Stöckli-Chef: «Dann ist mit Marco Odermatt nicht gut Kirschen essen»
Werden wir gerade Zeugen eines Wirtschaftskrimis? Als wir die Stöckli-Räumlichkeiten betreten, ist auch eine Delegation der österreichischen Botschaft beim Schweizer Skihersteller zu Besuch. Werkspionage? Wollen die Österreicher den Erfolgscode von Marco Odermatt knacken? CEO Marc Gläser winkt ab. Denn die wahren Geheimnisse des Erfolgs bleiben für die Österreicher auch nach diesem Besuch geheim.
Wie oft sind Sie auf der Skipiste anzutreffen?
Marc Gläser: Weniger oft als man meinen könnte. Ich versuche, geschäftliche Termine mit dem Skifahren zu kombinieren. Kürzlich zum Beispiel in Andermatt.
Fahren Sie gut?
Wir organisierten früher firmenintern Stöckli-Skirennen. Mein Ziel war es immer, unter die Top Ten zu kommen. Das habe ich aber jeweils knapp nicht geschafft. Unterdessen bin ich ein Schönwetterskifahrer. Es braucht gute Bedingungen – sonst bin ich nicht motiviert.
Den besten Skifahrer der Welt haben Sie unter Vertrag. Wie fühlt sich das an, wenn Marco Odermatt mit Stöckli-Ski ein Rennen gewinnt?
Das ist jeweils ein Doppelsieg für die Schweiz. Ich glaube, Marco Odermatt kommt auch deshalb so gut bei den Fans an, weil er eine Schweizer Marke fährt. Es ist sympathisch, dass er bei Stöckli geblieben ist. Ein Schweizer, der auf einem Schweizer Produkt weltweit für Aufsehen sorgt – was für eine coole Story.
Nun hat er den Stöckli-Vertrag kürzlich bis 2030 verlängert. Was zahlen Sie ihm?
Wir legen keine Details offen. Ich kann nur sagen: er ist jeden Franken wert. Was er für den Markenwert tut, ist unbezahlbar.
Marco Odermatt ist der begehrteste Skifahrer weltweit. Verzichtet er auf Geld, weil er bei Stöckli bleibt?
Wer meint, er mache uns einfach einen Gefallen, der irrt. Er hat einen guten Deal mit uns. Das Material ist top, er bekommt als einziger Fahrer im Weltcup zwei Serviceleute. Und es gilt zu bedenken: Er muss auch etwas tun fürs Geld. Der Vertrag ist leistungsabhängig. Ob er bei Head oder einem anderen Konkurrenten 200 mehr verdienen könnte, ist nicht relevant.
Sie sprechen von 200’000 Franken?
Marco Odermatt verdient heute als weltbester Skifahrer schätzungsweise rund 3 bis 4 Millionen Franken pro Jahr. In diesem Kontext kann ich mir nicht vorstellen, dass er für 200’000 Franken mehr das Wagnis eingehen will, das immer mit einem Materialwechsel verbunden ist. Das hohe Einkommen hat er, weil er erfolgreich ist. Jeder Athlet weiss, dass der Erfolg die Höhe des Einkommens definiert. Und nicht der Vertrag mit dem Ausrüster.
Wie lange wird Odermatt noch fahren?
Um der beste Skifahrer aller Zeiten zu werden, muss er mindestens fünf weitere Male den Gesamtweltcup gewinnen. Ich vermute also, er wird mindestens ebenso viele Jahre weiterfahren, eher noch einige mehr. Ich glaube aber, er wird in ein, zwei Jahren anfangen, den einen oder anderen Riesenslalom auszulassen, wenn er sieht, dass er diese Punkte nicht mehr benötigt. In drei Disziplinen vorne mitzufahren, ist eine enorme Belastung.
Da haben Sie ein tolles Druckmittel: Um der Grösste zu werden, muss er also weitermachen.
Antrieb von mir braucht er definitiv nicht. Und wenn er mal ein schlechtes Rennen gefahren ist, mache ich im Zielgelände jeweils einen grossen Bogen um ihn. Dann ist nicht gut Kirschen essen mit ihm.
Was haben Sie für Pläne mit Marco Odermatt nach der Karriere?
Es ist schon unser Ziel, dass er auch danach mit uns zusammenarbeitet. Es gibt auch eine gegenseitige Absichtserklärung, dass wir eine lebenslange Bindung anvisieren und das mit einem Vertrag, den man alle paar Jahre anpassen kann. Das wäre die Idealvorstellung.
Fürchten Sie vor dem Moment des Rücktritts von Odermatt?
Nein. Jede Veränderung ist auch eine Chance. Dann organisieren wir mit Marco coole Skitage. Ich bin sicher, das Interesse wäre gross. Aber wie gesagt: Ich glaube, Marco wird noch acht Jahre aktiv sein. Ausserdem haben wir ein hoffnungsvolles Talent im Team.
Lenz Hächler: Ist er der neue Marco Odermatt?
Das behaupten einzelne Medien. Ich würde nicht so weit gehen. Im Training ist er zwar dabei, aber noch sind es wilde Ritte, die er in den Rennen zeigt. Aber das war bei Marco zu Beginn der Weltcup-Karriere nicht anders.
Sie haben Top-Athleten aus der Schweiz unter Vertrag, aber keine Österreicher. Warum eigentlich?
Hätten wir gerne. Aber der österreichische Verband verlangt aus meiner Sicht protektionistischen Motiven viermal mehr als Swiss Ski, um in den Ausrüster-Pool aufgenommen zu werden. Für uns ist das zu teuer.
Haben die Erfolge Odermatts und anderer Stöckli-Athleten einen Einfluss auf die Verkäufe?
Das ist schwierig zu quantifizieren. Die Erfolge haben aber sicher geholfen, Stöckli von einem kleinen Hersteller aus dem Luzerner Hinterland zu einer Marke mit weltweitem Prestige zu machen. Tina Maze, Gesamtweltcupsiegerin 2013 und zweifache Olympiasiegerin 2014, war ein Gamechanger; wir wurden dank ihrer Erfolge plötzlich international sichtbar.
Braucht Stöckli den Rennsport heute noch?
Diese Frage stellen wir uns jedes Jahr. Wir haben sie bisher immer mit Ja beantwortet.
Wie viel geben Sie dafür insgesamt aus?
Es sind 3 bis 4 Millionen Franken pro Jahr, die uns Markenvisibilität und Glaubwürdigkeit verleihen. Das entspricht rund 60 Prozent des Marketingbudgets. Jetzt kann man sich überlegen: Was könnte man mit diesem Geld sonst noch machen? TV-Spots? Nicht nötig, wenn Odermatt live am TV mit Stöckli-Skis Rennen gewinnt. Wir haben drei Riesenslalom-Fahrer. Die sind manchmal alle in den Top 15. Effizienter als wir kann man im Skirennsport gar nicht sein.
Weniger rund läuft es hingegen im Export. Wie haben Sie dieses Jahr erlebt?
Unser Geschäftsjahr endet jeweils im Frühling. Im März 2025 haben wir ein Rekordjahr abgeschlossen – kurz danach kam der erste Zollhammer, dann im August der zweite. Das hat unsere ganze Planung durcheinandergebracht. So viel Unsicherheit habe ich seit Corona nicht mehr erlebt.
Wie wichtig ist der US-Markt für Stöckli?
Die USA sind nach der Schweiz und vor Österreich unser zweitwichtigster Markt. Nirgends wachsen wir stärker als in den Vereinigten Staaten – die Hälfte unseres Wachstums liegt in den USA, ohne dass wir vor Ort produzieren. Wir verkaufen 15'000 Paar Ski pro Jahr in den USA, vor acht Jahren waren es 3000. In fünf bis sieben Jahren sollte der Markt Nordamerika in Bezug auf verkaufte Stückzahlen den Heimmarkt überholen. So zumindest unsere Planung.
Wie sind Sie genau von den US-Zöllen betroffen?
Bis März 2025 bezahlten wir für den Import eines Paars Ski in die USA einen allgemeinen Zoll von 2,5 Prozent auf den Fabrikpreis, also im Schnitt rund 10 Dollar. Dann kamen im April die 31 Prozent Strafzoll für die Schweiz und zusätzlich Zölle von 50 Prozent auf Stahl und Aluminium. Das heisst, wir müssen seitdem jede einzelne Komponente separat deklarieren. Das ist ein enormer Aufwand.
Wie hoch war ab April der Zoll pro Paar?
80 Dollar.
Und seit dem 1. August mit den 39 Prozent?
Seitdem sind es 180 Dollar. Entsprechend haben wir kaum mehr in die USA exportiert. Wir wären schlicht nicht konkurrenzfähig. Alle unsere europäischen Mitbewerber haben 15 Prozent. Uns hat aber geholfen, dass wir noch vor dem Sommer so viele Ski wie möglich zum vorherigen Tarif in die USA exportiert haben. Das hat uns geholfen, die Zeit bis zur Inkraftsetzung der 15 Prozent zu überbrücken. Wie letzte Woche bekannt wurde, gelten die 15 Prozent nun ja rückwirkend per 14. November.
Wie viel zahlen Sie nun mit den 15 Prozent?
Wieder rund 80 Dollar, die 50 Prozent auf dem Aluminium bleiben.
Was hat Sie das ganze Zollchaos gekostet?
Wir haben ungefähr 1 Million Franken verloren – für nichts. Die Mehrkosten konnten wir nicht weitergeben, aber jetzt müssen wir die Preise in den USA erhöhen.
Sind Sie zufrieden mit dem Schweizer Zolldeal?
Es ist sicher besser als vorher. Es ist nicht so, dass 15 Prozent nichts sind. Wir müssen die Preise erhöhen, die Marge anpassen, Kosten sparen. Der Druck ist immer noch da. Wir sind jetzt wieder konkurrenzfähig. Aber wissen Sie, was mich aufregt?
Sagen Sie es.
Dass die Kritiker des Deals nicht verstehen, worauf der Wohlstand in der Schweiz basiert. Uns geht es in diesem Land nicht wegen der Binnenwirtschaft so gut, sondern wegen des Exports. Das müssen wir alle verstehen.
Andere exportorientierte Firmen haben im Zuge der US-Zölle Verlagerungen nach Deutschland beschlossen oder bauen ihre US-Produktionsstätten schneller auf. Ist das für Stöckli eine Option?
Nein, wir produzieren insgesamt nur rund 75'000 Paar Ski pro Jahr. Davon macht der US-Markt 20 Prozent aus. Es wäre unverhältnismässig, deswegen eine Produktion in den Staaten zu starten. Was man allenfalls machen könnte, wäre, einzelne Arbeitsschritte auszulagern. Wenn wir hier in Malters den Rohski bis und mit dem Pressen fertigstellen und ihn in den USA schleifen, sparen wir zwei Drittel der Zollkosten. Das haben wir in der Geschäftsleitung und im Verwaltungsrat diskutiert. Wir haben uns aber dagegen entschieden, weil wir die Swissness nicht aufweichen wollen. Stattdessen erhöhen wir die Preise in den USA.
Hierzulande haben Sie die Preise zwar nicht erhöht, aber Ihre Preisstrategie gibt immer wieder zu reden. Der «K-Tipp» berichtete jüngst, es gebe den Verdacht, Stöckli schreibe den Läden die Preise vor. Die Wettbewerbskommission (Weko) hatte Stöckli deswegen schon vor sechs Jahren gebüsst.
Der Weko-Fall 2019 war die schwerste Zeit meines Lebens. Die Behörde hat uns damals eineinhalb Jahre lang beschäftigt. Es ging darum, dass in veralteten Verträgen Preisvorgaben für die Händler enthalten waren. Das war ein Fehler, und wir wurden mit 120'000 Franken gebüsst. Aber jetzt haben wir Fachhandlesverträge, die von der Weko beurteilt und abgenommen wurden. Darauf steht gross «unverbindliche Preisempfehlung». Wenn nun also Händler behaupten, sie könnten keine Rabatte anbieten, weil wir das angeblich vorschreiben, ist das falsch und unfair. Erstens ist es in der Regel gar nicht nötig, Rabatte auf unsere Ski anzubieten und zweitens findet man punktuell durchaus Preisnachlässe. Wir schreiben den Händlern bezüglich Preispolitik nichts vor.
Sie können aber nicht leugnen, dass Stöckli-Ski teurer sind als andere. Wie rechtfertigen Sie die hohen Preise?
Langlebigkeit dank einer gelungenen Kombination aus Handwerkskunst, umfangreicher Tests und dem Einsatz hochwertigster Materialien. Ein neues Paar Stöckli-Ski ist heute viel länger im Einsatz als ältere Modelle. Wir sind so überzeugt davon, dass wir jetzt die Garantie weltweit von 2 auf 4 Jahre verdoppelt haben. Das ist ein weiterer Mehrwert. Es passt zu Stöckli, zur Langlebigkeit und zu einem etwas höheren Preis.
Warum wendet Stöckli dieses Qualitätsmerkmal nicht auf andere Produkte an? Gibt es Pläne, zu diversifizieren?
Wir wollen die beste Skisportmarke der Welt sein. Das ist unsere Vision. Zwischen 2010 und 2017 produzierten wir auch Velos. Die Idee war, das flaue Sommergeschäft zu überbrücken. Aber der Sommer war nie ein Problem für uns als Skihersteller, im Sommer produzieren wir mit Vollgas für die kommende Skisaison. Der flaue Sommer ist nur für Fachhändler ein Problem. Stöckli wollte bis 2014 selber eine Sport-Fachhandelskette aufbauen. Gleichzeitig wurde das Kerngeschäft vernachlässigt. Maschinen fielen aus, es gab Investitionsstau. Kurz: Die Diversifikation in das Velogeschäft war eine strategische Fehlüberlegung.
Sie verkaufen aber Badehosen! Wie passt das denn?
Das war meine Idee – für die Fans. Wir haben weltweit rund 20'000 richtige Stöckli-Fans, die sich sehr stark mit der Marke identifizieren. Diese Leute wollen, wenn sie in den Sommerferien am Strand sind, zeigen, welche Ski-Marke sie fahren. Ich selber werde in den USA angesprochen, wenn ich mit einer Stöckli-Jacke herumlaufe. «Ah, you’re from Stöckli – great!»
Nun ist die Zukunft des Schneesports recht unsicher wegen der klimatischen Veränderung. Wie reagieren Sie darauf?
Ich mache mir für die nächsten Jahrzehnte keine Sorgen um den Skisport. Schon ab 1700 Meter haben wir eine relativ hohe Schneesicherheit, natürlich auch mit Hilfe künstlicher Beschneiung. Die ist übrigens nachhaltiger, als man meinen könnte, wenn die Energie aus Wasserreservoirs kommt.
Wo sehen Sie neben den USA und Europa mögliche Wachstumsmärkte?
Der Skimarkt ist nicht so international, wie man meinen könnte. Wir exportieren in 32 Länder, aber Skisport ist nur in zehn Ländern tatsächlich ein Volkssport. Das sind die Hauptmärkte, heute und auch morgen. Wir könnten unsere jährliche Produktion auf 90'000 erhöhen, vielleicht auf 100'000. Aber irgendwann ist eine natürliche Grenze erreicht. Ich bin kein Fan von Wachstum zu jedem Preis. Die Eigentümerfamilie Kaufmann übrigens auch nicht.
Erhält das Unternehmen oft Übernahme-Angebote?
Als ich 2014 anfing, ja. Seither nur noch sporadisch. Der Markt weiss: Stöckli steht nicht zum Verkauf. (aargauerzeitung.ch)
