Schweiz
Interview

SVP Bundesrichterin Alexia Heine über Justiz unter Trump

«Das darf in einem Rechtsstaat nicht sein»: SVP-Bundesrichterin über Justiz unter Trump

Alexia Heine präsidiert die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft, kurz AB-BA. Im Interview spricht sie über mutlose Politiker, politisierte Justiz und die Bedeutung des Rechtsstaats.
10.11.2025, 21:0911.11.2025, 02:00
Henry Habegger / ch media

Wie zufrieden sind Sie mit der Bundesanwaltschaft?
Unser Auftrag als Aufsichtsbehörde ist es, sicherzustellen, dass die Bundesanwaltschaft ihren gesetzlichen Auftrag erfüllt. Positiv ist, dass Bundesanwalt Stefan Blättler dasselbe Ziel verfolgt, wie wir: dem Rechtsstaat zu dienen, indem die Strafverfolgung auf Bundesebene gewährleistet wird.

Alexia Heine amtet seit 2012 als Bundesrichterin.
Alexia Heine amtet seit 2012 als Bundesrichterin.Bild: Andrea Zahler

Welche Punkte muss der Bundesanwalt im Auge haben?
Der berufliche Hintergrund des Bundesanwalts ist ein grosser Vorteil. Er kommt aus der Polizei. Somit hat er ein grosses Verständnis für Strafverfolgung, aber auch für Strafuntersuchungen. Der Erfüllung dieser Aufgaben ordnet er alle anderen Interessen unter. Auch hier decken sich unsere Ziele und Auffassungen.

Das war nicht immer so. Gegen Blättlers Vorgänger Michael Lauber führten Sie eine Disziplinaruntersuchung durch, die zu seinem Abgang führte. War er die falsche Person?
Die AB-BA, die ich präsidiere, ist die Aufsichtsbehörde und nicht die Wahlbehörde. Wir müssen nicht beurteilen, ob die Person die richtige oder die falsche ist. Sondern einzig, ob die Person ihren Auftrag richtig ausführt. Die Disziplinaruntersuchung hat verdeutlicht, dass Aufsicht notwendig ist. Dass sie nur funktioniert, wenn man hartnäckig ist und einen langen Atem hat.

Wie ist das zu verstehen?
Die Interessen des ehemaligen Bundesanwalts waren andere als unsere. Was uns aber während der Untersuchung erstaunte: dass der Prozess mit dem Parlament sehr zäh war.

Was heisst das?
Wir hatten die Disziplinaruntersuchung eingeleitet und die Gerichtskommission überzeugt, dass Herr Lauber nicht wiedergewählt werden sollte, weil er seine Glaubwürdigkeit verloren hatte. Aber die Bundesversammlung wählte ihn trotzdem wieder.

Das war im September 2019. SVP und FDP hatten sich zuvor deutlich, die SP knapp hinter den Bundesanwalt gestellt.
Nach meinem Empfinden fehlte der Mut, politische Verantwortung wahrzunehmen und den Rechtsstaat zu schützen.

Das Parlament war mutlos?
Das war mein Eindruck. Das Parlament zog es vor, den Ball den Gerichten zuzuspielen. Dabei lagen damals längst Fakten auf dem Tisch, die die Politik zum Nachdenken hätten anregen müssen. Der Bundesanwalt stand in der Kritik, schon bevor wir intervenierten. Unter anderem wegen der ominösen Treffen mit dem Fifa-Chef Infantino. Er verlor die Glaubwürdigkeit. Wenn der oberste Chef der Strafverfolgungsbehörde des Bundes die Glaubwürdigkeit verliert, haben wir ein Problem. Hier verschloss ein Teil der Politik die Augen.

So war es das Disziplinarverfahren der AB-BA, das letztlich zum Abgang des Bundesanwalts führte.
Für uns war es wichtig, zu zeigen, dass der Bundesanwalt nicht über dem Rechtsstaat steht.

Was ist die Lehre daraus?
Wer ein öffentliches Amt innehat, muss immer das Gemeinwohl, den Rechtsstaat als oberstes Prinzip haben. Als Behördenmitglied, als Richterin, egal.

Sie hören Ende Jahr als Präsidentin der AB-BA auf, es übernimmt ihr Vize Marc Thommen, Strafrechtsprofessor in Zürich. Funktioniert die Aufsicht, oder gibt es Optimierungsbedarf?
Die Aufsicht funktioniert gut. Wir haben durch die Disziplinaruntersuchung gegen den früheren Bundesanwalt viel Respekt gewonnen. Man weiss jetzt, dass wir hartnäckig dranbleiben und dass wir es ernst meinen. Die Beziehungen zum Parlament sind wieder sehr gut.

Die AB-BA ist personell eine kleine Behörde. Reicht das?
Wir sind eine kleine, aber fachlich starke Behörde mit sieben sehr engagierten Mitgliedern und einem sehr effizienten Sekretariat von 3,6 Stellen. Doch die Aufsicht funktioniert auch deshalb gut, weil es eine systemische Aufsicht ist, weil wir uns nicht in laufende Verfahren der Bundesanwaltschaft einmischen.

Was heisst das?
Wir versuchen, die Risiken bei der Bundesanwaltschaft herauszukristallisieren. Wir führen Inspektionen durch und besprechen die Risiken mit dem Bundesanwalt. In meiner Amtszeit haben wir beispielsweise erreicht, dass die Berichterstattung der Bundesanwaltschaft über ihre Fälle deutlich aussagekräftiger und transparenter wurde.

In einer dieser Inspektionen stellte die AB-BA Ermittlermangel bei der Bundeskriminalpolizei fest.
Die Bundesanwaltschaft unter dem jetzigen Bundesanwalt hat sich stabilisiert. Er reorganisiert seine Behörde weiter, um sie schlanker aufzustellen und den Fokus noch stärker auf die Strafverfolgung zu legen. Die Bundesanwaltschaft kann jedoch nur Straftaten verfolgen, wenn sie die notwendige Unterstützung von der Bundeskriminalpolizei erhält.

Für Sie steht fest, dass es mehr Ermittler bei Fedpol braucht?
Bei Fedpol als Bundesamt kann ich die Personalsituation nicht beurteilen, aber bei der zu Fedpol gehörenden Bundeskriminalpolizei fehlen definitiv Ermittler.

Muss sich daran schnell etwas ändern?
Ja, es braucht schnell mehr gute Ermittler: fachlich kompetent, sprachbegabt, kulturell gefestigt. Es braucht Quantität und Qualität, damit die Bundesanwaltschaft mehr Strafverfahren führen kann. Heute können manche Verfahren gar nicht in Angriff genommen werden. Ermittlermangel kann auch zur Folge haben, dass Verfahren nicht gut genug geführt werden, dass sie deswegen scheitern oder verjähren. Das darf in einem Rechtsstaat nicht sein.

Vorab die SVP tritt auf die Bremse, wenn es um mehr Fedpol-Ermittler geht.
Die SVP hat die gleiche Verantwortung wie alle anderen Parteien: die Sicherheit in der Schweiz zu gewährleisten. Das ist eine Kernaufgabe des Staates. Aber auch der Bundesrat könnte aktiver sein in seinen Bestrebungen, der Bundeskriminalpolizei mehr Ressourcen zuzuteilen. Schliesslich untersteht Fedpol und somit die Bundeskriminalpolizei dem Bundesrat.

Auch hier zeigt sich: Es braucht mehr Mut der Politik, mehr Sinn fürs Gemeinwohl?
Ich denke, es ist ein gesellschaftliches Problem. Partikularinteressen sind bisweilen wichtiger geworden als das gesellschaftliche Bewusstsein.

Sind Sie als Richterin unabhängig?
Die Unabhängigkeit der Richter ist in der Schweiz verfassungsmässig verankert. Wir sind nur dem Recht verpflichtet. Die Unabhängigkeit zeichnet sich dadurch aus, dass wir als Richter über den Partikularinteressen im Dienste des Rechtsstaates stehen.

Alexia Heine amtet seit 2012 als Bundesrichterin.
Bundesrichterin Alexia Heine gehört der SVP an.Bild: Andrea Zahler

Sie stehen nicht unter Druck Ihrer Parteien?
Wir Richterinnen und Richter gehören alle einer Partei an. Wir bilden den Proporz im Parlament ab. Das fördert die Transparenz: Ich als SVP-Richterin vertrete eher konservative Werte. Genauso wie mein SP-Kollege andere Werte vertritt. Aber gerade diese Unterschiede machen uns stark.

Wie das?
Wir urteilen im Spruchkörper gemeinsam. Wenn wir uneinig sind, führt das zu Diskussionen. Die Diskussionen machen uns gescheiter.

Das müssen Sie erklären.
Wenn ich mit einem Argument nicht einverstanden bin, muss ich es widerlegen. Also entweder wird mein Gegenargument noch besser. Oder ich lasse mich überzeugen. Unsere Urteilsfindung mündet in einem Konsens. Nicht in einem Kompromiss! Es ermöglicht uns, eine optimale gesetzeskonforme Lösung zu finden, die wir gemeinsam tragen.

Das Urteil ist wichtiger als Sie selbst?
Selbstverständlich. Das Wichtigste ist der Rechtsstaat. Dann kommt für mich die Judikative, in diesem Fall das Bundesgericht. Erst danach leiste ich meinen Beitrag als Magistratin. Ich selbst darf nicht wichtig sein. Der Rechtsstaat steht über den Parteiinteressen und den Partikularinteressen.

Alexia Heine
Nach Studium und Promotion startete die heute 56-jährige Alexia Heine ihre Karriere als Assistentin an der Universität St.Gallen, wurde Personalchefin beim Chemieunternehmen Clariant, dann Geschäftsführerin des Schweizer Sportmuseums. Nach weiteren Stationen in der Verwaltung und an Gerichten wurde sie 2012 für die SVP zur Bundesrichterin gewählt. Heine ist verheiratet mit dem SVP-nahen Werber Alexander Segert. Ihr Bruder ist der ehemalige Ruderer und Olympiasieger Xeno Müller.
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Bild: Andrea Zahler

Wie besorgt sind Sie über diesbezügliche Entwicklungen in den USA? Der Präsident nimmt Einfluss auf die Justiz, setzt sie gegen politische Gegner und Kritiker ein.
Wenn Strafverfolgung politisch instrumentalisiert wird, dann verliert sie ihre Legitimation. Das Gleiche gilt aber auch, wenn die Judikative nicht die nötige Zurückhaltung an den Tag legt. Also überall dort, wo politisch geurteilt wird.

Worauf spielen Sie an?
Beispielsweise auf das Klimaurteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Mit solchen Urteilen entsteht eine unheilvolle Vermischung der Staatsgewalten, die im Endeffekt der Demokratie schadet und das Vertrauen in die Institutionen gefährdet.

Macht Ihnen als Richterin die Entwicklung in den USA Sorgen?
Ich bin zuversichtlich, dass der Supreme Court ein unabhängiges Gericht bleibt. In Amerika haben wir es immer noch mit einem Rechtsstaat zu tun.

Sie wollen daran glauben.
Das ist richtig. In der Schweiz haben wir einen grossen Vorteil: Die Strafverfolgung ist nicht wie in den USA der Exekutive unterstellt. Bei uns ist der Bundesanwalt unabhängig, er ist von der Exekutive abgekoppelt. Es gibt niemanden, der ihm sagen kann, du musst das oder jenes tun. Wir als Aufsichtsbehörde sind ebenfalls unabhängig, auch das ist sehr wichtig.

Sie sind Richterin. Gerade ist wieder viel von «fremden Richtern» die Rede. Gibt es überhaupt fremde Richter?
Auch hier: Es geht um den Rechtsstaat und die Gewaltenteilung. Ein Rechtsstaat besteht aus der Gewaltenteilung, der Herrschaft des Rechts und dem Schutz der Grundrechte. Der Bürger wird in seinen Grundrechten durch unabhängige Gerichte geschützt. Für mich ist der Rechtsstaat der einzige Garant für den Schutz der Grundrechte und der Freiheit. Solange supranationale Organisationen, zu denen auch die EU gehört, nicht ansatzweise diese rechtsstaatlichen Garantien gewährleisten können, empfinde ich es als verantwortungslos, diese Kernaufgabe abzugeben. Zu Ihrer Frage: Ja, es gibt für mich fremde Richter.

Und die halten Sie für gefährlich?
Ich würde nicht Staatsgewalten abgeben. Ich würde nicht Kernkompetenzen abgeben.

Auch unsere Kantone geben Kernkompetenzen gegenüber dem Bund ab.
Korrekt. Das ist das nächste Phänomen: Zentrale Macht zieht Macht an. Das ist eine Tatsache. Die Gemeinden haben heute weniger Entscheidungsbefugnisse als noch vor 50 Jahren.

Vielleicht zum Glück.
Vielleicht. Ich bewerte es nicht.

Sie sind Richterin, Sie suchen nicht die Konfrontation. Im Gegensatz zu Ihrem Ehemann, dem bekannten SVP-Werber Alexander Segert, der mit seinen Kampagnen extrem polarisiert. Wie geht das zusammen?
Bei unserer ersten Begegnung hat mein Mann zu mir gesagt: «Sie werden mir immer als Freiheitskämpferin in Erinnerung bleiben.» Ich denke, das sagt genug aus über meine Selbstständigkeit als Person und meine Unabhängigkeit als Richterin.

Was hat das mit der Freiheitskämpferin auf sich?
Ich bin im Ausland aufgewachsen. Ich habe in Spanien noch unter Franco-Zeiten gelebt. Erst danach kam dort die Demokratie.

Das hat Sie geprägt?
Ja. Weil Spanien unter Diktator Franco damals tatsächlich sicherer war. Ich habe mir die Frage gestellt: Ist Sicherheit mehr wert als Freiheit?

Und die Antwort?
Freiheit und Demokratie sind immer das höchste Gut.

Warum wurden Sie Richterin?
Das wollte ich schon von sehr jung an. Mich hat der Rechtsstaat immer fasziniert. Im Studium war Verfassungsrecht mein Lieblingsfach.

Es ist Ihnen wichtig, für Gerechtigkeit einzustehen und zu sorgen?
Recht ist nicht immer Gerechtigkeit. Aber man sollte mit bestem Wissen und Gewissen dafür einstehen. (aargauerzeitung.ch)

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57 Kommentare
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DefBinFck
10.11.2025 21:33registriert August 2024
Zwischen Rechtsstaat und Redeverbot – ein Gespräch im Leerlauf

Ein Interview, das klingt wie eine Übung in Selbstdisziplin: Der Journalist fragt, ohne zu stören, die Richterin antwortet, ohne etwas preiszugeben. Viel Rechtsstaat im Vokabular, wenig Geist im Gespräch. Wenn beides – Frage und Antwort – glattgeschliffen wird, bleibt am Ende nur die perfekte Form ohne Inhalt. Und genau das scheint hier das eigentliche Urteil zu sein.
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Phuphi
10.11.2025 22:31registriert Juni 2020
Die Mitglieder der SVP wettern andauern über Fremde Richter und Fremdes Recht und gleichzeitig machen gerade ein paar Wirtschaftsmogule mit FDP und SVP Prägung im weissen Haus Unterwerfungsverträge ab, mit denen wir Fremdes Recht übernehmen sollen? Kann die mal jemand anstupsen?
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Allkreis
10.11.2025 22:12registriert Januar 2020
Wie kommt diese Richterin zum Schluss, dass die EU den Schutz und die Rechte der Bürger nicht ansatzweise garantieren kann? Das hätte mich sehr interessiert. Ich sehe das ganz anders: der Konsumentenschutz ist in der EU klar besser.
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