Wenn unsere Kleinste aufwacht, dann lächelt sie über das ganze Gesicht, so breit, dass sich Grübchen in den dicken Backen bilden. Allein der Umstand, dass da ihre Familie ist, ein neuer Tag anbricht, macht sie glücklich. Jeden einzelnen Tag. Ausnahmslos. Und das färbt ab.
Es ist ein Glücksmoment in meinem Tag. Aber bin ich dadurch nun weniger gestresst, als ich es ohne Kinder wäre? Oder wird das alles zunichtegemacht durch das Windelwechseln, Füttern, In-die-Kita-Bringen?
Eine neue Studie besagt, Eltern seien insgesamt weniger gestresst als Kinderlose. Es ist eine Aussage, die viel Aufmerksamkeit erfährt, und das lässt tief blicken. Denn der Befund offenbart, was heute Konsensmeinung ist: In der Schweiz werden Kinder mit Stress gleichgesetzt.
Dabei ist es noch gar nicht so lange her, da lautete die dominante Erzählung genau umgekehrt. In der Generation meiner Eltern hat man sich noch nicht über seine Kinder beklagt. Dass Väter und Mütter heute ihre Kämpfe und Krämpfe offen teilen, wäre eine Errungenschaft. Aber die gesunde Ehrlichkeit hat sich in ein Lamento verwandelt. Der Sarkasmus ist zum Umgangston unter Eltern geworden. Wenn das Kind im Café eine Krise hat, fällt beiläufig der Satz: «Warum tun wir uns das eigentlich an?»
Ja, warum eigentlich? Als ich vor ein paar Tagen meine Kinder in der Kita abgeholt habe, sind sie auf mich zugerannt und haben mich umarmt. So wie immer. Kleine Kinder brauchen einen in einer Absolutheit wie sonst niemand auf der Welt. Für einen kurzen Moment ist man die Sonne, um die sich alles dreht. Natürlich ist das nicht von Dauer, die Kinder werden älter und nabeln sich ab. Aber die Erfahrung ist der Beziehung eingeschrieben.
Kinder sind in ihren Emotionen masslos, und sie leben im Moment. Wenn mein Ältester in den Ferien einen Spielplatz entdeckt, dann ist es, als hätte er einen Koffer voller Gold gefunden. Wenn meine kleine Tochter einen Hund sieht, jauchzt und zappelt sie vor Freude. Und meine Mittlere war so eins mit dem Tutu, das sie an ihrem vierten Geburtstag getragen hat, dass sie am liebsten darin geschlafen hätte. Es ist eine Authentizität, die irgendwann verloren geht. Mit Kindern kehrt sie für einen Moment ins Leben zurück.
Auch auf praktischer Ebene bereichern Kinder den Alltag. Im Schwimmbad finde ich mich mit ihnen im Strömungsbad wieder und auf der Rutsche, wo ich davor bestimmt 15 Jahre nicht gewesen bin. Ich spiele Fussball im Garten und kann mich über ein zusammengebautes Puzzle freuen. Während man sich erwischt, wie man im Gespräch mit Freunden und Bekannten alte Geschichten aufwärmt, findet man im Umgang mit den Kindern diese Unmittelbarkeit wieder, die man so sehr vermisst.
Im sozialen Umgang mit Freundinnen und Freunden erleichtern Kinder den Dialog. Plötzlich kann man Nein sagen, ohne jemanden zu verletzen. Denn die Kinder haben Priorität, das wird nicht infrage gestellt. Auch, sich vor etwas zu drücken, wird einfacher, wenn man nicht immer, sondern nur punktuell die Kinder vorschiebt.
Büchner, Schnitzler, Hofmannsthal: Kein Klassiker, den unsere Kleinste noch nicht aus dem Regal geräumt hätte. Während Kinder im Kleinen Chaos verursachen, kreieren sie im Grossen Ordnung. Das Leben bekommt Struktur und einen Sinn. In einer Gesellschaft, in der nun schon die Mittzwanziger leiden – Stichwort «Quarterlife-Crisis» – kann man das kaum deutlich genug sagen.
Das alles könnte man aufrechnen gegen den Aufwand, den gelegentlichen Frust oder eben den Stress, den Kinder mit sich bringen. Aber das will ich gar nicht. Denn das ist doch das eigentliche Problem, das sich hinter der erwähnten Studie und der gesellschaftlichen Debatte über Kinder verbirgt: dass heute alles als Kosten-Nutzen-Rechnung betrachtet wird.
So wird auch die Diskussion um die rekordtiefe Geburtenrate in der Schweiz von noch 1,29 Kindern pro Frau letztlich ökonomisch geführt: als Ringen um Kinderzulagen, Kita-Kosten und Steuernachlässe. Und die Life-Coaches und Therapeutinnen verrechnen bei der Frage «Kinder, ja oder nein?» zweierlei Selbstverwirklichungsszenarien.
Dabei ist Kinder zu haben etwas ganz anderes: eine Frage der Lebensbejahung. Ein Abspringen, ohne zu wissen, wo man landet. Die eigenen Eltern haben sich noch getraut.
"Das Leben bekommt Struktur und einen Sinn."
"eine Frage der Lebensbejahung"
Mein Partner und ich haben uns bewusst gegen Kinder entschieden. Wir haben dafür andere Träume und Ziele, welche wir als Team verwirklichen möchten.
Hat unser Leben also kein Sinn? Bejahen wir das Leben deshalb nicht?