Herr Comte, sind Sie ein Feminist?
Raphaël Comte: Ich will in einer Gesellschaft leben, in der Mann und Frau gleichgestellt sind. Und wo dies noch nicht der Fall ist, bin ich bereit, dafür zu kämpfen. Wenn man mich deshalb als Feminist bezeichnen will, von mir aus. Ich selber benutze den Begriff eher nicht.
Sie haben als Bürgerlicher das Kunststück vollbracht, eine Geschlechterklausel für den Bundesrat durch den Ständerat zu bringen, der zu 85 Prozent aus Männern besteht. Wie haben Sie das geschafft?
Ich glaube, mein Vorschlag war einfach ziemlich vernünftig (lacht). Es ging mir nicht darum, Quoten in die Verfassung zu schreiben. Sondern nur um das Prinzip, dass beide Geschlechter in Bundesbehörden angemessen vertreten sein sollen. In einer modernen Gesellschaft ist es für mich eine moralische Pflicht, Bundesräte zu wählen, die unsere Bevölkerung repräsentieren. Offensichtlich konnte ich meine Kollegen im Ständerat davon überzeugen.
Glauben Sie, dass der Ständerat anders entschieden hätte, wenn die Forderung von einer linken Frau gekommen wäre?
Nein, das würde ich nicht sagen. In der politischen Debatte steht die Sache im Vordergrund, nicht der Absender einer Forderung.
Hand aufs Herz: Solche Entscheidungen werden nie im luftleeren Raum gefällt. Die bürgerlichen Männer bekamen vor zwei Wochen ziemlich aufs Dach, nachdem sie die Lohngleichheits-Vorlage zurückgewiesen hatten. Gehen Sie nicht davon aus, dass dies beim einen oder anderen zu einem Umdenken geführt hat?
Ich sehe nicht in den Kopf meiner Kollegen, das müssen Sie die betreffenden Politiker selber fragen. Grundsätzlich handelt es sich um zwei separate Forderungen, die nichts miteinander zu tun haben. Aber natürlich ist es nicht auszuschliessen, dass die unwirschen Reaktionen den einen oder anderen Kollegen aufgerüttelt haben.
Sie zitierten im Rat die französische Feministin Françoise Giroud: «Die Frau wird dem Mann an dem Tag wirklich gleichgestellt sein, an dem man einen wichtigen Posten mit einer inkompetenten Frau besetzt.» Was meinen Sie damit?
Über die Schwächen männlicher Kandidaten sieht man oft grosszügig hinweg. Wir sind es uns gewohnt, dass mittelkompetente Männer Wahlen gewinnen. Gleichzeitig werden kompetente Frauen oft nicht gewählt, weil gerade irgendein Detail nicht stimmt. Es heisst dann, die Kandidatin sei aus dem falschen Kanton oder das Timing einfach gerade ganz schlecht. Natürlich will ich keine unfähige Frau im Bundesrat. Die Messlatte sollte bei den weiblichen Kandidatinnen einfach nicht höher sein als bei den männlichen.
Ihr Parteikollege Christian Wasserfallen schien sich nicht sonderlich über Ihren Triumph zu freuen. Frauenquoten seien falsch, egal ob im Bundesrat oder in der Wirtschaft, twitterte er – versehen mit einem schnaubenden Emoji. Haben Sie sich in den eigenen Reihen unbeliebt gemacht?
Wie bereits ausgeführt, geht es mir ja gerade nicht um eine starre Frauenquote. Wer so argumentiert, hat den Text meiner Initiative nicht richtig gelesen. Ich werde also noch einiges an Aufklärungsarbeit leisten müssen, bevor mein Vorstoss in den Nationalrat kommt. Ich bin aber zuversichtlich – gerade weil mich gestern sehr viele Gratulationen aus allen politischen Lagern erreicht haben.
Frauenquoten sind falsch, egal ob im #Bundesrat oder in der Wirtschaft. Punkt 😤
— Christian Wasserfallen (@cwasi) 14. März 2018
Die Gegner argumentieren, die Landesgegenden und Sprachregionen müssten im Bundesrat angemessen vertreten sein – sie seien für den Zusammenhalt des Bundesstaats zentral. Eine Geschlechterklausel gehöre hingegen nicht in die Verfassung, weil es sich um eine rein «gesellschaftspolitische Forderung» handle. Was erwidern Sie?
Ich würde das eine nicht gegen das andere ausspielen. Als der Bundesstaat 1848 gegründet wurde, stellte sich die Geschlechterfrage natürlich noch nicht, weil die Frauen damals noch nicht wählen durften. Damals dachte man vor allem an den Föderalismus, wenn es darum ging, alle wichtigen Kräfte einzubinden. Dieser ist weiterhin sehr wichtig für unsere Identität. Wenn wir heute darüber sprechen, dass der Bundesrat die Bevölkerung angemessen repräsentieren soll, dann dürfen wir aber auch die Frauen, die mehr als die Hälfte der Wähler ausmachen, nicht einfach ausklammern.
Sie sagten eingangs, Sie seien bereit, für eine gleichberechtigte Gesellschaft zu kämpfen. Wo orten Sie aktuell die grössten politischen Baustellen in dem Bereich?
Über die Frage der Lohngleichheit haben wir ja schon gesprochen. Die Kommission muss hier rasch einen neuen Vorschlag ausarbeiten. Entscheidend ist auch, dass es jungen Eltern möglich ist, Job und Familie unter einen Hut zu bringen. Dafür ist ein gut ausgebautes Krippenangebot sowie ein Vaterschaftsurlaub nötig. Und natürlich müssen die Männer selber den Willen aufbringen, mehr Aufgaben im Haushalt zu übernehmen.