Jeder unserer Sinne nimmt die Masse wahr. Wir hören, sehen, fühlen und riechen die vielen anderen Körper um uns herum. Für dieses Erlebnis ist es zweitrangig, ob vorne ein Schiedsrichter das Foul übersieht, der Gitarrist vor Ekstase beim Solo auf die Knie fällt oder alle dieselbe Klima-Parole brüllen. Es sind die anderen Menschen am selben Ort zur selben Zeit, die dem Ereignis seinen sozialen Wert verleihen.
Doch das Jahr 2020 ist für Menschen mit Vorlieben für Grossveranstaltungen ein schwieriges. Bis auf weiteres dürfen keine Versammlungen von mehr als fünf Personen stattfinden. Festivals wie das Tomorrowland bieten deshalb Live-Streams an, die ein wenig Trost spenden sollen. Klima-Demos sollen derweil im digitalen Raum stattfinden.
Johannes Ullrich, Professor für Sozialpsychologie an der Universität Zürich, klärt im Gespräch auf, wie sich Menschen in Massen verhalten und welche Rolle der Kontrollverlust spielt. Ein Interview zum Thema Massenpsychologie:
Herr Ullrich, weshalb elektrisieren uns Menschenmassen an Festivals, aber in vollen Zügen beengen sie?
Johannes Ullrich: Masse bedeutet Reiz. Wir sind alle unterschiedlich empfänglich für Reize. Nicht alle fühlen sich deshalb von Massen elektrisiert. Manche nehmen die Masse vielleicht nur der Musik wegen in Kauf. Während sie für die einen ein berauschender Erregungszustand bedeutet, fühlen sich andere überreizt und unwohl.
Warum begeben wir uns bewusst in dichte Mengen?
Wir haben eine ambivalente Beziehung zur Masse. Gewollt oder ungewollt: Oft setzen wir uns ganz bewusst dem Dichtestress aus. Zum Beispiel, wenn wir zu Stossverkehrszeiten im ÖV zur Arbeit fahren. Die meisten Menschen bevorzugen beispielsweise eine halb volle Bar. In leeren Räumen fühlen wir uns unwohl, aber wir wollen uns auch nicht gegenseitig auf die Füsse stehen. Eine halb volle Bar füllt sich meist schnell – viele fühlen sich wohl – und schon ist es im Lokal wieder zu eng. Ein soziales Dilemma.
Was bedeutet der Verlust grosser Veranstaltungen wie Festivals für uns?
Die Menschen suchen immer nach Gleichgewicht: Gestern die Party, heute der ruhige Abend. Dieses Gleichgewicht variiert von Person zu Person und von Situation zu Situation. Die Massnahmen, die der Eindämmung der Pandemie dienen, beschneiden dieses Gleichgewicht. Alle Menschen haben ihre Mühen mit Corona, denn wir können unser Alleinsein nicht mehr selbst regulieren. Der Grad an Masse, den wir uns wünschen, ist eingeschränkt.
Inwiefern verhalten wir uns in Menschenmassen anders?
Der Mensch verhält sich immer anders unter seinesgleichen, da er sich auf sein Gegenüber einstellt. Sozialpsychologische Studien zeigen, dass Menschen in grossen Mengen überlegt handeln und füreinander da sind. In ernsten Situationen können sie impulsiv reagieren und helfen. Die Annahme, dass Menschenmassen schlecht und gewalttätig sind, ist psychologisch nicht haltbar. Wobei der Einfluss von Alkohol natürlich berücksichtigt werden muss.
Viele fürchten den Kontrollverlust im Alltag. In der Masse ist er aber oft willkommen. Weshalb?
Es ist ein positiver Kontrollverlust. Man ist offen für Impulse und neue Erfahrungen. Etwas erleben wollen heisst, Kontrolle abzugeben. Dabei wird die Enge in Kauf genommen. Das muss nicht zwangsläufig negativ sein.
Wie entsteht das Gefühl der Verbundenheit in einer Masse, obwohl sich die meisten Menschen nicht kennen?
Das Gefühl der Verbundenheit entsteht aus dem gemeinsamen Teilen eines Moments heraus. Wir nennen das in der Psychologie «common fate» (gemeinsames Schicksal). Der Raum spielt hierbei eine tragende Rolle. Menschen reagieren in Echtzeit am selben Ort zusammen auf etwas. Das kreiert Verbundenheit. Als Beispiel für «common fate» dient die Stadtverwaltung: Menschen fühlen sich nicht stark miteinander verbunden, nur weil alle Mitarbeiter der Verwaltung sind. Doch werden massiv Stellen abgebaut, kann das gemeinsame Schicksal verbinden, man fühlt sich näher.
Wenn Raum und Zeit so wichtig sind, können Streams das Erlebnis überhaupt annähernd ersetzen?
Nein, es gibt keinen Ersatz. Kein Werkzeug kann die Atmosphäre simulieren, die eine Menschenmasse erzeugt. Streams ersetzen die Reize nicht, die von der gleichzeitigen Anwesenheit vieler Menschen an ein und demselben Ort ausgehen.
Was können wir aus dieser Ausnahmezeit mitnehmen?
Man wird sehen, wie viel Entertainment entbehrlich ist. Wenn die Ausnahmesituation endet, können wir uns fragen: Hat es uns wirklich so gefehlt? Gerade der Fussball ist ein riesiger Zirkus, der starke Bedürfnisse erzeugt. Aber brauchen wir ihn wirklich? Ich sehe Corona diesbezüglich wie eine Fastenzeit. Nach dem Verzicht können wir uns wieder auf ein normales Niveau einpendeln.
Wie sieht es für Bewegungen wie Fridays for Future aus? Sie sind kein Entertainment sondern eine Masse mit politischen Forderungen.
Die Unterschiede zwischen Original und Internet treten bei Demos wie am 1. Mai am deutlichsten hervor: Hier entgeht uns politische Teilhabe, wenn wir sie am dringendsten bräuchten. Für Veranstaltungen wie Klima-Demos sind zwei Dinge wichtig. Erstens wollen sie ihre Forderungen nach aussen kommunizieren («Etwas muss sich ändern»). Zweitens kommunizieren sie auch nach innen («Wir sind nicht allein»). Diese Kommunikation ist durch das Versammlungsverbot gehemmt. Das birgt grosse soziale Kosten für die Gesellschaft.
Weder bin ich inbalanced noch hab ich ein Problem. Mein Leben ging genau gleich weiter wie vorhin. Ich habe 5 Tage die Woche gearbeitet, ging einkaufen etc. Ich fühlte mich nicht belastet durch diese Pandemie noch hatte ich probleme oder sonst was.
Allg. wenn ein "Experte" von "Allen" redet ist der bei mir so oder so schon untendurch weil solche aussagen sind brandgefährlich.