Herr Mahadevan, letzthin machten Sie an einem Podium klar, was Sie von Programmen halten, die radikalisierte Europäer davon abhalten sollen, sich dem «IS» anzuschliessen: Gar nichts. Sie befürworten brachialere Methoden. Welche?
Prem Mahadevan: In erster Linie müssen wir Terroristen, die einen Anschlag planen, finden und unschädlich machen. Man kann das entweder mit Drohnenangriffen tun oder mittels Strafverfolgung. Der zentrale Punkt aber ist: Man muss diese Terroristen aus dem Verkehr ziehen.
Sie sind also auch für gezielte Tötungen?
Wo es in Kriegsgebieten und gescheiterten Staaten hilft und rechtlich möglich ist, warum nicht? Aber die Frage ist ja eine andere: Was nützt ein Polizist am HB Zürich, nur mit seiner Dienstpistole bewaffnet? Wenn Terroristen mit Kalaschnikow-Sturmgewehren dort auftauchen, gar nichts. Da kann der Polizist noch so gut ausgebildet sein. Sie brauchen Maschinenpistolen, um etwas ausrichten zu können.
Dann müssen wir uns an Polizisten mit MPs an öffentlichen Plätzen gewöhnen?
Ja, denn die Gefahr vor Terroranschlägen ist real. Wenn Terroristen am HB das Feuer eröffnen, dann müssen die Polizisten schiessen. Das ist absolut nötig, denn von selbst stoppen die Terroristen nicht.
Solch martialische Töne sind für uns Schweizer ungewohnt.
Das ist richtig. Einen Angriff wie in Paris zu stoppen, erfordert entschlossene Geheimdienstarbeit und sofortiges, hartes Eingreifen der Polizei. Nur wenn man sich dessen bewusst ist und das auch regelmässig trainiert, wird man im Ernstfall auch handeln können.
Wollen Sie Drohnen in die europäischen Vorstädte schicken?
Wir dürfen uns nicht auf die Vorstadt-Dschihadisten versteifen. Klar muss man sie überwachen und dabei stoppen, die Anschläge auszuführen. Doch man muss die Mittelsmänner jagen. Sie sind für die Planung verantwortlich und nicht einfach zu fangen. Sie sind ständig unterwegs. Letztlich ist aber ihre Neutralisierung sogar wichtiger als diejenige der Top-Leute, die irgendwo in Syrien oder im Irak sitzen. Tötet man sie bei einem Drohnenangriff, rutschen einfach die nächsten nach.
Sie forschen seit sechs Jahren in der Schweiz. Wie sicher fühlen Sie sich hier vor Terrorangriffen?
Die Schweiz ist ein sehr sichereres Land. Und diese Sicherheit ist real. Passieren kann aber trotzdem etwas.
NEW An Eye for an Eye by Prem Mahadevan Hardcover Book (English) Free Shipping https://t.co/xDAlJLTMBx pic.twitter.com/xnpbYiWXmb
— very pompous offers (@PompousOffers) 6. April 2016
Wenn es passiert, was wird in der Schweiz los sein?
Die Leute werden es nicht wahrhaben wollen. Das zeigen Anschläge in anderen Ländern. Jetzt gerade sind die Menschen wegen Brüssel einigermassen alarmiert und sensibilisiert. Aber stellen Sie sich vor, es geschieht ein halbes Jahr nichts. Und dann schlagen Terroristen an einem belebten Ort in der Schweiz zu. Die Passanten werden zuerst glauben, es handle sich um Feuerwerk. Für Laien hören sich Gewehrsalven sehr ähnlich wie Feuerwerk an. Danach kommen die Schreie. Erst dann realisieren sie es.
Gehen Sie überhaupt unbesorgt unter die Leute, an den HB zum Beispiel oder an ein Fussballspiel?
Ich gehe hin, aber nicht sorglos. Es ist zwar nicht so, dass ich mich stets nach Notausgängen umsehe. Aber an das Risiko, das mitschwingt, denke ich jeweils schon. Und ich bin mir bewusst, dass es eine Frage des Zufalls ist. Die Menschen im Brüsseler Flughafen, die unmittelbar neben den Attentätern standen, hatten keine Chance. Aber es waren Tausende von Menschen am Flughafen. Die allermeisten von ihnen verliessen das Flughafengebäude unverletzt.
Wie gross ist die Gefahr, bei einem Terroranschlag ums Leben zukommen?
Sie ist klein. Und es ist letztlich eine Frage von Glück und Pech. Doch es ist klar: Terrorismus ist eine reale Gefahr in Europa, die eine Weile bestehen bleiben wird. Den Terror werden wir leider nicht so schnell los. Mehr noch: Die Gefahr steigt. Und es geht darum, die Terroristen davon abzuhalten, an Sprengstoff und Waffen heranzukommen, und ihre Taten zu verhindern.
Dazu forschen Sie. Macht dieser Job paranoid?
Ein bisschen schon.
Sie sind Inder und stammen aus einem Land, das sich seit Jahrzehnten mit Terror auseinandersetzen muss. Nun helfen Sie mit, die Schweiz gegen Terroristen fit zu machen. Das müssen massive Unterschiede sein.
Es stimmt schon. Die indischen Sicherheitsbehörden sind «terroraffiner» als die europäischen Sicherheitsdienste. Das hat sicher damit zu tun, dass Indien schon seit Jahrzehnten innerstaatlichen Terror und von aussen unterstützte Terrorgruppen kennt. Die Anschläge von Mumbai im Jahr 2008, als Attentäter mit Bomben und Kalaschnikows über mehrere Tage 174 Menschen töteten, waren schliesslich das operative Vorbild für die Angriffe von Paris.
Und warum sie es tun?
Die Frage nach der Motivation dieser Leute ist mir letztlich nicht so wichtig. Fakt ist: Es passiert. Nun geht es darum, die Terroristen daran zu hindern, es wieder zu tun. Es ist sicher auch wichtig, der Frage nach der Motivation auf den Grund zu gehen. Ich aber nutze meine Zeit lieber, um zu erforschen, wie man Terroristen stoppen kann.
Das sind hohe Ansprüche.
Ich bin nicht so naiv, zu meinen, was ich hier als Wissenschaftler tue, rette Menschenleben. Es reicht mir aber nicht, lediglich Forschungspapiere für meine Kollegen vom Fach zu verfassen. Mein Anspruch ist es vielmehr, den Antiterror-Behörden «draussen im Feld» weiterzuhelfen.
Wie?
Wir müssen Instrumentarien entwickeln, die es ermöglichen, die rationale Planung der Terroristen zu durchkreuzen.
Sind Selbstmordattentäter rational denkende Menschen?
Ja. Sie kalkulieren die Fluchtwege mit ein. Wenn einer eine Bombe zündet an der einen Ecke eines Gebäudes, dann wird sich der andere Attentäter strategisch klug platzieren. Und zwar dort, wo die Attentäter vermuten, dass die flüchtenden Menschen hinrennen. Zum Beispiel am Notausgang. Es ist alles denkbar, auch Ablenkungsmanöver: Mit einem kleinen Anschlag die Sicherheitskräfte am einen Ort bündeln, um dann dort zuzuschlagen, wo keine mehr sind. Wir müssen uns auch bewusst sein, dass Terroristen flexibel sind: Wenn einer plant, sich an einem Fussballspiel in die Luft zu jagen, aber feststellt, dass die plötzlich erhöhten Sicherheitsvorkehrungen es nicht erlauben, dann weicht er halt auf ein anderes Ziel aus. Das kann auch der Nachtclub um die Ecke sein.
Das klingt alles sehr schlimm. Was aber sollen wir tun? Sollen wir unser Leben angesichts der Gefahr umkrempeln?
Dazu wird es nie kommen. Denn die Leute werden immer Restaurants, Nachtclubs oder Fussballspiele besuchen.
Was sollen wir dann?
Ich glaube, dass wir alle misstrauischer werden müssen.
Inwiefern?
Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass die Behörden mehr und mehr auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen sind. Kurz vor den Terroranschlägen in Brüssel haben Nachbarn der späteren Täter einen starken Geruch aus deren Wohnung wahrgenommen. Der Geruch entstand beim Zusammenmischen der Komponenten für den Sprengstoff. Leider haben die Anwohner die Polizei nicht informiert. Aber es ist auch äusserst schwierig für Laien, den starken Geruch einer selbst gebastelten Bombe von einem streng riechenden Curry zu unterscheiden.
Müssen nun alle Ausländer, die Curry kochen, verdächtigt werden, Terroristen zu sein? Das kreiert doch einen gefährlichen Generalverdacht.
So weit darf es nicht kommen. Und hier kommt die Polizei ins Spiel. Sie muss jeden Hinweis überprüfen, und es ist sehr schwierig, richtig zu handeln. Es wird auch Fehler geben, und natürlich besteht auch die Gefahr eines Missbrauchs des Terrorverdachts. Aber die Behörden werden lernen müssen, damit umzugehen.
Eine schwierige Aufgabe ...
Was ich damit sagen will: Es sind Menschen im Spiel, die Fehler machen. Man kann dem mit einer guten Ausbildung und Sensibilisierung entgegentreten.
Sie haben beim deutschen Terrorforscher Peter Neumann studiert. Er vertritt die These, dass Terror in Wellen kommt und geht. Was zeichnet die aktuelle Welle islamistischen Terrors aus?
Sie ist die tödlichste, die wir jemals hatten. Und die Fähigkeiten der Terroristen sind sehr weit fortgeschritten. Sie haben aus ihren Fehlern gelernt. Das sieht man zum Beispiel am Sprengstoff, den sie in Paris benutzten. Er war sehr instabil und es braucht grosses Fachwissen, dass er einem nicht um die Ohren fliegt, noch bevor man ihn zünden will. In Brüssel waren sie fähig, drei Koffer damit vollzupacken. Diese Art Sprengstoff wird aber umso instabiler, je grösser die Menge ist.
Wird die jetzige Gefahr durch den islamistischen Terror abebben?
Noch hat sie ziemlich Fahrt. Die jetzige Terrorwelle hat ihren Ursprung im Irakkrieg von Präsident Bush. Der Bürgerkrieg in Syrien, die Giftgasangriffe Assads auf die Bevölkerung und schliesslich die Ausrufung des Kalifats durch den «Islamischen Staat» waren riesige Antreiber für Dschihadisten aus Europa, sich nach Syrien zu begeben. Verlierer in Europas Grossstädten fühlen sich vom Kalifat ungemein angezogen. Sie können gefährlich werden als Solo-Attentäter. Weil sie häufig bereits eine kriminelle Vergangenheit haben, wissen sie sehr genau über die Verhaltensweisen der Polizei Bescheid. Das macht die Arbeit so schwierig, ihnen Herr zu werden.
Können wir hoffen, dass die Terrorwelle abebbt?
Hoffen kann man immer. Aber ich halte es für falsch.