Gerade mal vier Tage nach der Naturkatastrophe von Blatten lancierte die Sonntagspresse die Debatte über die Zukunft der Bergdörfer. Es stelle sich die Frage nach der «Zahlungsbereitschaft für den Mythos Alpen», schrieb der Chefredaktor der «NZZ am Sonntag» an der Falkenstrasse in Zürich. «Schutzverbauungen kosten die Allgemeinheit Unsummen», stellte er fest und erinnerte an Vorschläge von Ökonomen, «einige Täler verwildern zu lassen». Mit Blick auf die Solidaritätsbekundungen aus Bundesbern überschrieb er seinen Text: «Die Politik tappt gerade in die Empathiefalle».
Im Walliser Bergdorf Ernen griff daraufhin der Gemeindepräsident in die Tasten und verschickte einen Leserbrief. Darin schreibt Francesco Walter von Empörung, Enttäuschung «und nicht zuletzt Wut». Wir erreichen Gemeindepräsident Walter am Montag am Telefon.
Herr Walter, was hat Sie so erzürnt am Sonntag?
Francesco Walter: Wir müssen uns die Situation der betroffenen Menschen aus Blatten vor Augen führen: Sie haben alles verloren, sind immer noch traumatisiert. Auch der Friedhof wurde verschüttet – die Erinnerungsstätte an Freunde und Verwandte. Wir können uns gar nicht vorstellen, wie es in den Menschen aussieht, die vor vier Tagen alles verloren haben. In dieser Situation eine Debatte über Kosten und Nutzen der Bergdörfer vom Zaun zu reissen, ist schlicht fehl am Platz.
Erlauben Sie trotzdem die Frage: Warum wollen Menschen in Dörfern leben, wo ihnen im schlimmsten Fall ein Bergsturz droht?
«Wollen» ist das falsche Wort. Wir leben hier. Wir haben hier eine jahrhundertealte Geschichte. Schon als diese Dörfer entstanden, haben sich die Menschen mit den Gefahren befasst, genau geschaut, wo gebaut werden kann und wo nicht. Mit dem Aufkommen des Tourismus, dem Bau von Ferienhäusern, wurden diese Gefahren zeitweise zu wenig berücksichtigt. Doch heute haben wir Gefahrenkarten. Und wir haben Lawinenverbauungen und Schutzwälder, auch das schon seit Jahrhunderten. Wir können mit den Gefahren umgehen.
Nun befürchten aber Fachleute, dass infolge des Klimawandels mehr Rutschungen und Murgänge zu befürchten sind. Ändert das für Sie nichts an der Ausgangslage?
Im Moment sicher nicht. Blatten ist ein Jahrhundertereignis, wie es sie schon immer gegeben hat. Zum Beispiel die Buzza di Biasca im 16. Jahrhundert: Da hat zuerst ein Bergsturz ein Dorf verschüttet, der Fluss staute sich am Schuttkegel, brach aber ein paar Jahre später durch. Die Flutwelle zerstörte die ganze Ebene bei Bellinzona, mehrere hundert Leute starben. Daraufhin hat man gelernt, wo man dort bauen kann und wo nicht.
Kurz: So etwas kann es immer wieder geben?
Ja. Es ist auch ein Erdbeben in Basel möglich. Und niemand würde jetzt fordern, Basel vorsorglich zu räumen, weil irgendwann einmal etwas passieren könnte. Es wird einfach möglichst erdbebensicher gebaut. Auch am Sihlsee wurden Vorkehrungen verbaut für viele Millionen – um Zürich zu schützen. Niemand würde sagen, man dürfe in Zürich nicht bis nahe an die Sihl bauen.
In Blatten sind der Berg und der Gletscher nun aber abgestürzt.
Ja, und man hat es richtig gemacht: Die Gefahrenzonen wurden überwacht, die Menschen rechtzeitig gewarnt und evakuiert. Eine so gewaltige Katastrophe war aber nicht vorhersehbar.
Schwindet die Solidarität mit den Berggebieten?
Nein, zum Glück nicht. Das zeigt auch die Spendenbereitschaft nach Naturereignissen.
Trotzdem: Darf eine Schutzbaute für beispielsweise einen Weiler mit fünf Häusern mehr kosten als der Wert dieser Häuser beträgt?
Stellen Sie sich vor, wenn Sie selbst dort wohnen, vielleicht schon Ihre Grosseltern dort lebten, wenn Sie das Haus renoviert oder gar selbst aufgebaut haben – dann sind Sie verbunden mit dem Ort. Zeigt sich aber, dass der Ort einfach zu gefährlich ist zum Leben, dann muss man als Gemeindepräsident das Gespräch suchen, den Leuten behutsam klarmachen, was das bedeutet und eine Lösung finden. Aber solche Fragen undifferenziert in den Medien breitzutreten, halte ich für deplatziert.
Wie sollte denn eine solche Debatte geführt werden?
Zuerst einmal mit Zurückhaltung. Es braucht jetzt nicht Ratschläge aus der Ferne, was in Blatten zu tun ist. Das wissen die Leute dort selbst. Sie wissen auch, wo sie die nötige Expertise einholen können.
Hat das Leben in den Bergtälern eine Zukunft?
Auf alle Fälle. In den Bergdörfern leben all die Leute, die sich etwa um die Schutzwälder kümmern, die als Bergbauern die Alpen freihalten und so dafür sorgen, dass bei Unwettern nicht noch mehr Schwemmholz Schaden anrichtet – das ist eine Arbeit, von der die Allgemeinheit auch im Unterland profitiert. Oder jene Fachleute, die den Betrieb der Stauseen und Turbinenanlagen sicherstellen, unseren Strom produzieren: Die können auch nicht täglich aus Zürich hinaufpendeln. Und schliesslich all die Menschen im Tourismus, von dem das ganze Land profitiert. Auch sie leben in Bergtälern. Wir sind aufeinander angewiesen in der Schweiz. (nib/aargauerzeitung.ch)
Der Kanton Zürich baut den Stollen vorsorglich, nachdem vor vielen Jahren das Wasser der Sihl in der Stadt Zürich fast nicht mehr unter dem Hauptbahnhof durchfliessen konnte und die Gefahr bestand, dass die Innenstadt (Bahnhofstrasse und Umgebung) beinahe überschwemmt wurde. Das ist eine Massnahme, ähnlich wie Lawinenverbauungen in den Alpen, bezahlt durch den Kanton Zürich.
Ich wusste nicht, das über sollen Nonsens Debattiert wird.
Andere Frage: Die ganzen Behinderten kosten die Allgemeinheit zu viel, kann man die nicht wegmachen?
Merkste selber oder?