Bis und mit 30. November können Versicherte ihre Krankenkasse noch wechseln. Und weil die Prämien für das nächste Jahr um durchschnittlich 8,7 Prozent steigen, werden das dieses Jahr besonders viele tun, schätzt Simon Wieser, Gesundheitsökonom an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW).
Aus denselben Überlegungen erwartet auch Krankenkassenexperte Felix Schneuwly vom Vergleichsportal Comparis, dass 15 Prozent der Versicherten in diesem Jahr ihre Krankenkasse wechseln werden, wie er zu SRF sagt. Vergleichsportale verzeichneten zudem stärkere Suchanfragen als in anderen Jahren. So auch Mathis Scheller vom Vergleichsportal Bonus, der ebenfalls zu SRF eine Schätzung abgibt: 15 bis 23 Prozent werden ihre Kasse wechseln. Das wären zwischen 1,3 und 1,9 Millionen Menschen.
Die, gemäss Statistika, 56 anerkannten Krankenkassen der Schweiz buhlen darum bis zum Schluss um die Versicherten. Dabei nutzen sie mutmasslich auch unlautere Methoden. Visana musste kürzlich etwa seinen Prämienrechner Krankenkassenadmin.ch vom Netz nehmen, wie der «Beobachter» im Oktober schrieb. Dies, nachdem die Stiftung für Konsumentenschutz eine Strafanzeige gegen die Visana geplant hatte.
Der Vorwurf: Bei ihrem Prämienrechner betreibe die Visana ein Vergleichsportal, das bewusst den Anschein erwecke, direkt vom Bund zu stammen. Einerseits mit dem «admin» im Namen, andererseits mit dem Schweizer Kreuz als Logo, das in der Google-Suche erscheint und verdächtig ähnlich aussieht wie die Website des Bundes.
Mitstreiter der Visana scheint die Drohung des Konsumentenschutzes nicht eingeschüchtert zu haben. Die Neosana AG bedient sich noch immer einer ähnlichen Methodik. Auch sie zeigt in der gesponserten Google-Suche ihres vermeintlichen Vergleichsdiensts krankenkassenvergleich-online.ch ein Schweizerkreuz als Logo an. Wer hinter der Website steckt, findet man erst heraus, wenn man ins Impressum klickt.
Gemäss dem Marktforschungsinstitut Media Focus haben Krankenkassen allein im September und Oktober über 14 Millionen Franken für Werbung ausgegeben. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sind damit die Brutto-Werbeausgaben der Versicherungen um 9 Prozent gestiegen, wie die Tagesschau berichtet. Insgesamt gaben die Krankenkassen 2022, bei einem ebenfalls hohen Prämienanstieg von 6,6 Prozent, 72,6 Millionen Franken für Werbung aus. So viel wie noch nie.
Das Geld, das in die Werbung fliesst, zahlen die Versicherten. Doch sollte damit nicht besser in die Gesundheit der Bevölkerung investiert werden? Sorgt dieser Wettbewerb zwischen den Kassen also für unnötige Mehrkosten? «Ja, er sorgt für Mehrkosten», sagt Gesundheitsökonom Simon Wieser. Für das Individuum sei es aber erst einmal gut, wenn es zwischen verschiedenen Versicherungen wählen und so günstigere Alternativen bekommen könne.
«Problematisch wird das Ringen um die Versicherten erst dann, wenn es dazu führt, dass die Leute ihre Krankenkasse immer wieder wechseln», sagt Wieser. So würden stetig zusätzliche Kosten aufgrund des administrativen Aufwands entstehen. Kosten, die die Versicherten bezahlten.
Ein Wettbewerb zwischen den Krankenkassen ist für Wieser dann sinnvoll, wenn er die Versicherungen dazu bringt, innovative Versicherungsmodelle für Personen mit hohen Gesundheitskosten anzubieten. Denn hier könne man wirklich Kosten sparen und gleichzeitig die Qualität der Behandlungen verbessern. «Doch ich habe den Eindruck, dass die meisten Versicherungen noch nicht so weit sind.»
Wieser hält jedoch auch fest, dass die Kosten, die dieses Buhlen um Versicherte verursachen, nicht überschätzt werden dürfen: «Werbeaktionen sind Teil des administrativen Aufwands der Versicherungen und der macht gerade einmal fünf Prozent der Gesamtkosten der Grundversicherung aus. Die Kostentreiber der Prämien sind also definitiv in anderen Bereichen.»
Im Oktober veröffentlichte die ZHAW eine Studie, in der Wieser und sein Team genau diese Kostentreiber in unserem Gesundheitswesen untersucht haben. Das Resultat: Am teuersten kommen Behandlungen der psychischen Erkrankungen. An zweiter Stelle befinden sich Erkrankungen des Bewegungsapparats, also etwa chronische Rücken- oder Knieprobleme. Am dritthäufigsten verursachen neurologische Erkrankungen, beispielsweise Demenz, hohe Kosten.
Dieses Ergebnis überraschte selbst Wieser. Denn bei Kostentreibern würden viele an erster Stelle teure Krebstherapien erwarten. «Aber ins Gewicht fallen schlussendlich jene Krankheiten, die einen grossen Teil der Bevölkerung betreffen, die chronisch und nicht tödlich sind», sagt Wieser.
Die Studienergebnisse beziehen sich auf Zahlen von 2012 bis 2017, da das Sammeln der Daten im Gesundheitswesen viel Zeit braucht. Wieser geht aber davon aus, dass die Ergebnisse für die aktuelle Situation im Gesundheitswesen nach wie vor gültig sind.
In den untersuchten fünf Jahren nahmen die Ausgaben für die Gesundheitsversorgung insgesamt um 19,7 Prozent zu. Erklären lassen sich diese gestiegenen Ausgaben zu 44 Prozent damit, dass die Ausgaben pro Patientin und Patienten in diesen Jahren gestiegen sind. Über die Gründe dieses Anstiegs kann Wieser nur spekulieren. «Einerseits haben wir viele neue, innovative, aber auch teure Medikamente und Therapien. Andererseits suchen sich die Menschen – gerade was die psychische Gesundheit angeht – zunehmend Hilfe.»
Als zweitgrössten Kostentreiber weist die Studie die Veränderungen der Bevölkerungsgrösse aus (30 Prozent). Wächst die Bevölkerungszahl, wachsen auch die Gesundheitskosten.
Hat die SVP also recht? Ist die Zuwanderung Schuld an den stetig steigenden Gesundheitskosten? «Nein, die Zuwanderung kann man nicht dafür verantwortlich machen. Wer in die Schweiz einwandert, ist in den meisten Fällen jünger und gesünder als der Durchschnittsschweizer», sagt Wieser. Die Ausnahme seien höchstens Geflüchtete, die aufgrund traumatischer Erfahrungen professionelle Betreuung bräuchten. «Aber im Durchschnitt sind die Gesundheitskosten der Zugewanderten nicht höher als bei den Inländern.»
An dritter Stelle, mit 15 Prozent, führt die Studie Veränderungen der Bevölkerungsstruktur auf, also die zunehmende Alterung der Schweizer Bevölkerung. Eine Konsequenz der immer besseren medizinischen Versorgung und eines gesünderen Lebensstils. Darum sagt Wieser: «Auch wenn es im ersten Moment negativ tönt, dass die Ausgaben im Gesundheitsbereich steigen, hat das auch sehr positive Folgen.» Die Gesellschaft bekäme im Gegenzug für diese steigenden Kosten ja auch etwas: ein längeres, gesünderes Leben.
Deshalb Einheitskasse JETZT!