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Über 4000 Corona-Tote 2022 – das Rätsel der Übersterblichkeit bleibt

Ein leeres Spitalbett steht im Korridor auf der Abteilung fuer COVID-Patienten im HFR Freiburg Kantonsspital, am Donnerstag, 26. November 2020 in Fribourg. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
Die Corona-Toten 2022 können die Übersterblichkeit nicht mehr vollständig erklären.Bild: keystone

Über 4000 Corona-Tote im letzten Jahr: «Das Virus hörte nicht einfach auf zu zirkulieren»

Die Übersterblichkeit in der Schweiz im Jahr 2022 führte in den vergangenen Monaten zu Diskussionen und Spekulationen. Die neuste Todesursachenstatistik des Bundes zeigt, dass Corona für viele, aber längst nicht für alle zusätzlichen Toten verantwortlich ist.
06.07.2023, 10:2006.07.2023, 15:54
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Die Corona-Pandemie hat im Sorgenbarometer der Schweizerinnen und Schweizer nur noch einen tiefen Stellenwert. In einer aktuellen Sorgenstudie von Moneyland lag das Coronavirus nur noch auf Rang 38 der grössten Sorgen der Schweiz. Zwar ziehen seit dem Ende aller Massnahmen im Frühling 2022 immer wieder versteckte Wellen durchs Land, dank Impfung und zusätzliche Immunität herbeigeführt durch SARS-CoV-2-Infektionen hat das Virus aber an Gefährlichkeit eingebüsst.

Zumindest für das Gros der Menschen: Wie die neuste, provisorische Todesursachenstatistik des Bundesamts für Statistik (BFS) für 2022 zeigt, starben im letzten Jahr 4029 Schweizerinnen und Schweizer an Corona. Das sind zwar deutlich weniger als in den ersten beiden Pandemiejahren, aber noch immer ist das Virus bei mehr als 330 Todesfällen pro Monat gemäss dieser Statistik die Hauptursache. Es sind vor allem ältere Menschen, die 2022 an Corona starben: 94 Prozent waren über 65 Jahre, 55 Prozent gar über 85 Jahre alt.

«Das Virus hörte 2022 nicht einfach auf zu zirkulieren», erklärt Huldrych Günthard, leitender Arzt der Klinik für Infektionskrankheiten am Universitätsspital Zürich, gegenüber watson die neusten BFS-Zahlen. «Die Menschen starben zwar kaum mehr auf der Intensivstation an Corona, aber es gab immer noch viele Infektionen. Es wurde einfach weniger getestet, weil die Leute gemerkt haben, dass die Krankheit viel weniger schlimm verläuft und irgendwie auch die Nase voll hatten. Wie das Abwasser-Monitoring zeigt, hatten wir beispielsweise im Sommer eine grössere Corona-Welle.»

Diese ist auch in der Todesursachenstatistik des BFS ersichtlich. So starben im Juni, Juli und August des letzten Jahres mehr Schweizerinnen und Schweizer als in den ersten beiden Pandemiejahren. Infektiologe Günthard warnt allerdings vor möglichen Verzerrungen: «Ein Grossteil der Menschen starb im letzten Sommer nicht direkt, sondern indirekt an Covid.» Denn die Todesursachenstatistik des BFS basiert auf Informationen auf dem Todesursachenzertifikat, das von einem Arzt ausgefüllt wird.

«Viele ältere Menschen sind polymorbid», erklärt Günthard. Das heisst, dass sie sie gleichzeitig an mehreren Krankheiten leiden. «Wir hatten im Sommer eine Hitzewelle. Im Herbst und Winter verursachte die heftige Welle an Atemwegserkrankungen durch RS-Viren und Influenza weitere zusätzliche Todesfälle. Und dann kommt noch Covid hinzu.» Am Ende sei es dann schwierig abzuschätzen, was jeweils die Haupttodesursache gewesen sei.

Die Zahl der tatsächlichen Covid-Toten dürfte also etwas tiefer liegen, als in der Todesursachenstatistik des BFS ausgewiesen wird. Das erstaunt – vor allem, wenn man sich die Übersterblichkeit in der Schweiz im Jahr 2022 vor Augen führt. Diese betrug im vergangenen Jahr rund 10 Prozent. Das heisst, es starben gut 6600 Menschen mehr als erwartet.

In den ersten beiden Pandemie-Jahren 2020 und 2021 konnte die Übersterblichkeit in der Schweiz weitgehend mit den Folgen des Coronavirus erklärt werden. 2022 ist das nun nicht mehr möglich. «Die hohe Übersterblichkeit 2022 können wir uns derzeit nicht vollständig erklären», sagt Günthard. «Ein Teil geht aber sicher auf Covid zurück.»

Eine Theorie ist derzeit, dass das Coronavirus länger anhaltende gesundheitliche Schäden verursacht und Menschen nicht direkt an Corona, sondern aufgrund der vom Virus verursachten Organschäden, insbesondere an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, starben. «Das schliesse ich nicht aus», sagt Günthard dazu. «Vieles ist allerdings noch unklar und Kausalitäten sind schwierig zu beweisen. Hoffentlich werden künftige Studien das Rätsel lösen können.»

Nicht verantwortlich für die hohe Übersterblichkeit 2022 ist die Covid-Impfung. Lediglich sechs Todesfälle verzeichnete das BFS im Jahr 2022 aufgrund von «unerwünschten Nebenwirkungen bei der Anwendung von Covid-19-Impfstoffen». Diese sind tragisch, können die schweizweite Übersterblichkeit aber nicht erklären. Das deckt sich mit den Erfahrungen von Günthard: «Wegen der Covid-Impfung hatten wir im letzten Jahr kaum Zuweisungen, weder stationär noch ambulant. Ich glaube deshalb nicht, dass sie eine Rolle spielt.»

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128 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Anti-Putin
06.07.2023 12:16registriert Februar 2016
Wenn es Studien gibt, die eine Schädigung vom Herz-Kreislauf System, Hirn, etc. nachweisen, dann gibt es ziemlich starke Hinweise auf kausalen Zusammenhang mit Übersterblichkeit.
Nur scheint das niemand gerne zu hören. Lenkt zu fest vom so tun als wäre alles vorbei ab.
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stevensplace
06.07.2023 13:40registriert März 2020
Auch hier wieder, spürt man die Tendenz von (lieben) Mitmenschen, die unbeschadet und ohne Langzeitfolgen durch die Pandemie gekommen sind, mit Herablassung und Spott denjenigen zu begegnen, die das leider nicht geschafft haben.
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SusiBlue
06.07.2023 16:24registriert Februar 2016
"Es sind vor allem ältere Menschen, die 2022 an Corona starben:(…) 55% gar über 85 Jahre alt."

Statistisch gesehen sterben alle heutigen Ü85 bald einmal. An was wollt ihr denn sterben?!

Wieso ist es nicht "gut", an Covid zu sterben?
Ist es besser an Krebs zu sterben?
Oder die Jahre zwi. 85 - Tod mit Altersdemenz in der "eigenen Welt" zu leben?

Ich habe es so satt wie über den Tod gesprochen wird!
Der Tod kommt bei uns allen, je älter wir werden, desto wahrscheinlicher. Das Lebenziel sollte nicht sein, es zu verlängern, sondern primär, das Beste aus der gegebenen Zeit zu machen!
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