Er überwacht den Stau am Gotthard und sagt: «Ich fuhr mal extra in den Stau»
Seit 2008 betreibt das Bundesamt für Strassen die nationale Verkehrsmanagementzentrale (VMZ) in Emmenbrücke. Hier werden die Schweizer Nationalstrassen Tag und Nacht überwacht. Jean-Pierre Benguerel, Gruppenleiter und Verkehrsoperator, ist seit Beginn dabei und hat bezüglich Stau schon fast alles erlebt. Wir haben ihn bei seiner Arbeit besucht.
Jean-Pierre Benguerel, ich würde Sie gerne als «Hüter des Schweizer Staus» betiteln.
Jean-Pierre Benguerel: (lacht) Nein, das stimmt so nicht.
Was wäre denn passender?
Das ist noch schwierig. Wenn schon, dann hüte ich mit meinem Team den Verkehr und nicht den Stau. Vielleicht etwas in die Richtung «Manager des Schweizer Verkehrs».
Also, «Manager des Schweizer Verkehrs», das hört sich auch gut an. Aber was machen Sie eigentlich genau?
Wir sind bei der VMZ ein Team im Schichtbetrieb und überwachen die Nationalstrassen 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr. Gibt es irgendwo ein Problem in Form von Verkehrsüberlastung, Baustellen, Geisterfahrern oder Gegenständen auf der Fahrbahn, melden wir dies und versuchen es zu lösen oder zu entlasten.
Jetzt stehen die Pfingstfeiertage an, an denen sich der Fokus jeweils ganz speziell auf den Stau am Gotthard richtet. Treffen Sie dafür besondere Vorkehrungen?
Nein, eigentlich nicht. Wir haben keinen Extra-Operatoren im Einsatz. Stau am Gotthard ist ja eigentlich nichts Aussergewöhnliches. Der Stau ist einfach länger, was natürlich mehr Arbeit bedeutet. Aber wir haben an normalen Tagen vier Personen im Einsatz und an Feiertagen und Wochenenden drei. Das geht.
Für Sie also «business as usal».
Kann man fast so sagen.
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie sehen, dass sich wieder Stau vor dem Gotthard abzeichnet?
Man weiss es ja. Niemand muss sich beschweren, wenn er am Gotthard in den Stau kommt. Es ist einfach so. Zu viele Autos für zu wenig Strasse.
Warum tun sich die Leute das an?
Das frage ich mich manchmal auch. Ich verstehe den Wunsch, dass man sich ein paar schöne Tage im Süden gönnen will. Ich würde den Stau dafür nicht in Kauf nehmen wollen. Aber manchmal kann man es sich auch nicht anders einrichten. Wichtig ist aber auch: Man muss es nicht dramatisieren.
Wie meinen Sie das?
Im Stau verliert man eine Stunde, vielleicht mal zwei. Aber wie gesagt: am Gotthard zu Pfingsten gehört das dazu. Wenn man die Zeit schon in der Planung miteinrechnet, ist man dann auch im Stau entspannter.
Standen Sie auch schon mal im Gotthard-Stau?
Ja. Und ich muss sagen: Ich machte es extra. (lacht)
Wieso?
Ich fuhr mit meiner Frau einmal unter der Woche nach Ascona. Der Pass war schon offen, wir hätten also auch eine schöne Option gehabt und zeitlich waren wir frei. Die Meldung war drei Kilometer Stau am Nordportal. Da sagte ich zu meiner Frau: «Jetzt nimmt es mich Wunder, ob unsere Angaben stimmen.»
Mit der Staulänge?
Nein, mit der Wartezeit. Drei Kilometer bedeutet 30 Minuten Stau. Wir fuhren also in die Staukolonne und nach 29 Minuten erreichten wir den Tunnel. Das hat mich sehr gefreut.
Ärgern Sie sich besonders, wenn Sie in den Stau kommen?
Ja, total. Bei Unfällen kann man das natürlich nicht planen. Aber wenn ich wegen Verkehrsüberlastung in den Stau komme, dann ärgere ich mich schon. Normalerweise plane ich auch so, dass wir den Stau umfahren können.
Und was machen Sie, wenn Sie im Stau stehen?
Ich höre Musik. Wenn ich mich aufrege, zähle ich auf 10 und dann ist auch wieder gut.
Sie wirken total entspannt. Wenn ich mir einen Verkehrsüberwacher wünschen könnte, er müsste genau so sein wie Sie. Lernt man das im Beruf?
Ich war schon immer so. Hektisch werden bringt doch nichts. Man muss mit dem umgehen können, was ist. Den nächsten Schritt planen und machen, was man kann.
Hat sich Ihre Autonutzung verändert, seit Sie in Ihrem Beruf jeden Tag sehen, wo es überall Stau gibt?
Eigentlich nicht. Das Auto war und ist für mich ein Nutzfahrzeug, also nur ein Fortbewegungsmittel.
Fahren Sie mehr Zug?
Auch nicht. Aber ich nutze den ÖV. Da ich zentral wohne, habe ich auch gute Verbindungen überallhin.
Blicken wir noch kurz in die Zukunft. Es gibt das Phänomen des Phantomstaus, wo das Bremsen eines Autofahrers Stau aus dem Nichts auslösen kann. Moderne Autos könnten das mit ihren Sensoren entschärfen. Glauben Sie, dass sich das Stauproblem mit der neuen Generation von Autos verringert?
Das ist schwierig zu sagen. Solange der Faktor
Mensch wichtig bleibt, ist es schwierig. Und dann ist die Verbreitung dieser Systeme entscheidend. Ich kann mir gut vorstellen, dass es besser wird. Aber ich würde nie unterschreiben, dass es keinen Stau mehr gibt.
