Die St.Galler Kultband Knöppel hat ein neues Album. Das dritte seit 2016. Die Musik und die Texte sind in etwa noch dieselben, die Vorzeichen haben sich aber geändert:
Eigentlich willst du lieber über die Gesellschaft reden als über euer neues Album.
Midi: Ich könnte 24 Stunden über die gesellschaftlichen Veränderungen reden. Es wurde ja nicht notwendigerweise alles einfacher und besser. Aber wie sich diese Gesellschaft bewegt – es geht ab wie d’Schissi.
Die Palette der Veränderungen ist riesig. Welcher Bereich macht dir am meisten zu schaffen?
Es hat uns so eine Kommissar-Wallander-Schwere befallen. Vor allem uns links-sozialisierte 90er-Jahre-Gymischüler.
An was liegt das?
Wir sind halt nicht mehr jung. Und mir scheint … wie lautet das korrekte Wort … die Leute sind sensibler geworden (lacht).
Ich nehme an, du spielst damit auch darauf an, dass Knöppel nicht in der St.Galler Grabenhalle auftreten darf. Laut Veranstalter haben sich einige Mitarbeiter bei eurem letzten Konzert unwohl gefühlt.
Ach. Das wurde von euch Medien hochgespielt. Für St.Gallen mag das ein Thema sein, aber seien wir ehrlich: Dass man dort langsam eine Jack-Stoiker-Überdosis hat [Midis Soloprojekt, Anm. d. Red.], ist absolut rational.
Aber natürlich: Es geht auch um diese Wachablösung. Es ist allerdings nicht mein Job, die jemandem auszureden.
Hat dich dieser Vorfall beschäftigt?
Beschäftigt hat mich eigentlich nur, dass ich versucht habe, den Ball flach zu halten. Der Rest ist Business as usual. Der eine Veranstalter mag uns, der andere nicht. Wir wissen selbst ja sehr genau, was für Musik wir machen.
Könntest du nicht einfach sensiblere Töne anschlagen?
Ich könnte schon. Ich weiss aber nicht, ob ich damit auch Erfolg hätte. Ein Teil dieser vorpubertären Knöppel–Energie wird von ekligem Benehmen genährt – ohne dabei wirklich eklig zu sein. Tatsächlich aber kann man sich schon fragen, ob wir noch mehr Songs über Penisse und Wichsen schreiben müssen – und wie viel das Thema noch hergibt.
Wie erklärt man eigentlich seinen Eltern, dass man ständig über Penisse und Wichsen singt?
Gar nicht. Wirklich. Als sie mitbekamen, wie die Leute uns zujubeln, war das für meine Eltern so schmeichelhaft, dass sie die Themen ignorierten.
Und wie ist das mit deinen Kindern? Die sind jetzt auch in einem Alter, in dem sie verstehen, wovon Papa da singt.
Wir schaffen es relativ solid, das Thema auszuklammern. Ich glaube, die Mitschüler tragen die Texte eher an sie heran. Ich vermute mal, dass sie sich dann schämen …
So wie sich alle Kinder für ihre Eltern schämen?
Sie schämen sich. Aber je nach Situation sind sie hoffentlich auch ein wenig stolz. Ich schaue ja dann schon, dass ich sie am Open Air St.Gallen in den Backstage-Bereich mitnehmen kann, und sie dann schön geflext Yung Hurn Hallo sagen können. Übrigens ein ausgesprochen netter Kerl.
Zurück zum Thema: Mal etwas Neues von Midi?
Momentan bahnt es sich nicht an. Ich hätte schon Lust, auch einmal etwas ruhigere Songs zu schreiben. 90 Minuten auf der Bühne herumzuschreien, ist sehr physisch. Knöppel lebt von dieser Physis. Aber sie ist anstrengend.
Mir scheint, das neue Album ist fast noch wilder als die alten.
Schon, gell?
Nur gerade der letzte Song ist langsam.
Eigentlich wollte ich bei Knöppel nicht selbst singen. Ich wollte den Bass spielen. Weil ich immer schon einmal in einer Punkband Bass spielen wollte. In meiner Vorstellung war das der gemütlichste und geilste Job der Welt. Und jetzt ist Knöppel noch schlimmer als Stoiker. Noch mehr Texte, noch mehr Geschrei.
Mit «Fukuyama» habt ihr aber zum ersten Mal auch einen explizit gesellschaftskritischen Song.
Ja, der ist jetzt mal explizit politisch.
Du beziehst dich darin auf den Text von Francis Fukuyama «The End of History?» von 1989. Fukuyama sah damals die USA als grosse Siegermacht des Kalten Krieges und prognostizierte, dass sich die liberale Demokratie durchsetzen würde. Im Song widersprichst du dieser These.
Fukuyamas Idee wurde in letzter Zeit wieder aufgenommen – und ich verstehe nicht, weshalb. Sie ist in meinen Augen widerlegt. Punkt. Beim Song geht es mir aber mehr darum, einfach noch etwas Dreck zu werfen.
Fukuyamas These wurde damals von einem gewissen Optimismus begleitet, dass wir nun sämtliche grossen Probleme aus der Welt schaffen können. Ist es das, was die Wallander-Stimmung auszeichnet? Die Realisation, dass es halt doch nicht so einfach wird?
Damals hatte auch ich das Gefühl, dass wir die Probleme in den Griff bekommen könnten. Insofern ist der Song sogar noch biografisch. Dann kam Airbnb und die sharing economy. Ich dachte: «Geil, endlich müssen wir nicht mehr alles besitzen. Endlich können wir teilen.» Doch Airbnb wurde zum schlimmeren Monster, als wir uns das je vorstellen konnten.
Fehlt neben dem Optimismus auch eine Prise Punk in unserer Gesellschaft? Eine Gegenbewegung zum Neo-Bünzlitum?
Sei vorsichtig, was du dir wünschst. Wenn jetzt eine Punkbewegung gegen das Neo-Bünzlitum kommt, dann kommt sie von rechts. Auch wenn ein Schuh in den Arsch vielleicht gar nicht mal so schlecht wäre – aus der Richtung willst du den dann doch nicht.
Wenn Punk gegen den Mainstream ist, ist dann ein anständiger Dialog heute Punk? Oder eine andere Meinung auszuhalten?
Mit Sicherheit. Und nicht gleich hysterisch loszutweeten. Aber ihr Onlinemedien lebt ja auch zu einem gewissen Grad von der Hysterie.
Wir bemühen uns schon, nicht einfach nur Öl ins Feuer zu giessen.
Gewissen Mechanismen ist man halt auch ausgeliefert.
Ist das jetzt wieder die Wallander-Schwere? Resignation?
Wir hatten seinerzeit in der Firma eine indische Delegation zu Besuch. Das waren unglaublich sympathische Menschen, unverdorben, positiv, intelligent. Ich fühlte mich sofort sehr wohl. Ähnliches habe ich in den Ferien in Texas erlebt. Etwas ausserhalb der Grossstädte. Da kommt man gleich ins Gespräch mit den Leuten. Die sind positiv eingestellt, geniessen den schönen Tag. Das weckt eine gewisse Sehnsucht in mir. Vielleicht weil ich als Vater will, dass die eigenen Kinder auch mal mit dieser positiven Haltung durch die Welt gehen können.
Und in der Schweiz tut man sich derzeit damit schwer?
Ich war selbst immer verknorzt. Ich weiss nicht, ob ich für die Gesellschaft repräsentativ bin oder für sie sprechen kann, aber ich vermute, ich bin nicht der Einzige. Ich habe das Gefühl, da braut sich was zusammen. Eigentlich seit «Lost in Translation». Das war so ein Kanonenschlag: Ein Film über zwei Protagonisten, die in ihrem Wohlstand nicht wissen, was sie eigentlich wollen.
Und als Gesellschaft haben wir nun diesen Punkt erreicht?
Ich glaube schon gewisse Tendenzen zu erkennen. Vor allem beim gut erzogenen Mittelstand.
Der miesepetrig nicht so recht weiss, was mit sich anzufangen?
Wir sind auf der Via Negativa. Wir versuchen vorwärtszukommen, indem wir das Schlechte vermeiden. Vermeide Fett, ungesundes Essen. Ein positiver Ansatz wäre, doch einfach joggen zu gehen. Ich sehe diese Tendenz auch bei der Klimabewegung – was natürlich auch seine Berechtigung hat. Vielleicht ein Beispiel aus dem IT-Bereich, in dem ich arbeite. Es gibt in der IT Wartung und Entwicklung. In der Wartung liegt der Schwerpunkt darin, Fehler zu vermeiden, das System am Laufen zu halten. Gewinnen kann man dabei wenig bis nichts, verlieren dafür alles. Diese stete Vermeidehaltung schlägt auf die Stimmung. In der Entwicklung hingegen werden neue Projekte umgesetzt. Ich sage dir, man merkt es den Leuten an, in welchem Bereich sie arbeiten.
Machst du deshalb auch mit 50 Jahren noch Punkmusik?
Musik war immer mein Gegengift. Musikhören ist Gegengift, Musikmachen sowieso. Knöppel begann eigentlich mit Punksongs über den Büroalltag. Das mit dem Wichsen kam erst später.
Als Marketingstrategie?
Nicht nur. Ich arbeite schon recht konzeptionell. Natürlich war ich mir bewusst, was ich da konstruiere. Eigentlich wollten wir einfach den englischen «Motherfucker» in die Dialektsprache importieren. Die Wahl traf auf Wichser – im vollen Bewusstsein, dass das bisher noch keine andere Band gemacht hatte. Der Entscheid war bewusst, aber keine eiskalte Marketingstrategie.
Und jetzt ist das Salzhaus mit 700 Leuten bereits ausverkauft … der deutsche Musiker und Podcaster Oli Schulz sagte mal über seine Konzerte: Ab 50 Zuschauer kamen auch die Arschlöcher. Wie ist es bei euch?
Ich erinnere mich an ein Konzert von den Goldenen Zitronen. Die spielten vor 20 Leuten und die Hälfte davon waren Arschlöcher: mühsame Punks. Punk ist gemacht von mühsamen Typen für mühsame Typen. Solange das aber eine Szene ist und jeder jeden kennt, gibt es eine soziale Kontrolle. Hat der Club keine Bindung zu seinem Publikum, geht diese Selbstregulation verloren. Dann hat es Sicherheitspersonal mit Kabel im Ohr. Dann spielst du nicht mehr in einem Rockschuppen, sondern an einem Veranstaltungsort. Und dann fallen die Arschlöcher auch plötzlich mehr ins Gewicht.
Aber grundsätzlich stehe ich bedingungslos zu meinem Publikum. Auch zu den Arschlöchern.
Das neue Album «Sex Jazz Scheisse» ist ab dem 10. November erhältlich / auf Streaming-Plattformen hörbar. In der neuen Single «Achtsamkeit und Harmonie» fällt 67 Mal das Wort Wichsen. Und das ohne Backgroundgesang. Vielleicht habe ich mich aber auch verzählt.
Und wer nun trotzdem noch an ein Konzert will: Hier.
Nun sind wir alt und faltig. Die Jungen nerven mit ihrem "woke" und die noch Älteren sind immer noch "verhockt".
Danke für das Interview.