Herr Hegg, der Pegel im Stausee, der sich hinter den Geröllmassen in Blatten gebildet hat, steigt. Wie beurteilen Sie die Gefahr von weiteren Überschwemmungen Stand heute Morgen?
Christoph Hegg: Die Situation ist grundsätzlich unverändert. Aus der Ferne ist es schwierig abzuschätzen, wie schnell das Wasser steigt – und vor allem auch, wie die Topografie der abgestürzten Masse ist. Irgendwann ist der See voll und das Wasser wird über den Schuttberg fliessen.
Was ist das schlimmstmögliche Szenario?
Wenn es zu einem Dammbruch kommt. Möglich wäre, dass der Damm durch den steigenden Wasserdruck wegbricht oder er sehr schnell erodiert. Dann könnte sich eine Flutwelle bilden, die durch das Tal rollt.
Wie realistisch ist das?
Von den Fachpersonen vor Ort wird das derzeit als nicht sehr wahrscheinlich eingestuft. Das Risiko hängt davon ab, wie der Damm genau aussieht, der sich durch den Bergsturz gebildet hat. Dies lässt sich von aussen nur sehr schwer beurteilen. Ist er hoch und schmal, ist die Gefahr höher, dass er bricht. Handelt es sich hingegen um einen flachen Hügel, ist es unwahrscheinlicher. Zudem kommt es auf die Eigenschaften des Materials an, das heruntergekommen ist.
Wie muss man sich diese Gesteinsmasse vorstellen, die das Dorf unter sich begraben hat?
Sie ist nach Aussagen der lokalen Verantwortlichen instabil, weshalb es derzeit ja auch nicht möglich ist, darauf zu arbeiten. Zwischen den Steinen – grosse Brocken, aber auch sehr viel feines Material – befindet sich Eis, das kontinuierlich schmilzt. Mit der Zeit bilden sich Löcher im Material, was zu kleineren Einbrüchen führen kann.
Verschärfen die aktuell hohen Temperaturen die Situation?
Nein, ich würde nicht sagen, dass das ein zusätzliches Risiko darstellt. Das Eis schmilzt sowieso früher oder später. Die Temperaturen sorgen nun einfach dafür, dass es schneller geht. Und auch die Lonza führt deswegen mehr Schmelzwasser.
Und was ist das Beste, was passieren könnte?
Zu hoffen ist, dass sich das Wasser relativ langsam einen Weg durch den Schuttkegel bahnt und ein neues Gerinne entsteht. Der Bach wird dabei ganz viel Material transportieren, das sich dann an einem neuen Ort ablagert.
Was können die Behörden nun tun?
Man kann nicht viel mehr machen, als gefährdete Gebiete flussabwärts zu evakuieren. Theoretisch wäre es zwar möglich, Wasser abzupumpen. Doch dafür müsste man Leitungen über das Material legen können – was derzeit zu gefährlich ist. Ausserdem könnte man ein neues Gerinne graben. Aber auf einer Länge von 2 Kilometern ist das vollkommen unrealistisch. Das dauert zu lange.
Hätte man eine solche Situation – eine drohende Überschwemmung nach dem Bergsturz – irgendwie verhindern können?
Natürlich kann man mit baulichen Massnahmen das Hochwasserrisiko minimieren. Doch eine Überschwemmung, wie wir sie nun sehen, hätte nicht verhindert werden können. Beziehungsweise: Das wäre so teuer gewesen, dass es nicht verhältnismässig gewesen wäre. In der Realität blieb den Behörden nichts anderes übrig, als abzuwarten und sich auf verschiedene mögliche Szenarien vorzubereiten – und darauf aufbauend jeweils bestmöglich zu reagieren. Dies klappt ja bisher von aussen gesehen sehr gut. (aargauerzeitung.ch)