Herr Sciarini, was sagt dieses klare «Ja» zur 13. AHV-Rente über den Zustand der Schweiz aus?
Pascal Sciarini: Es zeigt, dass es einen grossen Teil der Schweizer gibt, die mehr Luft braucht. Selbst in der Schweiz, einem privilegierten Land, haben Teile der Bevölkerung unter der Inflation, der geringeren Kaufkraft, aber wahrscheinlich auch unter den niedrigeren Renditen der zweiten Säule gelitten.
Kann man diese Abstimmung als historisch bezeichnen? Zum ersten Mal hat eine soziale Initiative der Linken, in diesem Fall des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, gewonnen.
Ja, in dieser Hinsicht ist das Wort «historisch» nicht überstrapaziert. Es ist nicht das erste Mal, dass die Gewerkschaften eine Initiative lanciert haben, aber es ist das erste Mal, dass ihnen das Volk Recht gegeben hat. Zum gleichen Thema wurde vor acht Jahren die Initiative AHVplus, die eine zehnprozentige Rentenerhöhung forderte, mit 59 Prozent abgelehnt. Heute gibt es also einen Trendwechsel. Aus sozialpolitischer Sicht und im Hinblick auf die Forderungen der Gewerkschaften ist dieses Resultat ein ziemlich markantes Ereignis. Normalerweise schwindet die Unterstützung für linke Initiativen, je weiter die Kampagne voranschreitet. In diesem Fall setzte sich die anfängliche Tendenz bis zum Schluss fort.
Wäre das «Ja» zur 13. Rente ohne die Basis der SVP möglich gewesen?
Laut der letzten Umfrage war die SVP-Wählerschaft zu 60 Prozent gegen die Initiative und zu 40 Prozent dafür. Es ist aber klar, dass diese 40 Prozent zum Sieg des «Ja» beigetragen haben. In einer Reihe von Deutschschweizer Kantonen dürften die SVP-Wähler den Ausschlag zugunsten der Initiative gegeben haben
Was bedeutet dieses Ergebnis für die Linke im Hinblick auf die nächste von ihr unterstützte Abstimmung am 9. Juni, bei der es um die Deckelung der Krankenkassenprämien auf maximal 10 Prozent des Einkommens geht?
Das Ergebnis des heutigen Sonntags dürfte der Linken Auftrieb geben, so etwas sorgt für Energie und Optimismus, auch im Hinblick auf den 9. Juni. Selbst in einem Umfeld, in dem die Rechte viel mehr Geld als die Linke für Abstimmungskampagnen ausgibt, ist es der Linken bis zum Schluss gelungen, Geld für die Finanzierung der Initiative zur 13. AHV-Rente zu sammeln.
Können wir von einer neuen Schweiz sprechen?
Man sollte die Bedeutung des Ergebnisses von diesem Sonntag nicht überbewerten. Diese Frage hätte man sich ja auch nach den eidgenössischen Wahlen im Oktober stellen können, nachdem die SVP zugelegt hat. Aber das ist das Schöne des Schweizer Systems: Zuerst gibt es Wahlen, die den Eindruck erwecken, dass sich die populistische Rechte langfristig durchsetzen wird, einige Monate später folgt ein wichtiger Erfolg für die Linke.
Einkommensfragen können existenzielle Ängste nähren. Die aktuelle Existenzangst, die durch das «Ja» zur 13. Rente vorübergehend gemildert wurde, muss also nicht unbedingt ein Zeichen für einen allgemeinen Linksruck sein. Was denken Sie?
Das ist absolut richtig. Man sollte das Ergebnis dieser Abstimmung nicht überinterpretieren. Dennoch gibt es eine Lektion für die Linke: Diese besteht darin, zu den Grundlagen, der Sozial- und Wirtschaftspolitik, zurückzukehren und vielleicht nicht zu viel Energie auf die Verteidigung hyperprogressiver gesellschaftlicher Punkte zu verschwenden, die für die linken Parteien schädliche Gegenreaktionen hervorrufen.
Kann man in diesem Sinne sagen, dass die Maillard-Linie, die nicht gesellschaftspolitisch, sondern materialistisch ist, erfolgsversprechend für die Linke in der Schweiz ist?
Ja, das kann von Vorteil sein. Und die Tatsache, dass er jetzt an der Spitze der grössten Gewerkschaft des Landes steht, trägt ebenfalls dazu bei. Er kommt selbst aus dem Umfeld, das er verteidigt. Er wird als glaubwürdig wahrgenommen, um die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten.
Merci für heute👍🏻
Ihr überbordet nicht mit Forderungen mit Sozialkontext und wir Arbeitgeber lassen euch partizipieren am Gewinn. Ein Geben und Nehmen.
Leider, leider wird von den Mänätschern nur noch abgesahnt, die Gewinne werden abgeschöpft mittels Dividenden..
Der Arbeitnehmer ist nur noch Handlanger der Mächtigen.
Deshalb gab es jetzt die rote Karte. Stop und nicht mehr weiter.
Ich habe die Befürchtung, dass linke Politiker nun in einen Rausch geraten und realitätsferne Initiativen einreichen. Ich will soziale und mehrheitsfähige Veränderungen! Nicht utopische Fantasien, die krachend scheitern!
Die breite Bevölkerung muss abgeholt werden. Immer mehr Menschen dämmert es, dass sich eine Elite schamlos bereichert. Es hätte genügend für alle, es muss nur fairer verteilt werden. Leistung soll honoriert werden, aber nicht ins Bodenlose!
Macht Politik für viele, nicht für wenige!