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Fahrgemeinschaften: Grüne-Politikerin will eigene Autobahn-Spuren

Franzisky Ryser fordert mit ihrem Postulat die vertiefte Prüfung von Carpooling
In der Schweiz sitzen zu Stosszeiten im Durchschnitt 1,1 Personen in einem Auto.Bild: keystone / watson

Grüne-Politikerin will die Autobahn revolutionieren – am liebsten nach Pariser Vorbild

Weniger Stau, weniger Emissionen, effizientere Strassen: In Paris sind spezielle Spuren für Fahrgemeinschaften bald Realität. In der Schweiz gäbe es die gesetzliche Grundlage dazu auch – doch auf den Strassen ist davon wenig sichtbar. Eine Grüne-Nationalrätin möchte das ändern.
10.02.2025, 21:0810.02.2025, 21:29
Thomas Wey
Thomas Wey
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Paris macht Ernst mit der Verkehrswende. Ab März wird die äusserste Spur des «Boulevard Périphérique», der stark frequentierten Stadtautobahn, zu bestimmten Zeiten für bestimmte Fahrzeuge reserviert.

Das nennt man Carpooling. Von Montag bis Freitag zwischen 7:00 und 10:20 Uhr sowie von 16:00 bis 20:00 Uhr dürfen auf den speziell gekennzeichneten Fahrstreifen nur noch Fahrgemeinschaften mit mindestens zwei Personen, Taxis, Busse sowie Menschen mit einem Behindertenausweis fahren. Ziel der Massnahme ist es, Staus zu reduzieren und die Lärm- und Umweltbelastung zu verringern.

Was ist Carpooling?

Auf der Website des Astra befindet sich unter der Rubrik «Massnahmen gegen Stau» die folgende Definition:
Unter Carpooling versteht man das gemeinsame Benutzen eines Fahrzeugs von mindestens zwei oder mehr Personen für eine bestimmte Strecke. Zur Förderung eines solchen Verhaltens kann die Strasseninfrastruktur so umgestaltet werden, indem bestimmte Fahrstreifen dediziert, nur von Fahrzeugen, die mit mehreren Personen besetzt sind, befahren werden dürfen (wie z.B. in den USA eingesetzt).
astra.admin.ch

Könnte das auch in der Schweiz funktionieren?

Nach dem Nein zum Autobahnausbau im vergangenen Herbst sind alternative Lösungen und ein intelligentes Verkehrsmanagement gefragter denn je. Wenn keine neue Infrastruktur gebaut wird, muss die bestehende eben umso effizienter genutzt werden.

Die rechtlichen Grundlagen dazu wären vorhanden: Seit 2023 gibt es in der eidgenössischen Signalisationsverordnung das Signal «Mitfahrgemeinschaft». Das Symbol zeigt ein Auto mit mehreren Insassen und eine Zahl, die angibt, wie viele Personen sich mindestens im Fahrzeug befinden müssen.

Zusatztafel Mitfahrgemeinschaft gemäss Anhang zur eidgenössischer Signalisationsverordnung.
Bild: fedlex.admin.ch

Damit können Mitfahrgemeinschaften auf Busspuren oder in bestimmten Fahr- und Parkverbotszonen bevorzugt werden. Wer sich nicht daran hält, wird gebüsst.

Wo sind die Schweizer Carpooling-Spuren?

Diese Frage stellt sich auch die Politik. So wollte die ehemalige Grüne-Nationalrätin Natalie Imboden im September 2023 vom Bundesrat wissen, ob das neue Verkehrssignal bereits im Einsatz sei und ob auch Autobahnen damit ausgerüstet würden.

Natalie Imboden, Praesidentin der Gruenen Kanton Bern, schreitet in Richtung Rathaus, an den Berner Regierungsrats- und Grossratswahlen, am Sonntag, 27. Maerz 2022 in Bern. Das Stimmvolk des Kantons B ...
Natalie Imboden sind soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz wichtig.Bild: keystone

Die Antwort des Bundesrats vom 25. September war zurückhaltend: Man wolle Mitfahrgemeinschaften fördern, um die Verkehrsüberlastung zu verringern. Auf Autobahnen seien jedoch keine Mitfahrspuren geplant. Das Signal werde bislang lediglich an einem Grenzübergang und auf einigen Parkplätzen verwendet. Ob Kantone oder Gemeinden weitere Massnahmen ergreifen, sei dem Bundesrat nicht bekannt.

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Zweiter Anlauf nach dem Nein zum Autobahnausbau

Ist das Thema damit erledigt? Nicht für die Grüne-Nationalrätin Franziska Ryser. Nach dem abgelehnten Autobahnausbau wagte sie im vergangenen Dezember einen neuen parlamentarischen Vorstoss.

Franziska Ryser, GP-SG, spricht waehrend einer Sondersession des Nationalrats, am Montag, 15. April 2024, im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Franziska Ryser möchte Fahrgemeinschaften für Pendler attraktiv machen.Bild: keystone

In ihrem Postulat «Mobilitätsstrategie zur Förderung von Carpooling auf Nationalstrassen» fordert Ryser den Bundesrat auf, Anreize für Carpooling zu untersuchen und Lösungsvorschläge aufzuzeigen, wie dessen Potenzial zur Staureduktion und Klimaschonung besser genutzt werden kann. Ihrer Meinung nach liesse sich das Stauproblem durch Carpooling günstig, effizient und vor allem zeitnah entschärfen.

Der Experte ist skeptisch

Thomas Sauter-Servaes leitet an der ZHAW den Studiengang Mobility Science. Er bildet angehende Verkehrsplaner und Ingenieurinnen aus und beschäftigt sich intensiv mit der nachhaltigen Entwicklung des Verkehrs.

«Die Idee, die Fahrzeuge besser auszunutzen, erscheint auf den ersten Blick sehr überzeugend», erklärt Sauter-Servaes. Doch in der Praxis sieht er grosse Hürden. «Wie bekommen wir die Leute dazu, das Konzept Fahrgemeinschaft wirklich zu leben?»

Prof. Dr.-Ing. Thomas Sauter-Servaes, Leiter Studiengang Mobility Science ZHAW
Thomas Sauter-Servaes beurteilt Carpooling kritisch.Bild: zhaw / Gian Marco Castelberg
«Soweit ich weiss, hat es bisher nirgendwo wirklich funktioniert.»
Thomas Sauter-Servaes

Die zunehmend flexibleren Arbeitszeiten machen es laut dem Mobilitätsforscher schwer, Carpooling in den Alltag zu integrieren. «Die Menschen schätzen ihre Individualität und Flexibilität viel zu sehr», sagt er. Viele kombinieren ihren Arbeitsweg mit anderen Aufgaben – sei es, die Kinder zur Schule zu bringen oder nach Feierabend Freunde zu besuchen. Die Vorstellung, diese Flexibilität aufzugeben, stösst auf Widerstand. «Der Anreiz müsste wirklich hoch sein. Soweit ich weiss, hat es bisher nirgendwo wirklich funktioniert.»

Deshalb warnt Sauter-Servaes davor, Carpooling als eine Wunderwaffe für nachhaltige Mobilität zu betrachten. «Es wird nicht DIE EINE LÖSUNG geben, die alle Probleme löst», betont er. Vielmehr sei es notwendig, eine Vielzahl von Massnahmen zu ergreifen.

Eine mögliche Alternative sieht er in kleineren Fahrzeugen. In Japan werden die sogenannten «Kei-Cars» genutzt. Diese kleinen, effizienten Autos könnten helfen, den Individualverkehr zu optimieren und gleichzeitig Platz sowie Ressourcen zu sparen.

Nakatsu, Japan - Nov 26 2022: The Suzuki Hustler is a crossover SUV-styled kei car produced by the Japanese automaker Suzuki since 2014, The car is also sold by Mazda as the Mazda Flair Crossover
Kei-Cars sind maximal 1,48 Meter breit und 3,40 Meter lang – das macht die Mini-Autos deutlich kompakter und effizienter als andere Fahrzeuge.Bild: www.imago-images.de

Ein anderer Ansatz sind automatisierte Fahrzeuge. «Der Trend geht klar in diese Richtung», so Sauter-Servaes. Er erwartet in Zukunft eine starke Verschmelzung von öffentlichem Verkehr und Individualverkehr. Modelle wie bestellbare Taxis oder On-Demand-Verkehrsangebote, die eine flexible und kostengünstige Mobilität bieten, könnten den privaten Autobesitz überflüssig machen. «Besonders in Städten wird es für Menschen noch unattraktiver werden, ein eigenes Auto zu besitzen».

Das sagt das Bundesamt für Strassen

Das Bundesamt für Strassen (Astra) beschäftigt sich ebenfalls mit Carpooling. Die Abteilung Information und Kommunikation kommt auf Anfrage zu einem ähnlichen Schluss wie der Mobilitätsforscher: «Letztlich muss nebst der Förderung des Bundes natürlich auch eine gewisse Bereitschaft zur Nutzung des Carpoolings in der Gesellschaft vorhanden sein». Eine Untersuchung von August 2023 habe aufgezeigt, dass Carpooling als gute Idee erkannt wird. Die Bereitschaft zur Teilnahme an Fahrgemeinschaften sei aber «sehr tief».

Ob es bereits Carpooling-Strecken auf kantonalen oder kommunalen Strassen gibt, weiss das Astra nicht. Und auch auf Nationalstrassen wäre die Umsetzung schwierig: Auf zweispurigen Autobahnen könnte eine Carpool-Spur den Verkehrsfluss zu stark beeinträchtigen, ein Überholen von Lastwagen und anderen langsameren Fahrzeuge wäre nicht mehr möglich. Auf dreispurigen Abschnitten wäre zwar genug Platz da, aber häufige Ein- und Ausfahrten sowie Verzweigungen könnten die Effektivität des Carpoolings erheblich verringern oder sogar negative Auswirkungen auf den Verkehrsfluss haben, erklärt das Astra.

Seit kurzem durchgehend dreispurig befahrbar: die Nordumfahrung Zürich der Autobahn A1.
Ein gewohntes Bild zu den Stosszeiten: Drei Spuren, aber kein Vorankommen vor dem Gubristtunnel.Bild: Keystone

«Mangel an politischem Willen»

Franzsika Ryser kennt die Argumente des Mobilitätsforschers und des Astra. Dennoch ist sie vom Potenzial von Fahrgemeinschaften überzeugt. Sie kritisiert, dass die Idee oft mit vorgeschobenen Argumenten allzu leicht vom Tisch gewischt werde: «Die Option kategorisch auszuschliessen, ist zu einfach», sagt sie. Aus Sicht der Nationalrätin gäbe es durchaus Pendlerinnen und Pendler, die diese Form der Mobilität annehmen würden.

Franziska Ryser, Co-Praesidentin umverkehR, Nationalraetin Gruene/SG, spricht waehrend einer Medienkonferenz des Referendumskomitees gegen den "masslosen Autobahn-Ausbau" im Hinblick auf Abs ...
Franziska Ryser hat an der ETH Maschinenbau studiert.Bild: keystone

Allerdings können Fahrgemeinschaften das Problem nicht allein lösen, gibt sie zu. «Carpooling ist ein Puzzlestein von vielen.» Neben Mitfahrgelegenheiten brauche es auch Massnahmen wie Temporeduktionen sowie einen attraktiven öffentlichen Verkehr und den Ausbau der Infrastruktur für den Langsamverkehr.

Auch Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber können durch Anreize einen Beitrag leisten, das Konzept attraktiver zu machen: «Gemeinsames Pendeln kann für das Personal sogar eine Bereicherung sein. In Deutschland und Frankreich gibt es gute Beispiele, die erfolgreich mit solchen Mobilitätsanreizen arbeiten.»

«Es gibt genügend Autobahnabschnitte mit drei Spuren.»
Franziska Ryser

Ryser fordert, dass man es zumindest versucht: «Die Voraussetzungen für einen Versuchsbetrieb sind da.» Aus ihrer Sicht mangelt es am politischen Willen: «Es gibt genügend Autobahnabschnitte mit drei Spuren. Hier könnte man ohne Weiteres einen Test durchführen – wenn man will. So könnte man wertvolle Erfahrungen sammeln, was funktioniert und was nicht,» erklärt Ryser.

Das Astra arbeitet aktuell tatsächlich an einem Gesamtkonzept für eine Pilotregion, «um effizienzsteigernde Massnahmen netz- und verkehrsträgerübergreifend zu evaluieren». Eine geeignete Region wird noch gesucht.

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Der Pendelstau-Selbstversuch auf der Autobahn
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233 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Hierundjetzt
10.02.2025 21:12registriert Mai 2015
Das funktioniert in Phoenix, Houston oder LA mit 6 - 10 spurigen Autobahnen und 0 ÖV.

Sicher nicht in der Schweiz mit Kleinstdistanzen dem 2. besten ÖV des Planeten und 4 Autobahnspuren
20740
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Jonas der doofe
10.02.2025 21:55registriert Juni 2020
Warum? Warum legen es die Grünen sooooooooo hardcore draufan,dass sie nicht gewählt werden?

In Amerika macht das absolut Sinn. Dort hat die Autobahn irgendwo 6-8 Spuren. Da kann man eine davon für Carpools reservieren. Hier in der Schweiz wirds nicht funktionnieren, weil wir ja grossmehrheitlich 2 Spuren haben.

Wieder sowas weltfremdes, das ärgert mich so, weils schonwieder Leute in die Hände der Rechten treibt.
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AFK
10.02.2025 21:35registriert Juni 2020
Motorräder und Roller führen ein Schattendasein in der Schweiz, obwohl es eine im Vergleich zum Auto simmvolle Alternative wäre, weniger Verbrauch, kein Stau, kein Parkplatzsuchverkehr. Nötig wären mehr legale Stellplätze und die Erlaubnis bei Stau im Schritttempo, wenn Platz vorhanden, vorbeizurollen (funktioniert im anderem Länder problemlos). Also liebe Politiker, habt doch auch mal Ideen statt nur Verbote.. danke!
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