Video von Rollstuhl-Einkaufswagen sorgt auf Social Media für Aufsehen
Für die meisten Personen ist der Gang in den Supermarkt problemlos. Doch für Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, stellt der Einkauf von Milch, Brot und Gemüse oftmals eine Herausforderung dar. Denn die herkömmlichen Einkaufswagen sind nicht für sie gemacht, und den vollen Korb müssen sie auf ihrem Schoss balancieren.
Doch es ginge auch anders. Dies zeigte kürzlich Brennan Noeth in den sozialen Medien. In einem Clip, der unter anderem auf Tiktok und Facebook verfügbar ist, zeigt sich der Kanadier im Rollstuhl erfreut über einen speziellen Einkaufswagen, den er in einer Filiale der australischen Supermarktkette Coles fand. Denn diesen kann Noeth an seinem Rollstuhl fixieren, so dass er die Waren vorne reinlegen kann.
Er könne aus eigener Erfahrung sagen, wie schön es sei, keinen Korb auf dem Schoss balancieren zu müssen oder auf jemanden angewiesen zu sein, sagt Noeth im Video. «Kleine Dinge» wie das würden einen grossen Unterschied machen für seine Selbstständigkeit.
Wie das australische Portal «News» berichtet, sind die hilfreichen Einkaufswagen bei Coles und anderen australischen Supermärkten schon länger für die Benutzung im Geschäft im Angebot, doch viele Leute scheinen sie erst dank Noeths Video erstmals zu sehen. Und sie erhalten viel Lob: «Die sollte es überall geben!», «Das ist wirklich sehr cool!» oder «Was für eine grossartige Idee!» lauten die Kommentare von Tiktok-Nutzern.
Das findet auch die Schweizer Dachorganisation Inclusion Handicap. Sie vertritt die 1,9 Millionen Menschen mit Behinderungen in der Schweiz. Der Einkauf im Supermarkt sei heute oft mit Schwierigkeiten verbunden, sagt Sprecher Jonas Gerber.
«Selbst in Läden, die bezüglich der Architektur vorbildlich aufgestellt sind, sind Menschen mit Behinderungen häufig auf Unterstützung angewiesen, zum Beispiel aufgrund der Höhe der Regale.» Dies widerspreche dem Grundsatz der Selbständigkeit, wie er in der UNO-Behindertenrechtskonvention verankert ist, sagt Gerber.
Viele Hindernisse im Supermarkt
In den Supermärkten gebe es oftmals weitere Hindernisse, wie Treppen, fehlende Lifte sowie zu enge Gänge, sagt Gerber. Er weist auf die Möglichkeit des Online-Shoppings hin. Aber: «Dies sollte im Sinne der Wahlfreiheit nicht die einzige Möglichkeit des Einkaufs sein, da dies auch isolierend wirken kann.»
CH Media hat bei den grossen Supermarkt-Ketten in der Schweiz nachgefragt, ob sie die speziellen Einkaufswagen im Angebot haben. Die Antworten zeigen, dass es zwischen Migros, Coop, Aldi, Lidl und Denner grosse Unterschiede gibt. Allerdings kann keiner von ihnen behaupten, ein lückenloses Angebot zu bieten.
Migros
Die Migros kennt das Angebot und setzt es gemäss Sprecherin Prisca Huguenin-dit-Lenoir «schon seit mehreren Jahren» ein. Einkaufswagen für Menschen mit Rollstuhl würden eine wertvolle Möglichkeit bieten, mehr Autonomie und Komfort beim Einkaufen zu gewährleisten. Allerdings: «Es kann sein, dass in kleineren Filialen die Einkaufswagen für Menschen mit Rollstuhl nicht verfügbar sind.» In solchen Fällen würden die Filial-Mitarbeitende ihre Unterstützung anbieten.
Die Migros kann aber keine Zahl nennen, in wie vielen ihrer schweizweit über 720 Supermärkte die speziellen Einkaufswagen zur Verfügung stehen. Die Bedürfnisse vor Ort seien unterschiedlich, sagt Huguenin-dit-Lenoir. «In der Regel verfügen jedoch grössere Filialen über solche Einkaufswagen.» Zudem scheint es Unterschiede je nach Genossenschaft zu geben: «In der Genossenschaft Migros Ostschweiz beispielsweise sind sie in den meisten, selbst kleineren Filialen verfügbar.» Bei Neubauten und Renovationen werde darauf geachtet, das Angebot wo immer möglich auszubauen, sagt die Sprecherin.
Coop
Zahlenmässig präziser sind die Angaben bei Coop: Insgesamt seien rund ein Viertel der 970 Supermärkte mit entsprechenden Einkaufswagen ausgerüstet, sagt Sprecherin Sina Gebel. Und es könnten mehr werden: «Auf Anfrage von Kundinnen und Kunden können zusätzliche Verkaufsstellen mit entsprechenden Einkaufswagen ausgerüstet werden.»
Dennoch: In drei Vierteln der Filiale gibt es die Wägen nicht. Deshalb verweist auch Coop wie die Migros auf die Hilfe des Personals im Laden. «Es ist für uns selbstverständlich, Menschen mit Beeinträchtigungen in unseren Verkaufsstellen zu unterstützen.»
Lidl Schweiz
Aktuell existierten in 67 Lidl-Filialen – also etwa jeder dritten – rollstuhlgängige Einkaufswagen zur Verfügung, sagt Sprecherin Vanessa Meireles. Ziel sei es, allen Kundinnen und Kunden ein barrierefreies Einkaufserlebnis zu ermöglichen. Und: «Unser Personal unterstützt gerne, etwa beim Erreichen von Produkten oder bei individuellen Bedürfnissen.»
Aldi Suisse
Nichts von solchen Einkaufswagen für Rollstühle will man bei Aldi wissen. Es seien derzeit keine solchen geplant, heisst es bei der Medienstelle des des deutschen Discounters. Das Personal sei auf die Bedürfnisse aller Kundinnen und Kunden sensibilisiert und stehe bei Bedarf jederzeit zur Verfügung.
Denner
Als Discounter habe man deutlich kleinere Ladenflächen als ein Supermarkt, sagt Sprecher Thomas Kaderli. «Daher sind Einkaufswagen für Rollstühle derzeit keine Option.» In der Praxis sei es so, dass Kundinnen und Kunden, die auf einen Rollstuhl oder Gehhilfen angewiesen sind, von den Denner-Mitarbeitenden jederzeit und gerne beim Einkauf unterstützt würden, falls dies erwünscht sei.
Aufgrund der eingeschränkten Platzsituation gebe es derzeit keine konkreten Pläne oder Tests für eine Einführung, sagt Kaderli. Zudem achte man darauf, dass die Ein- und Ausgänge auch mit Rollstuhl oder Gehhilfen einfach passierbar seien und man verzichte zum Beispiel auf Drehkreuze oder andere Sicherheitsvorkehrungen, welche die Mobilität einschränken würden.
Fazit: Keiner der befragten Händler bietet die hilfreichen Einkaufswagen, die sich an Rollstühle befestigen lassen, in allen Supermärkten an. Und wenn, dann höchstens in jeder dritten Filiale. Anzeichen, dass diese Option ausgebaut oder zumindest besser kommuniziert werden soll, sind nicht zu vernehmen. Oder wie es Inclusion-Handicap-Sprecher Jonas Gerber zusammenfassend mit Blick auf die Umsetzung der Uno-Behindertenrechtskonvention sagt: «Es gibt in allen Lebensbereichen noch sehr viel zu tun.» (aargauerzeitung.ch)