Der Fall der «Maskenmillionäre» wird vielseitig diskutiert: In der Öffentlichkeit, aber auch durch den Staat, der 2021 ein Strafverfahren gegen die Emix Trading AG beziehungsweise deren Verantwortlichen eröffnete. Während sich die öffentliche Debatte vor allem um die moralische Dimension des Falles dreht, setzen sich die Staatsanwaltschaft und die Gerichte mit konkreten Tatbeständen auseinander.
In der Schweiz und in Deutschland laufen mehrere Verfahren gegen in die Geschäfte involvierte Personen, sowohl zivilrechtliche (geklagt haben mehrere Spitäler sowie Investoren) als auch strafrechtliche. Die Vorwürfe, die im Raum stehen: Fälschung, schlechte Qualität und zu hohe Preise – im letzten Fall also Wucher. In allen Fällen gilt die Unschuldsvermutung. Immer wieder gelangen über die Medien, die unter anderem mittels Öffentlichkeitsgesetz den Zugang zu Dokumenten erlangten, neue Details ans Licht – wie zum Beispiel vor Kurzem brisante WhatsApp-Nachrichten.
Doch das Justizsystem ist komplex – ebenso wie der Fall, in dem so einige Punkte zusammenkommen. Wir haben einen Rechtsexperten, den Anwalt Jonas Gassmann, dazu befragt.
Wegen des Verdachts auf Wucher führt die Zürcher Staatsanwaltschaft zurzeit ein Strafverfahren gegen die Verantwortlichen vom Zuger Handelsunternehmen. Können Sie uns erläutern, was das bedeutet?
JONAS GASSMANN: Zunächst einmal muss man wissen, dass Fälle von Wucher in der Schweiz sehr exotisch sind. Wir sprechen hier von ungefähr 40 bis 50 Verurteilungen pro Jahr, das ist sehr wenig. Zum Vergleich: Jährlich kommt es schweizweit im Durchschnitt zu rund 2000 Verurteilungen wegen Betrugs. Dann geschah das Ganze ja auch noch während einer absoluten Ausnahmesituation. Selten ist auch, dass der Staat gleichzeitig in der Geschädigtenrolle ist.
Die Strafanzeige gegen Emix hat aber offenbar ein Luzerner Anwalt eingereicht.
Ich kenne die Details nicht. Zentral ist aber: Wucher ist ein sogenanntes Offizialdelikt, der Staat muss also von sich aus ein Strafverfahren eröffnen, wenn er Hinweise auf Wucher erhält – einen Strafantrag der geschädigten Person braucht es daher nicht. Der Staat hat im Masken-Fall eine Art «Doppelrolle».
Warum?
Der Staat – respektive die Staatsanwaltschaft und die Polizei – leitet das Strafverfahren und ist gleichzeitig mutmasslich geschädigt. Käufer der fraglichen Masken waren unter anderem ja die Armee, also das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) – also nicht eine Privatperson oder ein Unternehmen.
Wenn die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren führt, was heisst das konkret?
Die Strafverfolgungsbehörden klären damit, ob ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten vorliegt. Während des Ermittlungsverfahrens kann die Polizei beispielsweise Personen vorübergehend in Polizeihaft nehmen, Beweise sichern oder auch nach verdächtigen Personen fahnden.
Wie geht es weiter – kommt es immer zu einer Anklage?
Gestützt auf den Polizeibericht oder auf andere Erkenntnisse ist es am Ende die Staatsanwaltschaft, die darüber entscheidet, ob eine Strafuntersuchung eröffnet wird. Es werden dann die nötigen Beweise erhoben, also zum Beispiel Einvernahmen durchgeführt und allenfalls kommt es auch zu Zwangsmassnahmen, wie zum Beispiel Untersuchungshaft, Hausdurchsuchungen oder Beschlagnahme von Dokumenten oder Chat-Nachrichten. Es kommt vor, dass die beschuldigte Person erst bei ihrer Festnahme oder mit der Vorladung zur Einvernahme vom eröffneten Strafverfahren erfährt. Erhärtet sich der Tatverdacht, erlässt die Staatsanwaltschaft entweder einen sogenannten Strafbefehl oder sie erhebt Anklage beim zuständigen Gericht. Im Strafbefehlsverfahren und auch vor Gericht hat die beschuldigte Person dann verschiedene prozessuale Instrumente, um einzelne Verfahrensschritte anzufechten.
Das scheint hier der Fall zu sein. Gemäss Tamedia-Zeitungen sollen «in jedem Verfahrensschritt alle Rechtsmittel genutzt werden, um das Verfahren in die Länge zu ziehen.» Kommen wir nochmal zum Straftatbestand zurück – was bedeutet denn Wucher genau?
Wucher ist ein klassisches Vermögensdelikt. Als gängiges Beispiel kann man sich den Fall eines Täters vorstellen, der die finanzielle Notlage eines Opfers wie folgt ausnützt: Das Opfer braucht dringend Geld, der Täter weiss das und stellt ihm ein Darlehen zur Verfügung – aber zu einem extrem hohen Zins, vielleicht von 20 Prozent oder mehr. Das wäre weit über dem, was auf dem Markt üblich ist, und kommt einer Ausbeutung gleich.
Es gab auch schon Verurteilungen wegen Wuchers auf dem Wohnungsmarkt. So wurde etwa ein Vermieter verurteilt, der bei gegebener Wohnungsknappheit einen Mietzins von 25 Prozent oder mehr über der Marktmiete verlangt hatte. Man orientiert sich bei der Frage, ob Wucher vorliegt, aber nicht an definierten, allgemeingültigen Zahlen, sondern meist am Markt- beziehungsweise Verkehrswert.
Wie wird denn konkret entschieden, ob es sich um Wucher handelt?
Hier muss ich kurz das Technische vorausschicken. Ein Straftatbestand ist immer gleich aufgebaut: Es gibt, verkürzt gesagt, den objektiven Tatbestand und den subjektiven. Unter ersterem versteht man Elemente, die objektiv erfüllt sein müssen. Bei einer Körperverletzung, zum Beispiel, wären das die Verletzungen am Opfer, die nachgewiesen werden können. Der subjektive Tatbestand umfasst den sogenannten Vorsatz: Der Täter muss mit Wissen und Willen gehandelt haben – oder die Verwirklichung des Tatbestands zumindest in Kauf genommen haben. Je nach Straftatbestand kann auch die fahrlässige Begehung strafbar sein – Wucher verlangt allerdings Vorsatz.
Und was bedeutet das nun im Fall von Wucher – und konkret beim Emix-Fall?
Zunächst muss (auf der objektiven Seite) eine Schwächesituation beim Opfer bestanden haben. Das kann sich gemäss Gesetz um eine Zwangslage, eine Abhängigkeit, Unerfahrenheit oder eine Schwäche im Urteilsvermögen handeln. Ich gehe davon aus, dass wir im Masken-Fall von einer Zwangslage reden.
Inwiefern war der Bund da in einer Zwangslage?
Das wird am Ende die Staatsanwaltschaft respektive das Gericht entscheiden müssen. Man kann aber sagen: Es war eine ausserordentliche Situation, das Angebot an Masken und möglichen Anbietern war äusserst knapp, gleichzeitig musste der Staat schnell entscheiden respektive handeln. Die Zwangslage muss nicht unbedingt wirtschaftlicher Natur sein. Das Opfer wird aber in jedem Fall in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt. Es muss sich in einer Lage befinden, in der es in ernsthafte Bedrängung gerät, wenn es die Leistung nicht beziehen kann. Und zwar so, dass es sich am Ende eben zu einer Leistung bereit erklärt – auch wenn diese extrem teuer ist. Im Masken-Fall dürfte sich meines Erachtens eine Zwangslage seitens des Bundes wohl begründen lassen.
Was muss für den Tatbestand Wucher noch gegeben sein?
Es muss eine Ausnützung respektive Ausbeutung stattfinden, und zwar zur Erzielung einer weit übersetzten Gegenleistung. Und das dritte objektive Element ist ein offenbares Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung.
Wie schätzen Sie diesen letzten Punkt im Fall der «Maskenmillionäre» ein?
Meines Erachtens wird das der Knackpunkt in diesem Fall sein. Natürlich waren die Preise, die damals für diese Masken bezahlt wurden, massiv. Aber wenn zu dieser Zeit alle anderen Anbieter einen ähnlich hohen Preis verlangt haben, könnte es schwierig werden, das als Wucher zu begründen. Ich glaube daher, das Ganze steht und fällt mit der Frage, ob es hier wirklich ein «offenbares Missverhältnis» gab – oder ob es nicht einfach das war, was das Unternehmen unter gegebenen Umständen verlangen konnte. Das wird letztlich die Staatsanwaltschaft respektive das Gericht entscheiden müssen.
Wie steht es um den subjektiven Tatbestand?
Dieser besagt, dass der Täter um die drei eben aufgezählten, objektiven Elemente gewusst und deren Verwirklichung angestrebt oder zumindest in Kauf genommen haben muss.
Kürzlich tauchten Text-Nachrichten der Emix-Gründer in den Medien auf. Sie wurden im Zuge einer Zivilklage, die ebenfalls noch gegen sie läuft, öffentlich. Dort steht zum Beispiel, dass der Absender hofft, dass eine Pandemie ausgerufen werde, da «dann der Staat alles überteuert einkaufen» wird.
Die Verteidigung wird wahrscheinlich argumentieren, das sei aus dem Kontext gerissen oder nicht wörtlich zu verstehen. Aber klar: Für die Unternehmer sind diese Nachrichten ... ungünstig. Sie dürften ein wichtiges Puzzle-Teil für die Staatsanwaltschaft sein, um den subjektiven Tatbestand nachzuweisen.
Gibt es im Gesetz eigentlich keine Unterschiede in Bezug auf die Art der Ware?
Nein. Klar, schaut man sich bei der Beurteilung die Gegebenheit spezifisch auf diesem oder jenem Markt an. Aber in Bezug auf Wucher unterscheidet man nicht zwischen Produktarten.
Aber medizinische Ware ist zum Beispiel etwas anderes als Spielzeug.
Natürlich. Hier greifen aber auch noch verschiedene, sektorspezifische Regulierungen, die dafür vom Staat erlassen wurden. Zum Beispiel gibt es das Medizinprodukterecht, das stark durchreguliert ist – aus offensichtlichen Gründen. Je nachdem können dann noch weitere, eben spezialgesetzliche Strafbestimmungen einschlägig sein. Das hat aber nichts mehr mit der Straftat Wucher im Strafgesetzbuch zu tun.
Die Emix-Unternehmer sollen auch Druck auf einen der Käufer, die Armee, gemacht haben: Sie solle sich bis am Mittag gleichentags entscheiden, denn es läge noch ein anderes Angebot vor. Ist das legal?
Zu prüfen wäre hier der Straftatbestand der Nötigung. Das könnte potenziell ein Thema sein, aber es müsste schon einiges dafür gegeben sein. So braucht es gemäss Gesetz gegenüber dem Opfer eine «Androhung ernstlicher Nachteile» oder eine «andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit.» Zudem ist bei diesem Straftatbestand die Begründung der Rechtswidrigkeit komplizierter.
Wie wird Wucher in der Schweiz bestraft?
Ist der Straftatbestand erfüllt, droht der beschuldigten Person (je nach Verschulden und den konkreten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen) eine Geldstrafe von maximal 540'000 Franken oder eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Allerdings: Hat jemand gewerbsmässig gewuchert – war das sozusagen deren «Business-Modell» –, droht sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren. Sowohl bei der Geld- als auch der Freiheitsstrafe ist aber ein bedingter Vollzug möglich (in diesem Fall wird die Strafe «fällig» wenn die beschuldigte Person in der Probezeit erneut straffällig wird). Die Staatsanwaltschaft respektive das Gericht prüft im Einzelfall, ob eine unbedingte Strafe notwendig erscheint, um die beschuldigte Person von weiteren Straftaten abzuhalten, oder ob auch eine bedingte Strafe ausreicht.
Einerseits natürlich das Verhalten der Jungunternehmer, welches zumindest ethisch definitiv unter aller Sau war. Kein Wunder dass es dafür Applaus von ganz bestimmten Personen gab.
Andererseits aber auch die - bestenfalls - Naivität der Abnehmer, speziell der Armee. Ob da im Hintergrund nicht mehr gelaufen ist, wird hoffentlich noch näher beleuchtet.