Es ist laut am Beckenrand. Chlorgeruch hängt in der Luft, das Wasser glitzert im Licht der Abendsonne. Dann ertönt eine Männerstimme: «Ihr seid eine Schande. Ihr schwimmt wie tote Ratten!»
Die Jugendlichen im Wasser halten inne. Für manche ist es nur ein weiterer Satz, eine weitere Entgleisung. Für andere ist es wie ein Schlag in die Magengrube. Wieder einer dieser Tage, an denen der Trainer seinen Frust in Worte kleidet.
«Wenn ihr so weiter schwimmt, könnt ihr gleich zu den Babys», ruft er einmal. Regelmässig verspottet er Einzelne vor versammelter Mannschaft und wirft ihnen mangelnden Einsatz vor. Als beleidigend, demütigend und vulgär beschreiben die Minderjährigen den Umgang des 58-jährigen Trainers, der zwischen 2012 und 2023 in einem Tessiner Schwimmklub angestellt war.
2022 verschlechterte sich das Klima im Training weiter. Zwölf Athletinnen und Athleten verliessen schliesslich das Team. Alle aus denselben Gründen: Die Umstände seien unerträglich geworden.
Wer sich wehrte, musste mit Strafen rechnen: Ausschluss von Wettkämpfen oder Training, Degradierung, Isolierung vom Team. Vereinzelt wurde der 58-Jährige sogar handgreiflich. Ein Athlet berichtete, der Trainer habe ihn an den Schultern gepackt und festgehalten.
Wer die erwartete Leistung nicht erbrachte, musste sich vor den anderen entschuldigen, was die Minderjährigen als demütigend empfanden. Wer mit dem Sport aufhören wollte, wurde als «Versager» verspottet. Zu einem Junior habe er gesagt, er könne «zum Turmspringen wechseln» und danach kaum noch mit ihm gesprochen.
Im März 2023 ging bei Swiss Sport Integrity (SSI) eine Meldung eines Elternteils ein. Der Vorwurf: gezielte Erniedrigungen und Methoden, die von den Minderjährigen als sehr aggressiv empfunden wurden. Zudem habe es der Trainer auf einzelne Schwimmerinnen und Schwimmer abgesehen.
Nach zahlreichen Befragungen ist für SSI klar: Der 58-jährige Trainer hat die Minderjährigen einem unangemessenen psychischen Druck ausgesetzt und damit deren psychische Integrität verletzt. Der Beschuldigte bestreitet das. Im März 2025 kam es vor dem Sportgericht zur Verhandlung.
Die Liste der Vorwürfe ist lang und erstreckt sich auf über 20 Seiten. Der Trainer habe übertriebenen Druck ausgeübt, schulische Verpflichtungen kleingeredet und ein Klima der Angst geschaffen. Weder Verletzungen noch Fieber habe er als Grund für das Fehlen im Training gelten lassen.
Ein Jugendlicher musste trotz einer Verletzung an der Hand mit Schiene weiterschwimmen. Verletzungen seien an der Tagesordnung gewesen und Folge der zu hohen Trainingsbelastung. Schmerzen spielte der Trainer herunter und sagte: «Das ist alles nur im Kopf.»
Für viele Betroffene sei die psychische Belastung indes grösser gewesen als die körperliche. In einem Fall sagte der Trainer: «Es wäre besser gewesen, du wärst nicht mehr gekommen.» Der Junior hatte zuvor wegen schulischer Verpflichtungen ein Training verpasst.
Bei den verbalen Aussetzern blieb es nicht. Mehrfach soll der Trainer Schwimmer grob aus dem Wasser gezogen haben. Eine junge Sportlerin schildert, wie er sie am Arm festhielt, als sie nach einem Disput die Garderobe aufsuchen wollte. Die Episode aus dem Sommer 2022 ist eine der wenigen, die zeitlich klar zugeordnet werden kann.
Sie habe den Griff als Einschüchterung empfunden – «wahrscheinlich ohne, dass er es so gemeint hat». Der Trainer bestreitet nicht, sie berührt zu haben, erklärte aber, er habe nur verhindern wollen, dass eine Minderjährige allein die Schwimmanlage verlässt.
Nicht alle Aussagen belasten den Trainer. Mehrere Eltern und Ex-Aktive loben ihn als engagierten Coach, der bei schulischen Konflikten Rücksicht genommen habe. Selbst zwei der Hauptbelastungszeugen räumen ein, er habe grundsätzlich immer das Wohl seiner Athleten im Blick gehabt. Viele Aussagen der Anklage seien vage, undatiert oder vom Hörensagen.
Einsicht oder Reue zeigte der Trainer nicht, sprach von Missverständnissen und überzogenen Reaktionen.
Bei der Verhandlung rechtfertigte der Trainer sich und seine Methoden. Er habe nie das Ziel verfolgt, die Würde seiner Athletinnen zu verletzen, sie auszuschliessen oder zu demütigen, sondern lediglich «Disziplin, Respekt und Strenge» durchsetzen wollen.
Gehör fand er beim Sportgericht damit nicht. Es sprach ihn der Verletzung der psychischen Integrität schuldig, verwarnte ihn schriftlich und legte ihm nahe, sich bei einer Pädagogin oder einem Sportpsychologen Hilfe zu holen. Verpflichtend ist das Coaching nicht.
Die Gerichtskosten von 1500 Franken werden zu zwei Dritteln vom Trainer, zu einem Drittel SSI auferlegt; jede Partei trägt ihre eigenen Anwaltskosten.
Swiss Sport Integrity hatte ein Coaching und eine einjährige Sperre gefordert. Doch das Sportgericht verwies auf mildernde Umstände: Der Trainer sei kein Wiederholungstäter und das Fehlverhalten zeitlich begrenzt gewesen, in einer schwierigen Saison während der Coronapandemie.
Zwar verlängerte der Schwimmklub den Vertrag mit dem Trainer 2023 nicht, der 58-Jährige fand aber umgehend einen neuen Verein. Inzwischen ist er in seine Heimat Italien zurückgekehrt, wo er ausschliesslich Erwachsene trainiert.
Gut, dass er nun wenigstens keine Jugendlichen mehr trainiert, aber eigentlich sollte man ihn auch von Erwachsenen fernhalten.