Herr Geu, hat die Frau in Embrach richtig reagiert?
Andi Geu: In diesem Fall sind bisher keine Einzelheiten bekannt, deshalb ist es schwierig, hier bereits ein Urteil zu fällen. Ausserdem ist es immer zu begrüssen, wenn Personen bereit sind, bei Fehlverhalten einzuschreiten. Es ist aber sicher immer wichtig, die Risiken gut abzuwägen - insbesondere, wenn es um Sachbeschädigung geht und keine Menschen verletzt werden.
Kann man überhaupt auf falsche Weise Zivilcourage zeigen?
Die Leute denken immer, es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder geht man dazwischen oder man kann nichts tun, das ist aber nicht so. Manchmal braucht es bloss eine sprachliche Intervention aus sicherer Distanz oder einen Anruf bei der Polizei. So kann eine gefährliche Situation potentiell auch entschärft werden. Es gibt aber einige Dinge zu beachten, damit man sich nicht unnötig der Gefahr aussetzt, selber Ziel von Aggression zu werden.
An welche Punkte denken Sie konkret?
Es ist wichtig, dass man neutral in eine solche Situation geht. Auch wenn man mit der Absicht handelt, einer Ungerechtigkeit zu begegnen, muss man seine Emotionen kontrollieren. Versuche ich aggressiv zu intervenieren, könnte die Situation gefährlich für mich werden.
Ein konkretes Beispiel: Vor meinen Augen wird eine Person angegriffen, wie reagiere ich richtig?
Zuerst sollte man immer die Situation genau abklären. Was ist passiert? Wie verhalten sich die Täter, lachen sie oder sind sie nur aggressiv? Ausserdem sollte man auch darauf achten, wie es einem selber geht. Ist man bereit, eine Konfrontation zu riskieren? Je mehr Informationen ich vor meinem Eingreifen sammeln kann, desto eher reagiere ich richtig.
Und danach?
Dann ist es wichtig, Hilfe zu suchen. Hat es andere Personen vor Ort? Wenn ja, sollte man diese direkt ansprechen. «Sie mit der Lederjacke, können Sie mir helfen», oder so ähnlich. Es ist immer einfacher, wenn mehrere Personen intervenieren.
Was ist mit der Polizei?
Wenn ich eine Straftat beobachte, sollte natürlich auch die Polizei verständigt werden. Es kann aber eine Weile dauern, bis diese eintrifft. Bis dahin stehe ich vor der Frage, was tue ich bis dann? Deshalb ist es wichtig, dass man sich gleich vor Ort Hilfe sucht.
Ich habe die Situation also eingeschätzt und die Polizei ist auf dem Weg, wie gehe ich weiter vor?
Nun geht es um die eigentliche Konfrontation. Es ist wichtig, dass ich hier richtig auftrete. Die Schwierigkeit liegt hier darin, dass ich neutral bleibe, mich selbst aber nicht gleichzeitig zum potentiellen Opfer mache. Hier den Ausgleich zu finden, ist sehr anspruchsvoll.
Was gilt es konkret zu beachten?
Man sollte immer die Distanz wahren. Wenn ich aus zehn Metern Entfernung die Täter anspreche, reicht das oft aus. Ausserdem sollte man immer Fragen und keine Forderungen stellen. So fühlen sich die Aggressoren nicht direkt angegriffen. Weiter sollte man vermeiden, Unsicherheit zu zeigen.
Gibt es auch Situationen, in denen es sich nicht lohnt, zu intervenieren?
Wenn ich sehe, dass die Täter stark aggressiv, betrunken oder bewaffnet sind, gilt es Abstand zu wahren. Eine solche Situation sollte möglichst nur durch die Polizei oder andere Sicherheitskräfte gehandhabt werden. Hier gilt die Faustregel: Je weiter die Eskalation fortgeschritten ist, desto gefährlicher wird ein Eingreifen meinerseits. Eine physische Auseinandersetzung ist immer unberechenbar und sollte daher stets vermieden werden.
Warum unberechenbar?
Auch wenn ich zu zweit eine Person anhalte, kann es sein, dass diese ein Messer zieht oder physisch überlegen ist. Man weiss also nie genau, an was für eine Person man hier gerät. Darum sollte man auch im Falle einer Überlegenheit den Abstand wahren. Es bleibt hier immer ein Risiko!
Was ist bei einer Konfrontation das Wichtigste?
Man sollte stets darauf bedacht sein die Täter daran zu erinnern, dass sie beobachtet werden und ihr Verhalten nicht toleriert wird. Was man jedoch nicht tun sollte, ist mit dem Smartphone zu filmen.
Warum nicht?
Einerseits macht man sich damit sehr schnell zum Ziel weiterer Aggression, andererseits kann das Videomaterial kaum verwendet werden. In den meisten Kantonen werden Handy-Videos kaum vor Gericht als Beweismittel bestehen. Deshalb holt man das Handy am besten nur für einen Notruf aus der Tasche.