Schweiz
Justiz

Trotz Freiheitsstrafe: Brian Keller kommt übermorgen frei

Brian kommt am Freitag aus dem Knast – Staatsanwalt warnt vor hoher Rückfallgefahr

Das Bezirksgericht Dielsdorf hat Brian am Mittwoch zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Weil diese Strafe noch nicht rechtskräftig ist, kommt der 28-Jährige am Freitag aber auf freien Fuss. Wie es jetzt weitergeht.
08.11.2023, 09:0909.11.2023, 13:01
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Am 10. November um 10 Uhr werde Brian aus der Sicherheitshaft entlassen, verfügte der Richter bei der Urteilseröffnung. Der 28-Jährige kommt also bis auf Weiteres in Freiheit. Allerdings muss er die Freiheitsstrafe von 2,5 Jahren möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt antreten. Sie ist noch nicht rechtskräftig und kann noch ans Obergericht und ans Bundesgericht gezogen werden.

brian keller carlos
Brian Keller auf seinem Instagram-Kanal.Bild: screenshot/https://www.instagram.com/brian_nr1/

Vom schwersten, neu angeklagten Delikt, einer versuchten schweren Körperverletzung, wurde Brian am Mittwoch freigesprochen. Schuldig gesprochen wurde er hingegen wegen Körperverletzung, Sachbeschädigungen, Drohungen und Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte.

Für diese verschiedenen Delikte wurde er nun zu zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. 370 Tage davon hat er bereits abgesessen.

Drohungen und hohe Rückfallgefahr

«Nach langen Jahren geht ein neues Kapitel auf. Wir beenden Brians Haftsituation», sagte der Richter am Mittwoch bei der Urteilseröffnung. «Wir laden alle ein, die sich für Brian interessieren, sich um ihn zu kümmern und zu begleiten.»

Es werde nicht einfach für ihn, sich in der Situation zu bewähren. «Brian muss sich bewusst sein, dass neuerliche Gewalthandlungen wieder zu einer Inhaftierung führen können.» Das Gericht verbot Brian denn auch, sich dem Gefängnis Pöschwies zu nähern und sich in irgendeiner Art und Weise bei den Gefängnismitarbeitern zu melden.

Grund dafür dürften seine zu Hunderten geäusserten Drohungen sein, die er seinen Aufsehern gegenüber getätigt hatte:

«Ich vergesse nicht, was ihr mir angetan habt. Ihr werdet dafür bezahlen.»

Oder:

«Ich schlitze euch auf! Ich werde euch finden, wenn ich rauskomme.»

Auch der Staatsanwalt macht sich Sorgen: In der Freiheit werde Brian mit Provokation konfrontiert und er habe eine hohe Rückfallgefahr.

Das Leben danach

Es werde nicht einfach für ihn, sich in der Situation zu bewähren, so der Richter.

«Brian muss sich bewusst sein, dass neuerliche Gewalthandlungen wieder zu einer Inhaftierung führen können.»

Das Gericht verbot Brian denn auch, sich dem Gefängnis Pöschwies zu nähern und sich in irgendeiner Art und Weise bei den Gefängnismitarbeitern zu melden.

Brian Keller meldet sich über Instagram zu Wort.
Brian Keller auf Instagram.Bild: instagram

Bis zum Ende der Sicherheitshaft am Freitag um 10 Uhr müssen Angehörige und seine Anwälte nun einen «Empfangsraum» schaffen, wie das der Richter ausdrückte. Der 28-Jährige braucht einen Sozialpädagogen, eine Wohnung und eine Tagesstruktur. Sein Berufswunsch ist es nach wie vor, Profi-Boxer zu werden. Dafür hat er bereits einen Trainings- und Ernährungsplan erstellt. «Brian schlägt nur im Boxring. Ausserhalb des Boxrings schlägt Brian nie», stellte der Richter das Ziel des «Empfangsraums» klar.

Das Ziel des Empfangsraums lautet gemäss Brians Anwälten:

«Brian schlägt nur im Boxring, ausserhalb des Rings schlägt Brian nie.»

Sicherheitshaft nicht mehr angezeigt

Die Sicherheitshaft im Gefängnis Zürich fortzusetzen, kam für das Gericht nicht in Frage. Seit Brian nicht mehr im Gefängnis Pöschwies in Isolationshaft sitze, sondern im Gefängnis Zürich, zeige er ein «in der Regel gutes Verhalten». Die Sicherheitshaft sei nicht mehr angezeigt und müsse innerhalb von 48 Stunden beendet werden.

Dazu komme, dass die Strafe, die schlussendlich rechtskräftig werden dürfte, schon fast abgesessen sei. Zieht der Staatsanwalt das Urteil aus Dielsdorf weiter, was so gut wie sicher ist, sind am Zürcher Obergericht dann zwei Brian-Verfahren hängig. Diese dürften zu einem Fall zusammengefasst werden, weil sie inhaltlich identisch sind.

Auch im ersten, noch hängigen Verfahren ging es um Angriffe auf Gefängnismitarbeitende und Sachbeschädigungen. «Brians bisherige Haftdauer von 73,5 Monaten kommt wohl nahe an die zu erwartende Gesamtstrafe für beide Verfahren», sagte der Richter dazu. Kurz: Es dürfte gar keine Strafe mehr übrig bleiben, die er absitzen könnte.

Staatsanwalt reagiert zerknirscht

Der Staatsanwalt reagierte zerknirscht auf das milde Urteil. Er melde nun Berufung an und prüfe den Weiterzug, sagte er. Auf einen sofortigen Einspruch gegen das Ende der Haft verzichtet er aber.

Es gehe ihm nicht darum, Brian möglichst lange im Gefängnis zu halten, sagte er.

«Aber es wäre besser gewesen, sein Leben in Freiheit länger vorzubereiten als in nur 48 Stunden.»

Schliesslich gehe es auch um die Sicherheit der Öffentlichkeit.

Diese Szenarien wären auch möglich gewesen

Während der Staatsanwalt eine Freiheitsstrafe von neun Jahren und sieben Monaten gefordert hatte, setzte sich Brians Anwaltsteam für seine Freilassung ein.

Strafexperte André Kuhn erklärte gegenüber «Blick», welche Szenarien bei der Urteilsverkündung am Mittwoch möglich gewesen wären.

1. Schwere Körperverletzung

Beim schwersten neu angeklagten Delikt, einer versuchten schweren Körperverletzung, soll Brian eine Glasscherbe in Richtung eines Aufsehers geworfen haben. Dieser wurde oberhalb des Auges verletzt.

Laut Kuhn hätte dieses Delikt den Strafrahmen vorgegeben, falls Brian dafür verurteilt worden wäre. In diesem Vergehen ist er aber freigesprochen worden.

Für eine schwere Körperverletzung sieht das Strafgesetzbuch eine Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren vor. In Kombination mit anderen Delikten hätte die Strafe im Falle Brians aber noch höher ausfallen können. Die oberste Grenze wäre bei 15 Jahren gelegen.

2. Einfache Körperverletzung

Der Vorfall mit der Glasscherbe wurde vom Richter als einfache Körperverletzung eingestuft. Der Richter begründete sein Urteil damit, dass es sich bei der Scherbe um ein Stück Sicherheitsglas gehandelt habe. Das Teil, das der Beschuldigte geworfen habe, hätte keine schweren Verletzungen auslösen können.

Dem passionierten Hobby-Boxer hätten bei einfacher Körperverletzung bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe drohen können. Da Keller noch drei weitere einfache Körperverletzungen sowie weitere Delikte vorgeworfen wurden, hätte sich das Strafmass auf maximal viereinhalb Jahre Freiheitsstrafe belaufen können.

Schlussendlich belief sich das Strafmass auf 2,5 Jahre Freiheitsstrafe.

3. Erlaubte Gegenwehr

Der 28-Jährige hatte zwar hinter Gittern 30 Delikte begangen, ein Freispruch war dennoch nicht auszuschliessen. Strafexperte André Kuhn erklärte gegenüber Blick:

«War Kellers Verhalten eine erlaubte Gegenwehr gegen eine menschenrechtswidrige Haltung im Gefängnis, muss ihn das Gericht freisprechen.»

Kuhn führt aus, dass in der Schweiz seines Wissens noch nie ein Gefangener über einen längeren Zeitraum so hart behandelt worden sei und sich noch nie einer auf diese Weise gewehrt habe. Darauf baute die Verteidigung von Brian auf. Die von Keller ausgeführten Delikte seien ausschliesslich auf die Isolationshaft zurückzuführen. «Brian braucht nur eine Chance, er wird sie nutzen. Lassen Sie ihn frei», so Brians Anwalt in seinem Plädoyer vergangene Woche. Wäre Kellers Verhalten als eine erlaubte Gegenwehr eingestuft worden, wäre es nicht unwahrscheinlich gewesen, dass Brian freigekommen wäre.

Gutachter warnte vor Freilassung

Ein Gutachter bezeichnete eine allfällige Freilassung am ersten Prozesstag jedoch als «grosses Experiment». Brian könne sich an Situationen anpassen, aber er sei kein anderer Mensch geworden. Seine Persönlichkeitsstruktur sei nach wie vor unverändert, da er sich jeglicher Therapie verweigere. Konflikte mit ihm könnten nach wie vor rasch eskalieren.

Gemäss Gutachten hat Brian Anzeichen für eine dissoziale Persönlichkeitsstörung mit ausgeprägten, psychopathischen Wesenszügen, dazu ADHS und Depressionen.

(saw mit Material der Nachrichtenagentur sda)

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409 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Geröllhaldenprofi
08.11.2023 09:20registriert September 2020
Die Frage ist wohl eher wie schnell er wieder drin ist falls er raus kommt. Mir tun seine zukünftigen Opfer jetzt schon leid.
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P. ajaja
08.11.2023 09:33registriert April 2023
Ich habe seine Geschichte auch gelesen und hier haben Erwachsene bereits gegenüber einem Kind grob versagt. Auch die Zustände im Gefängnis, die zu Recht (international) kritisiert wurden, trugen dazu bei.

Trotzdem bin ich der Auffassung, das er nach wie vor gefährlich ist. Seine Verweigerung einer Therapie, die Haltung gegen das System (auch wenn es in Teilen nachvollziehbar ist aufgrund seiner Vorgeschichte), verhindern eine soziale Integration.

Eine unbedingte Freilassung ist ein Experiment, dass ein Opfer bezahlen wird.
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skandalf
08.11.2023 09:27registriert November 2021
Ja super. Lasst ihn ruhig raus. Er wird sicher innerhalb der ersten Tage beweisen wie Lamm fromm er ist.
Gebt einfach vorher bescheid, dass man weiss an welchem Wochenende man zürich meiden muss.
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