Die Schweiz hinkt bei der Bekämpfung von Insiderhandel hinterher
Die Polizisten erschienen am Morgen des 2. Dezembers. Sie durchsuchten die Räumlichkeiten am Hauptsitz des börsenkotierten Unternehmens Software One in Stans NW. Auch in Deutschland und Grossbritannien liessen die Justizbehörden Büros und Privatwohnungen durchsuchen. Der Verdacht: Insiderhandel.
Von Insiderhandel spricht man, wenn kursrelevante und noch nicht öffentliche Informationen über ein börsenkotiertes Unternehmen verwendet werden, um sich einen Vorteil gegenüber der breiten Öffentlichkeit zu verschaffen. Im konkreten Fall geht es darum, dass Software One letztes Jahr zwei vorbörsliche Medienmitteilungen veröffentlichte, die einen negativen Einfluss auf den Aktienkurs des Unternehmens hatten. Im Vorfeld der Publikation der Mitteilungen verkauften fünf ehemalige beziehungsweise derzeitige leitende Mitarbeiter von Software One grössere Mengen Aktien. So sollen sie Verluste von bis zu 2,5 Millionen Franken vermieden haben.
Die Bundesanwaltschaft führt mehrere Strafverfahren gegen sie, nicht aber gegen das Unternehmen selbst. Die betreffenden Mitarbeiter waren mindestens zwei Stufen unter der Geschäftsleitung tätig, wie Software One gegenüber «Finanz und Wirtschaft» erklärte. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Seit der Pandemie häufen sich die Fälle
Der Fall wirft ein Schlaglicht auf einen Tatbestand, der früher als Kavaliersdelikt galt und heute noch relativ selten im Fokus der Öffentlichkeit steht. Der bekannteste Fall von Insiderhandel betrifft den Sanierer Hans Ziegler, der vor gut vier Jahren unter anderem wegen Insiderhandel zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt wurde.
In jüngster Zeit haben die Behörden vermehrt über Fälle von Insiderhandel berichtet. So hat die Bundesanwaltschaft erst im Februar in einem anderen Fall Anklage in Millionenhöhe beim Bundesstrafgericht erhoben. Einem Schweizer wird vorgeworfen, über mehrere Jahre kursrelevante Informationen zu laufenden oder geplanten Übernahmen ausgenutzt und dabei einen unrechtmässigen Gewinn von rund 10,6 Millionen Franken erzielt zu haben. Die vertraulichen Informationen soll er von einem Bekannten bekommen haben, der bei einer Investmentbank tätig war.
Insiderhandel kommt häufiger vor, als man meinen könnte. Wie dem Tätigkeitsbericht der Bundesanwaltschaft zu entnehmen ist, gingen 2024 bei der Bundesanwaltschaft insgesamt fünf Strafanzeigen der Finanzmarktaufsicht (Finma) ein – drei davon betrafen den Verdacht auf Ausnützen von Insiderinformationen. 2023 waren es vier von acht Anzeigen und im Jahr zuvor gar neun von neun. Die Finma selbst führt bloss eine Statistik der Abklärungen wegen Insiderhandel. Seit der Pandemie waren es jedes Jahr 148 bis 239 Fälle, in den Jahren zuvor lag die Zahl meist unter 100. In der Tendenz gibt es also immer mehr Verdachtsfälle.
Schwelle soll gesenkt werden
«Wir beobachten seit Jahren einen Anstieg der Zahl von Strafverfahren wegen Insiderhandel», sagt Loris Baumgartner. Er ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei Wenger Vieli in Zürich und beschäftigt sich als Strafverteidiger seit langem mit dem Thema. Insiderhandel gemäss dem Artikel 154 des Finanzmarktinfrastrukturgesetzes (FinfraG) sei im Wesentlichen seit 1988 als Strafnorm ausgestaltet. Doch die Bedeutung der Norm in der Praxis sei während langer Zeit relativ gering gewesen. Erst seit zehn Jahren sei eine spürbar stärkere Strafverfolgung eingetreten.
Für Schub sorgte die erweiterte Meldepflicht für Banken im Jahr 2018. Auch die Einführung der neuen Software Prometheus des Börsenbetreibers SIX führte zu einer besseren Datenbasis. Das KI-gestützte System erleichtert die Aufdeckung von Marktmanipulationen und Insiderhandel. «Es gibt mehr Meldungen der SIX an die Finanzmarktaufsicht und in der Folge auch mehr Strafanzeigen bei der Bundesanwaltschaft», sagt Baumgartner.
Nun steht eine Revision des FinfraG an; die Botschaft soll in der ersten Hälfte des kommenden Jahres verabschiedet werden. Gemäss Baumgartner ist vorgesehen, den Tatbestand zu verschärfen, also beispielsweise die bandenmässige oder gewerbsmässige Tatbegehung stärker unter Strafe zu stellen. Dabei beobachte er aber, dass der klassische Insiderhandel noch immer der häufigste Fall ist. Dies betrifft Fälle, in denen Führungspersonen dank eines Informationsvorsprungs Aktien kaufen oder verkaufen und sich so persönlich bereichern. Wer heute mit Insiderhandel mehr als eine Million Franken Gewinn macht, riskiert eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Mit der Revision – wenn sie denn durchkommt – soll die Schwelle auf 500'000 Franken gesenkt werden.
Für eine präventive und abschreckende Wirkung würde die Finma auch das Strafmass höher sehen. «In Europa sind wir mit einer Maximalstrafe von fünf Jahren eher am unteren Ende», sagt ein Sprecher. Er verweist darauf, dass seit der Verschärfung des Insiderstrafrechts im Jahr 2013 noch nie eine unbedingte Freiheitsstrafe wegen Insiderhandel ausgesprochen wurde.
Für Baumgartner ist das aktuelle Strafmass hingegen bereits eine relativ starke Sanktion. «Eine Verschärfung erachte ich nicht als nötig», sagt Baumgartner. Er plädiert eher dafür, die Transparenz weiter zu erhöhen. «Es ist aus kriminalpolitischer Sicht zu begrüssen, dass die Bundesanwaltschaft vermehrt über Fälle von Insiderhandel informiert.» Schon die Eröffnung eines Strafverfahrens samt Hausdurchsuchung und potenziellem Reputationsrisiko habe bereits eine abschreckende Wirkung. (aargauerzeitung.ch)
