmung bei 1.6 Grad begrenzen bis 2050. Das ist zwar das beste Szenario, trotzdem zeigt das eine weitere Erwärmung gegenüber heute. Das bedeutet, dass die Wetterextreme 2050 noch schlimmer sind als zurzeit. Also mehr Starkniederschläge und Dürren. Noch weit schlimmer wird es aber, wenn wir nicht einmal diese 1.6 Grad erreichen. Das ist eine Kernbotschaft des Berichts: Jegliche Zunahme der Erwärmung führt zu mehr Auswirkungen, die Klimaextreme sind direkt abhängig von der globalen Temperaturerhöhung. Jeder Zehntelgrad, den wir vermeiden, reduziert eine weitere Zunahme von durchschnittlichen Veränderungen im Klimasystem wie auch der Extreme.
Im Bericht wird der menschliche Einfluss herausgestrichen.
Im neuen Bericht gibt es gegenüber dem letzten aus dem Jahr 2013 viel mehr Erkenntnisse dazu, dass der menschliche Einfluss sogar schon bei Einzelereignissen gross war. Zum Beispiel auch bei der extremen Hitze diesen Sommer in Kanada. Nicht nur die Häufung von Extremen ist auf menschlichen Einfluss zurückzuführen, sondern auch Einzelereignisse.
Was geschieht, wenn wir nicht mehr tun als heute schon?
Im Moment sind wir auf dem Pfad zu 3 Grad Erwärmung. Das ist deutlich ausserhalb des Pariser Abkommens von 1.5 Grad mit den genannten Folgen.
Was bedeuten die schlechteren Szenarien?
Schon eine Erwärmung von 2 Grad wäre ein sehr schlechtes Szenario, weil die Klimaextreme dann ausgeprägter wären. Das hat massive Auswirkungen bei den Klimaschäden, wie man diesen Sommer gesehen hat. In Südeuropa sind Menschen wegen der Hitze gestorben.
Gewisse Veränderungen sind bereits für viele Jahre unumkehrbar wie zum Beispiel der Gletscher-Rückgang.
Die Erderwärmung ist für mehrere Jahrzehnte irreversibel. Auch wenn wir ab heute gar keine Treibhausgasemissionen hätten, würde die CO2-Konzentration in der Atmosphäre nur leicht abnehmen, und das über lange Zeit. Die Situation wird somit im Moment so bleiben, wie sie ist. Aber mit raschem Handeln erreichen wir, dass es nicht noch viel schlimmer wird. Es geht darum, Schlimmeres zu vermeiden.
Sehen Sie dafür eine gesellschaftliche Bereitschaft? Die CO2-Abstimmung im Juni hat das nicht gezeigt.
Diese Abstimmung ist sehr knapp ausgefallen und man kann sich fragen, wie sie geendet hätte, wenn sie nach diesem extremen Sommer stattgefunden hätte. Das Hauptproblem in der Schweiz sind die CO2-Emissionen, die mit dem Verbrennen von fossilen Treibstoffen entstehen. Es geht somit vor allem darum, auf Erdöl zu verzichten. Und dafür gibt es Alternativen beim Heizen und bei der Mobilität. Dafür müssen wir aber unsere Gewohnheiten ändern.
Was ist zu tun?
Die Wissenschaft hat ihre Aufgaben gemacht, der Ball liegt jetzt bei der Politik. Die wissenschaftliche Lage ist mit diesem IPCC-Bericht klar und deutlich. (saw/ch media)