Das Vorhaben kommt unscheinbar daher. Aber es birgt Sprengkraft für unsere Demokratie. Der Plan zur Streichung des kleinen Wortes «besonders» in einem Artikel der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO). Die ZPO regelt das Verfahren vor Gericht. Sie erhält zurzeit eine Verjüngungskur der eidgenössischen Räte in Bern.
Mit einigen Retuschen will der Bundesrat das 2011 eingeführte und funktionierende Gesetz punktuell überarbeiten. So weit, so gut. Das Geschäft landete am 12. April 2021 in der Rechtskommission des Ständerates, welche die Beratung nutzte, um ohne Not einen lautlosen Angriff auf die Medienfreiheit zu starten. Doch worum geht es?
Die ZPO sieht vor, dass vorsorgliche Massnahmen gegen Medien nur dann statthaft sind, wenn sie beim Gesuchsteller einen «besonders» schweren Nachteil verursachen (Art. 266 ZPO). Dies im Gegensatz zu den übrigen vorsorglichen Massnahmen, zu deren Rechtfertigung bereits ein «nicht leicht wieder gutzumachender Nachteil» ausreicht (Art. 261 ZPO). Vorsorgliche Massnahmen sind die Feuerwehren der Justiz.
Als schnelle Brandlöscher schützen sie in raschen Verfahren vor drohenden Nachteilen, bevor das Gericht in einem vielleicht jahrelangen Prozess zu einem Endurteil kommt. Im Zusammenhang mit Medien geht es vor allem um Publikationsverbote. Der Druck auf die Medien ist im Alltag gross. Immer wieder wird von aussen versucht, Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen und unerwünschte Publikationen zu verhindern.
Art. 266 ZPO schützt Redaktionen vor ungerechtfertigter Zensur, da für ein Publikationsverbot eben ein qualifizierter Nachteil glaubhaft gemacht werden muss. Mit dieser zusätzlichen Voraussetzung wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass vorsorgliche Massnahmen gegen periodisch erscheinende Medien im Sinne der Medienfreiheit mit Bedacht angeordnet werden. Gerichte wägen dabei die Interessen der Betroffenen sorgfältig mit denjenigen der Medien ab. Das nun in der ZPO geregelte Vorgehen ist bewährt und hat eine lange Tradition, fand sich die Bestimmung doch bereits ab 1985 im Zivilgesetzbuch (ZGB).
Die Rechtskommission des Ständerates will nun also das Wort «besonders» aus Art. 266 ZPO streichen. Eine Vorankündigung gab es nicht. Im Entwurf des Bundesrates ist die Streichung nicht enthalten. Kommt das Ansinnen durch, könnte missliebigen Medien künftig viel schneller ein Maulkorb verpasst werden, als es in der Schweiz seit Jahrzehnten der Fall ist.
Klar, Journalisten sind oft unangenehme Störenfriede. Es liesse sich an den Hebeln der Macht einfacher schalten und walten, wenn sie nicht wären. Vielleicht hat diese verlockende Aussicht die Politiker in Bern zum Sündenfall verleiten lassen. Ist das Vorhaben der Rechtskommission des Ständerates aber auch im Interesse unserer Gesellschaft?
Die Medienfreiheit mag für Entscheidungsträger dann und wann unangenehm sein, weil öffentlich wird, was lieber versteckt gehalten würde. Gerade in der Schweiz mit ihrem ausgeprägten Demokratieverständnis sind aber freie Meinungsbildung und -äusserung Grundpfeiler des funktionierenden Staates.
Die letzten Monate der Pandemie haben gezeigt, wie rasch eine Gesellschaft ausser Funktion gesetzt werden kann. Es war wichtig, dass die Medien und damit auch die Bürger ihre Sprache nicht verloren haben. Kräften, die Medien zensurieren wollen, ist deshalb gerade in heutigen Zeiten entschieden entgegenzutreten.
National- und Ständerat sind deshalb bei der Beratung der Revision der ZPO in Erinnerung an Voltaire dazu aufgerufen, auf bewährte Mechanismen zu vertrauen und der Zensur nicht Vorschub zu leisten. Denn vom französischen Vordenker der Aufklärung stammt bekanntlich das Zitat: «Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äussern dürfen.»
-V-
freie Medien ist das höchste Gut das wir haben ... denn ohne die kommt der schlamm der mächtigen NIE ans licht ... ich hoffe schwer, dass wir nicht mit solchen Dingen zu kämpfen haben in Zukunft
Nicetius
Ryponagar
Als Laie kann ich kaum nachvollziehen, was das in der Praxis bedeutet bzw. wie schwerwiegend diese Änderung ist. Eine Einordnung mit einem Medienjuristen anhand eines Beispiels wäre hier hilfreich.