Noch drei Wochen bis zu den Wahlen. Daniel Jositsch befindet sich im Wahlkampf-Endspurt. Zumindest was seinen Sitz im Ständerat angeht, muss er kaum zittern.
Sein anderer Wahlkampf beginnt erst danach richtig. Jositsch will Bundesrat werden. Bekanntlich. Schon wieder.
Und würde das Volk den Bundesrat wählen, Jositsch wäre gesetzt als Nachfolger von SP-Magistrat Alain Berset. Der Zürcher ist beim Volk mit Abstand am beliebtesten für das Amt, wie aus einer repräsentativen Umfrage von Tamedia hervorgeht.
Nur: Es wählt das Parlament. Und davor seine Partei. Seither mutmasst Bundesbern über zwei Fragen: Setzt die SP ihn aufs Ticket? Oder straft sie ihn ab, weil er nach Simonetta Sommarugas Rücktritt trotz reinem Frauen-Ticket nicht aufs Amt verzichten wollte?
Wir treffen Jositsch am letzten Tag der Herbstsession im Vorzimmer des Ständerats zum Gespräch.
Herr Jositsch, als Sie Ihre zweite Bundesrats-Kandidatur bekannt gegeben haben, hagelte es Kommentare der watson-User. Ich konfrontiere Sie nun mit einigen davon.*
Daniel Jositsch: Alles klar.
Die einzige von der Funktionsweise vergleichbare Wahl ist die Papst-Wahl. Dazu gibt es den Satz: Wer als Papst ins Konklave kommt, kommt als Kardinal wieder raus. Es hat schon mancher gedacht, es laufe automatisch. Was ich sagen will: Wenn 246 Leute wählen, kann vieles passieren. Selbst falls ich nominiert bin, bin ich noch nicht gewählt. Und in den Medien wird zwar kolportiert, ich hätte in der Fraktion keinen Rückhalt, doch das stimmt nicht. Natürlich gab es Spannungen, doch solche lassen sich auch schnell wieder abbauen.
Es wird verschiedene valable Kandidierende geben. Das kann ich sein. Das kann auch jemand anderes sein.
Sehr diplomatisch.
Ich bin einfach ehrlich.
Ideologische Überlegungen betrachte ich nicht als Bullshit. Die sind auch wichtig als DNA einer Partei. Ansonsten bin ich einverstanden, ich versuche im Parlament lösungsorientiert zu arbeiten.
Sie sind für die Überwindung des Kapitalismus?
Ich kann alles, was im SP-Parteiprogramm steht, als Zielsetzung akzeptieren. Das ist wie in der Verfassung. Dort steht auch: «Alle Menschen sind gleich.» Und wir alle wissen, dass sie das in der Realität nicht sind. In der Schweizer Politik kann niemand nur mit der eigenen Partei Mehrheiten gewinnen. Sie sind immer darauf angewiesen, ein, zwei andere Parteien dazuzugewinnen. Und das geht nur, wenn Sie lösungs- und kompromissorientiert sind.
Ich glaube nicht, dass die Partei Schaden genommen hat. Und wenn ich schaue, was ich für Reaktionen bekommen habe, waren die überwiegend unterstützend. Ich wollte der Fraktion trotz allen Gleichstellungsanliegen die Freiheit geben zu entscheiden, wen sie aufs Ticket nehmen will. Wir werden an den Punkt kommen – und der ist auch anzustreben –, bei dem Geschlecht keine Rolle mehr spielt.
Das dauert noch.
Vor hundert Jahren war es ein zentrales Thema für einen Bundesrat, ob er Katholik oder Protestant war. Das haben wir überwunden, heute ist das völlig egal. Das muss beim Geschlecht auch passieren. Dann haben wir vielleicht auch mal sieben Frauen im Bundesrat. Ich habe einfach gesagt, ich kandidiere für das Amt. Ein Anrecht auf einen Bundesratssitz habe ich selbstverständlich nie geltend gemacht.
Es ist nicht korrekt, wenn unter dem Titel der Gleichstellung gesagt wird, wir schliessen ein Geschlecht aus. Das ist aus meiner Sicht keine Gleichstellung. Im Nachhinein habe ich aber verstanden: Wenn ich in meiner privilegierten Situation einmal ausgeschlossen werde und das Wort «Diskriminierung» benütze, dann ist es stossend für diejenigen, die sagen, wir waren einige Hundert Jahre diskriminiert. Deshalb würde ich meine Aussage heute nicht mehr so machen.
Das ist nicht falsch. Aber ich glaube, Ehrgeiz ist der falsche Begriff.
Sie sind nicht ehrgeizig?
Nicht besonders, nein. Ich weiss schon, warum man das von mir glaubt: In einer Fussballmannschaft spielen Sie, um Goals zu machen. Um zu gewinnen. Deswegen sind Sie persönlich aber noch nicht ehrgeizig, sondern Sie identifizieren sich mit Ihrem Team. Und Sie identifizieren sich mit dem Ziel, und machen darum Goals.
Jeder Politiker hat das Ziel, Bundesrat zu werden?
Nein. Was meinen Sie, warum ich hier bin?
Weil Sie die Welt etwas mehr so machen wollen, wie Sie sie für am besten halten?
Ich bin Strafrechtsprofessor an der Universität Zürich. Ich würde mehr Geld in meinem Beruf verdienen. Ich gehöre nicht zu denjenigen Berufspolitikern, die sehr jung schauen müssen, wo sie bleiben. Ich bin hier in diesem Gebäude, weil ich finde, es lohnt sich, sich einzusetzen für dieses Land. Im Bundesrat geht das noch effektiver als im Ständerat. Und jetzt ist gerade eine Konstellation, von der ich denke, doch, ich wäre geeignet, mich einbringen zu können. Komme ich am 25. November nicht aufs Ticket oder werde am 13. Dezember nicht gewählt, bin ich ebenfalls ein glücklicher Mensch. Weil ich mich dann zur Verfügung gestellt habe, einen gigantischen Job aber nicht übernehmen muss. Das ist auch gut. Ich kann Ihnen sagen, ich habe jetzt ein schönes Leben. Manchmal frage ich mich schon, warum ich mich auf das alles eingelassen habe. Das ist kein Ehrgeiz. Sondern der Wille, politisch zu gestalten.
Was stört Sie daran, für ehrgeizig gehalten zu werden?
Weil es der falsche Zugang ist.
Ich will nicht Bundesrat werden, nur um Bundesrat zu sein. Das ist die falsche Motivation. In der Politik haben Sie die Verantwortung für dieses Land. Ich habe auch Ehrgeiz – ich will zum Beispiel täglich 90 Minuten Sport machen. Aber das hat nicht mit Politik zu tun.
Das können Sie vergessen als Bundesrat ...
Ich würde es auf 60 Minuten reduzieren ...
Ernsthaft jetzt: Wenn die Partei Sie nicht aufs Ticket nimmt, tut das doch weh?
Nein. Ich muss den Job nicht unbedingt haben. Ich bin der Meinung, ich könnte ihn gut machen im Sinne der Partei und dieses Landes. Andere können das auch.
Nein, ich habe keine Medienberater. Und auch kein Interesse daran, solche zu haben. Ich habe schon immer die Philosophie verfolgt, zu sagen, für was ich stehe. Ob das geschickter oder ungeschickter ist, auf das kommt es nicht an. Ich bin dafür relativ authentisch.
In jeder Partei stehen Leute rechter oder linker. Ich bin zweifelsohne ein Exponent des sozialliberalen Flügels.
Wo sind Sie zuletzt von der Parteilinie abgewichen?
Jüngst habe ich etwa unterstützt, dass man in Zürich konsequent gegen Hooligans und gewalttätige Demonstranten vorgeht. Ich habe auch dem Ausbau von Strassen in Zürich zugestimmt.
Strassenausbau ist schon wenig SP-typisch.
Grundsätzlich setze ich ebenfalls nicht auf den Privatverkehr. Damit wird ein Nadelöhr nur verlagert. Pragmatisch betrachtet aber gibt es einfach Situationen, in denen der Verkehr jetzt da ist. Und nicht rollt. Als Vertreter von Zürich vertrete ich das Bedürfnis, hier eine Lösung zu finden. Ohne dass ich meinen sozialdemokratischen Kompass gleich verliere.
Nein, das finde ich nicht.
Ich äussere mich nicht zur Frage Eva Herzog oder Elisabeth Baume-Schneider. Nur so viel: Viele unterschätzen letztere. Früher mag es Phasen gegeben haben, als die Schweiz in einer Wohlfühloase war und man nicht zu starke Kandidaten für die anderen Parteien wollte. Aber jetzt nach Covid und mit dem Ukraine-Krieg sind sich im Bundeshaus ziemlich alle bewusst: Wir brauchen Bundesräte, die im Extremfall eine Krise managen können.
Und Sie könnten das?
Ich denke ja. Aber sicher weiss das niemand, solange er nicht in der Situation ist. Ausser Alain Berset, der die Corona-Krise managen musste, weiss das niemand.
* Zur Transparenz: Einige user-Kommentare haben wir aus Gründen der Länge gekürzt.