Drei Freunde starten am 23. August 2015 zu einer vermeintlich harmlosen Mission. An den Dittinger Flugtagen – der grössten regelmässig stattfindenden Airshow der Schweiz – wollen sie einen Formationsflug mit Ultraleichtflugzeugen zeigen. Die Leichtigkeit zelebriert das Trio aus Deutschland mit seinem Namen: Grasshoppers.
«Smoke on now!» Der Anführer gibt per Funk das Kommando, den Kunstrauch zu aktivieren. Die drei grün-weiss bemalten Flugzeuge zeichnen nun weisse Spuren in den Himmel.
Sie beginnen die zweitletzte Figur ihres Programms, «die Welle». Zwei Grasshoppers fliegen mit einem Abstand von nur einer Flügelspannweite und etwa 135 Stundenkilometern voraus. Das dritte Flugzeug folgt ihnen und vollführt inmitten ihrer Spuren Wellenbewegungen.
Die Sicht im Cockpit ist eingeschränkt. Der hintere Pilot sieht seine Kollegen in mehreren Phasen seiner Wellen nicht. So bemerkt er nicht, dass sie sich nicht mehr auf der von ihm erwarteten Flugbahn befinden. Plötzlich durchbohrt er mit seinem Propeller von unten den Rumpf eines anderen Grasshoppers.
Dieser fällt senkrecht vom Himmel und kracht in Dittingen in einen Holzschopf. Brennende Trümmerteile entfachen einen Brand. Der Pilot ist tot. Seine Frau befindet sich im Publikum und sieht den Rauch aufsteigen.
Der andere Unfallpilot kann eine Rettungsrakete zünden. Sie zieht einen Fallschirm aus dem Flugzeug, der den Absturz bremst. Der Flieger fällt in den Garten eines Einfamilienhauses. Leicht verletzt kann der Pilot aussteigen.
Es ist Zufall, dass die beiden Flugzeuge im Dorf niemanden verletzen. «Dittingen hatte hundert Schutzengel», sagt die für die Sicherheit verantwortliche Regierungsrätin danach.
Nach fast zehn Jahren hat die Bundesanwaltschaft den Fall nun aufgearbeitet. Sie wirft den beiden überlebenden Piloten fahrlässige Tötung vor. Sie seien schuld am Tod ihres Kollegen, weil sie den Formationsflug schlecht vorbereitet hätten. Hätten sie die Figur Welle sorgfältig geplant, hätten sie das Kollisionsrisiko erkennen müssen. Der Zusammenstoss sei vermeidbar gewesen.
Besonders tragisch: Die drei Piloten stiessen schon früher in ihrer «Welle» einmal fast zusammen. Doch diesen Vorfall nahmen sie gemäss Anklage zu wenig ernst.
Die Strafverfolgungsbehörde hat gegen beide Piloten Strafbefehle wegen fahrlässiger Tötung erlassen, die CH Media vorliegen. Der Pilot, der in seinen Kollegen gekracht ist, erhält eine bedingte Geldstrafe von 120 Tagessätzen. Er hat keine Einsprache erhoben. Der Strafbefehl ist rechtskräftig.
Der andere Pilot hingegen, der nicht direkt in den Crash involviert war, hat eine leicht tiefere Geldstrafe von 100 Tagessätzen kassiert, ebenfalls bedingt. Er hat aber Einsprache erhoben und kämpft für einen Freispruch. Deshalb steht er am Donnerstag vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona.
Er ist 64 Jahre alt und hat sein Leben der Aviatik gewidmet. Er ist Berufspilot und hat seine beiden Freunde als Fluglehrer ausgebildet. Zudem ist er Ingenieur und führt unter seinem Nachnamen einen Wartungsbetrieb für Ultraleichtflugzeuge.
Der Absturz in Dittingen ist der bisher schwerste Unfall an einer Schweizer Flugshow. Mit dem Crash im Dorf gefährdete er auch die Allgemeinheit. Das letzte Unglück an einer Flugshow passierte ebenfalls in Dittingen: 2005 stürzte ein nachgebautes Jagdflugzeug in einen abgelegenen Wald. Und 1998 krachte ein Kleinstflugzeug bei den Segelflugmeisterschaften in Samedan neben der Piste auf ein freies Feld. In beiden Fällen starben die Piloten, aber andere Menschen waren nicht in Gefahr.
Der schlimmste Unfall an einer Flugshow passierte 1988 auf dem deutschen US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein. Nach einer Kollision im Showprogramm der italienischen Kunstflugstaffel «Frecce Tricolori» schlitterte ein Flugzeug mit einem Feuerball ins Publikum. 70 Menschen starben, 1000 waren verletzt.
Die Lehre aus diesem Unglück war: Eine Flugshow darf nie mehr direkt über den Köpfen des Publikums stattfinden.
Die Lehre aus dem Unglück von Dittingen ist: Eine Flugshow darf nie mehr direkt über einem Dorf stattfinden.
Die Schweizerischer Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) hat zudem empfohlen, dass für den Formationsflug wie bereits für den Kunstflug ein Ausbildungsstandard vorgeschrieben wird. Doch bei der Europäischen Agentur für Flugsicherheit blitzte sie mit der Forderung nach einer internationalen Lösung ab. Dafür seien die Länder zuständig. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) verlangt heute Ausbildungsnachweise.
Ein Sicherheitsinspektor prüfte das Programm der Grasshoppers 2015 im Voraus und gab es frei. Daniel W. Knecht ist der Aviatik-Chef der Sust und sagt auf Anfrage: «Ich gehe davon aus, dass mit dem Wissen nach diesem Unfall, eine solche Vorführung nicht mehr bewilligt würde. Wenn Piloten Figuren fliegen, bei denen sich Flugbahnen kreuzen, müssen sie insbesondere während diesen Kreuzungen stets Sichtkontakt zueinander haben.» Diese Grundregel des Verbandsflugs müsse eingehalten werden.
Doch der Untersuchungsbeamte täuscht sich. Anfrage an das Bazl: Würde das Bundesamt heute einen solchen Formationsflug wieder bewilligen? Antwort: «Grundsätzlich ja.» Die bisher getroffenen Massnahmen seien ausreichend. Der Sicherheitsinspektor würde also nur strenger prüfen, ob die Piloten genügend ausgebildet seien und ob Flugzeuge über dem Dorf abstürzen könnten. Den gefährlichen Formationsflug mit dem fehlenden Sichtkontakt würde er aber wieder erlauben.
Dennoch dürfte das Risiko in Zukunft kaum mehr auftauchen. Denn die goldenen Zeiten der Airshows sind vorbei. Die Zukunft der Dittinger Flugtage ist unsicher. Der bisherige Höhepunkt war die Darbietung der Patrouille Suisse. Doch die Kunstflugstaffel der Schweizer Armee steht vor dem Aus. Um Geld zu sparen, hat die Luftwaffe auch ihre wichtigsten eigenen Flugvorführungen abgeschafft.
Ludwig Isch ist ein Kenner der Airshow-Szene und führt einen Veranstaltungskalender. Dieser wird immer dünner. Isch sagt: «Aktuell sind immer weniger Veranstalter bereit, das Risiko einer Airshow auf sich zu nehmen.» Sie hätten zunehmend Mühe, Sponsoren zu finden. Viele Firmen sähen die Fluganlässe nicht mehr als imagefördernd an. Isch meint deshalb: «Derzeit kann ich nicht sagen, ob es je wieder eine richtige Airshow in der Schweiz geben wird.»