Herr Dummermuth, heute wurden die Unterschriften für das Referendum zum Sozialdetektive-Gesetz eingereicht. Nun hat das Stimmvolk im November das letzte Wort. Ärgert sie das?
Andreas Dummermuth: Das ist doch der Charme der Schweiz, dass sich die Bevölkerung zu wichtigen Themen an der Urne äussern kann.
Schauen Sie der Abstimmung mit Angst entgegen?
Schauen Sie, ich sage immer: Wie man sich bettet, so liegt man. Wenn die Bevölkerung Sozialversicherungen haben will, die auf einem Auge blind sind, dann muss ich das so akzeptieren.
Eine Recherche der SRF-Sendung 10 vor 10 hat gezeigt, dass die Hälfte aller bisher bekannten Überwachungen unbegründet waren. Wird dabei nicht die Privatsphäre der Menschen aufs Gröbste verletzt?
Die Observationen finden ausschliesslich im öffentlichen Bereich statt. Das ist kein Eingriff in die Privatsphäre einer Person. Es geht hier um Fairplay gegenüber denn Menschen mit Behinderungen und den Steuerzahlern. Wenn jemand IV-Gelder bezieht, weil er über Lungenprobleme klagt, wir ihn dann aber beim Rauchen auf dem Balkon oder beim Joggen im Wald sehen, dann stimmt einfach etwas nicht.
Versicherungsmissbrauch muss bekämpft werden. Da ist sich die Politik von links bis rechts einig. Aber braucht es dafür Ton- und Videoaufnahmen oder GPS-Tracking?
Ich sage es noch einmal: Ohne Videobeweis sind wir auf einem Auge blind. Schauen Sie sich doch die Fussballweltmeisterschaft an. Die Schiedsrichter arbeiten neu auch mit Videobeweis und haben die Möglichkeit, alles noch einmal im Time-Out genau anzusehen.
Das Strafrecht kennt den Tatbestand des unrechtmässigen Bezugs von Sozialleistungen. Wenn es einen konkreten Verdacht gibt, kann die Sache der Polizei übergeben werden. Reicht das nicht? Müssen nun auch Privatdetektive die Aufgaben der Polizei übernehmen?
Erstens ist die Bekämpfung von Versicherungsmissbrauch Pflicht für jede Versicherung. Zweitens übernehmen die Sozialdetektive keineswegs die Aufgaben der Polizei. Auch die Behauptung, dass sie mehr Kompetenzen als die Polizei erhalten ist kreuzfalsch. IV-Detektive machen lediglich Observationen im öffentlichen Raum. Sie dürfen z.B. weder Telefone, noch Post noch den Mailverkehr einer Person überwachen – im Gegensatz zur Polizei.
Versicherungen dürfen mit dem neuen Gesetz ohne richterliche Genehmigung Ton- und Videoaufnahmen bei konkreten Anhaltspunkten in Auftrag geben. Bedeutet das, dass mein Nachbar mich anschwärzen kann?
Hinweise auf Versicherungsmissbrauch kommen immer wieder aus der Bevölkerung. Wenn eine Person IV-Gelder bezieht aufgrund von Rückenschmerzen, dann aber den ganzen Garten umgräbt und das ein Nachbar sieht, gehen wir dem nach. Es gibt aber auch weitere Verhalten, die nicht üblich sind und auf einen Missbrauch hinweisen.
Zum Beispiel?
Bei häufigen Arzt- oder Arbeitswechsel oder häufig wechselnde Rechtsvertretung werden wir hellhörig. Auch bei diffusen Gesundheitsproblemen oder wenn verschiedene Ärzte unterschiedliche Aussagen zu einem Versicherten machen, schauen wir genauer hin.
Lohnen sich Observationen finanziell überhaupt? Wie viel kann damit tatsächlich an Versicherungsgelder eingespart werden?
2016 haben wir mit der Bekämpfung gegen Versicherungsmissbrauch bei der IV 178 Millionen eingespart. Die Observationen haben 1,3 Millionen Franken gekostet.
Schmerzen sind immer subjektiv. Wie können Sie sichergehen, dass eine Person, die über Rückenschmerzen klagt, sich aber dennoch sportlich betätigt, tatsächlich unrechtmässig Versicherungsgelder bezieht?
Es gibt leider keine wissenschaftlich oder medizinisch genaue Schmerzmessung. Die Einschätzung, was eine Person tun kann und was nicht, liegt ohne Observation momentan allein bei den Ärzten. Eine Videoaufzeichnung des tatsächlichen Verhaltens im öffentlichen Raum würde Klarheit bringen. Denn dann könnten wir das Videomaterial den Ärzten zeigen. Dann wird das Verhalten der Person mit der medizinischen Beeinträchtigung verglichen – und wir müssen dann zwischen Sein und Schein entscheiden. Es kann ja kaum sein, dass eine Person mit schweren Depressionen laufend mit dem Auto unterwegs ist. Das würde heissen, dass sie die verschriebenen Medikamente nicht zu sich nimmt. Da müssen wir doch hinschauen können.
Plagt Sie nie ein schlechtes Gewissen, wenn Sie erfahren, dass eine Person zu Unrecht beschattet wurde?
Als Leiter einer IV-Stelle habe ich bei der Bekämpfung des Versicherungsmissbrauchs kein schlechtes Gewissen. Die IV ist ein 9-Milliarden Geschäft, das öffentlich finanziert wird. Meine Aufgabe ist es, im Kanton Schwyz die Ansprüche zu überprüfen. Ich muss schauen, dass die Gelder der Steuer- und Prämienzahler fair und gerecht verwendet werden. Versicherungsmissbrauch schadet Menschen mit Behinderungen. Wir müssen die Missbrauchsfälle herausfiltern und dafür brauchen wir ein geeignetes Arbeitsinstrument. Das neue Gesetz ist die Grundlage dafür.