Herr Glättli, ist das Rahmenabkommen tot?
Balthasar Glättli: Sicher ist: Den magischen Moment, in dem die EU den drei offenen Punkten einfach so zustimmt, gibt’s nicht. Dazu kommt in der Schweiz die Kritik am Streitbeilegungsverfahren. Wir müssen nun innenpolitisch Klarheit schaffen: Wer ist für das Rahmenabkommen? Was sind wir zu investieren bereit? Will die Schweiz ein Rahmenabkommen, braucht es eine innenpolitische Allianz dafür.
Wollen Sie als Präsident der Grünen die Initiative für eine Art runden Tisch ergreifen?
Ich sehe es als Aufgabe der Grünen, Gespräche zu suchen. Die Parteien, die das Rahmenabkommen nicht fundamental ablehnen wie die SVP, sollen miteinander ins Gespräch kommen. Und ausloten, ob sie dem Bundesrat einen Anstoss geben können, das Verhandlungsmandat auszuweiten.
Haben Sie Ideen für eine Ausweitung des Mandats?
Ja. Ganz einfach: Wir sollten der EU weniger Steuerdumping garantieren – und im Gegenzug von der EU unseren Schutz vor Lohndumping zugesichert erhalten.
Was soll die EU erhalten?
Die EU hat im Dossier Steuern in zwei Bereichen Anliegen. Das erste betrifft die Steueramtshilfe. Sie möchte bei Verdacht auf Steuerhinterziehung oder Steuerbetrug besser mit der Schweiz zusammenarbeiten. Die Schweiz sollte kooperative Partnerin werden. Das könnte man in ein Paket einbringen.
Und der zweite Bereich?
Ein Mindestsatz bei den Unternehmenssteuern. Mit dem Ziel von US-Präsident Joe Biden, die Unternehmenssteuern anzuheben, bekommt diese Diskussion neue Aktualität. In den nächsten Jahren dürfte es auf der Ebene der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu einer globalen Harmonisierung der Mindeststeuersätze kommen. Die Schweiz steht vor einer historischen Weichenstellung.
Vor welcher?
Entweder, sie begibt sich ins Réduit wie beim Bankgeheimnis. Das Resultat ist bekannt: Wir mussten am Schluss auf der ganzen Linie nachgeben. Oder wir sind für einmal klüger: Wir bieten der EU proaktiv die Bereitschaft an, mit ihr über eine materielle Steuerharmonisierung zu verhandeln. Im Idealfall kriegen wir dafür beim Rahmenabkommen etwas, bevor wir mittelfristig sowieso Konzessionen im Steuerbereich machen müssen.
Weshalb sollte die EU der Schweiz entgegenkommen?
Die EU hat ein Interesse, als kraftvoller Block für ganz West- und Osteuropa in die Verhandlungen um den Mindeststeuersatz zu steigen. Wenn sie aber einen Konkurrenten in unmittelbarer Nachbarschaft hat, der bereit ist, mit seinem Steuersatz stets vier Prozent tiefer zu gehen, schwächt das ihre Position.
Wie soll dieser Mindeststeuerfuss aussehen?
Das wird eine Frage von internationalen Verhandlungen sein. Janet Yellen, die neue US-Finanzministerin, sprach von einem globalen Mindeststeuersatz für Unternehmen von 21 Prozent. Das jagte den Steueroasen Schrecken ein.
In der Schweiz liegt er heute deutlich unter den US-Vorstellungen.
Im Schnitt bei 15,1 Prozent, in vielen Kantonen tiefer. Man darf nicht vergessen: Noch 1990 lag der globale Schnitt bei 34 Prozent. 21 Prozent sind keine illusorische Forderung. Es war gerade auch die Schweiz, die eine extreme Spirale nach unten anstiess. Heute könnte eine Wende kommen: Viele Staaten tätigten wegen Corona massive Ausgaben. Nun brauchen sie auch entsprechende Einnahmen.
Wie sehen die grünen Schwesterparteien in der EU das Rahmenabkommen?
Wir stehen den Europäischen Grünen sehr nahe und arbeiten auch viel mit ihnen zusammen. Sie gaben uns sehr positive Rückmeldungen zur Idee, den Kampf gegen Steuerdumping in die Gespräche einzubringen. Sie selbst hatten schon ähnliche Ideen in die Diskussionen in der EU eingebracht.
Die Grünen wollen nun den Lohnschutz mit einer Mindeststeuer sichern?
Ja. Wir wollen ihn entweder ausnehmen oder die Zusicherung erhalten, dass er unabhängig von der Rechtsentwicklung der EU gestärkt werden kann und nicht geschwächt werden muss. Eine Option könnte allenfalls sein, dass die Schweiz in einer einseitigen Erklärung festhält, sie mache bei den heutigen flankierenden Massnahmen keine Rückschritte. Sie würde damit Gegenmassnahmen der EU in Kauf nehmen. Diese müssten aber verhältnismässig sein, das ist im Rahmenabkommen explizit so geregelt. Das wäre immer noch deutlich billiger als die Zusatzzahlungen, die einige nun anregen.
Für die Bürgerlichen ist die Unionsbürgerrichtlinie das grosse Problem.
Das ist ein Knackpunkt in der innenpolitischen Auseinandersetzung. Für die Grünen aber nicht der entscheidende Punkt.
Weshalb wollen die Grünen, die sich bislang nicht gross für das Rahmenabkommen zu interessieren schienen, dieses nun unbedingt retten?
Wir hatten immer eine differenzierte Position. Weil wir wissen: Die Schweiz hat ein grosses Interesse daran, die bestehenden Abkommen aufzudatieren. Strategisch ist es zudem klüger, die Rahmenbedingungen für neue Abkommen jetzt zu klären, statt dann, wenn wir sie dringend brauchen. Für den Bildungs- und Forschungsplatz Schweiz ist es zentral, dass wir am EU-Forschungsprogramm Horizon Europe und an Erasmus+ mitmachen können. Der Mechanismus der Streitbeilegung ist gut. Da gilt nicht mehr das Recht des Stärkeren, mit willkürlichen Vergeltungsmassnahmen. Aber natürlich müssen wir materiell den Lohnschutz sichern.
Bis wann soll eine Allianz neue Vorschläge ausarbeiten?
Ideal wäre es, wenn sie bis nach den Sommerferien einen Konsens schmiedet.
Was wäre Glättli den lieber?
Einzelne Absprachen wie in Irland oder ein komplexeres System wie in Irland?
Im Angebot gäbe es auch noch Malta, Zypern oder aber Luxemburg.
Die Frage, ob ein Land eine Steueroase ist oder nicht, ist keine objektive, sondern eine politische.
Wenn du ein Eu-Land oder ein Ami-Bundesstaat bist, bist du keine Steueroase, wenn du Singapur, Hong Kong oder die CH bist, verwendest du unfaire und "illegitime Steuervermeidungstricks" und bist eine Steueroase.