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Zwei knapp 80-Jährige erzählen, wie sie die Badenfahrt heute erleben

Zwei 80-jährige Badner erzählen, wie sie die Badenfahrt heute erleben

Veronika und Alfons Müller waren 1977 zum ersten Mal an der Badenfahrt mit dabei – und auch dieses Jahr zieht es sie wieder ans Stadtfest. Ein Gespräch darüber, wie sich das Volksfest verändert hat und warum das nichts Negatives ist.
24.08.2023, 18:2124.08.2023, 22:16
Anna Böhler
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Frau Müller gibt am Telefon den Hinweis, sie und ihr Ehemann seien ganz einfach zu erkennen am vereinbarten Treffpunkt: «Wir sind ein hochgewachsenes älteres Paar. Sie finden uns bestimmt.» Und dem war dann auch so.

Zum ersten Mal an der Badenfahrt dabei waren die zwei 1977. Damals war die junge Familie erst frisch zugezogen von Lenzburg und hatte eigentlich noch keinen grossen Bezug zu Baden. Veronika erinnert sich trotzdem daran, damals keinen einzigen Abend des zehntägigen Festes verpasst zu haben. «Wir waren lauter junge Familien in unserer Siedlung, da hat man sich mit dem Babysitten abwechseln können und ging gemeinsam feiern.» Der 79-jährige Alfons sagt, er erinnere sich am besten an jene Jahre, in welchen die beiden aktiv bei einer Festwirtschaft mitwirken konnten. «Zusammen mit dem Dorfverein Baden-Dättwil haben wir einige Male etwas auf die Beine gestellt.»

Veronika und Alfons Müller von Dättwil erzählen davon, wie es als Senior an der Badenfahrt so ist.
Veronika und Alfons Müller an der Badenfahrt 2023.Bild: watson

Vom Traktor abgeholt

Zusammen mit einem anderen Paar haben Alfons und seine ein Jahr jüngere Veronika an der Badenfahrt 1983 eine Beiz geführt. Ein regionaler Gemüsebauer hatte seinen Ladewagen zur Verfügung gestellt. Rundherum montierten die Beizer Melchstühle, auf dem Wagen oben wurde eine Theke eingerichtet und fertig war die mobile Bar. Eigentlich hätte man damit durch die Stadt fahren wollen, doch wie sich herausstellte, reichte der Platz aufgrund der vielen Besuchenden nicht aus. «Es hagelte Komplimente für den Kaffi am Morgen.» Vielleicht lag es am kalkärmeren Wasser aus dem Löwenbrunnen, das sie dafür benutzten, werweisst Veronika. Wenn der Arbeitstag lange nach Einbruch der Dunkelheit vorbei war, kam besagter Gemüsebauer mit seinem Traktor und holte den umfunktionierten Ladewagen mitsamt allen vier Beizern wieder ab.

Schliesslich zählte man das Geld in der Kasse und rechnete ab. So viel sei es damals nicht gewesen, da habe es andere Vereine gegeben, die in professioneller Manier grosse Beizen organisiert hätten, meint Alfons. Aber das Geld sei sowieso nicht ihr Ansporn gewesen. «Wir taten es, weil wir gerne um die Menschen herum waren und neue Kontakte knüpfen», sagt er. «Und hauptsächlich, um Spass zu haben», ergänzt Veronika mit einem warmen Lachen.

An der darauffolgenden Badenfahrt wollten sie deshalb gleich nochmals aktiv mit einer eigenen Beiz vom Dorfverein mitwirken. Dieses Mal bot man Rindstartar an – vom Metzger, der beinahe rund um die Uhr Nachschub lieferte. Die Beiz sei ein riesiger Erfolg gewesen, man habe auch hohe Politiker aus Aarau zu Gast begrüssen dürfen, erzählen die beiden voller Stolz. Einzig das mühsame Aufräumen blieb davon negativ in Erinnerung. Veronika musste morgens jeweils das Festzelt mit dem Schlauch abspritzen, weil unsittliche Männer nicht fürs Toitoi anstehen wollten. «Und das bei Temperaturen, wie wir sie jetzt gerade haben.»

Eine Folge des Älterwerdens

Es sind aber nicht bloss die früheren Badenfahrten, die den Müllers besonders in Erinnerung geblieben sind. Die zwei gehen nach wie vor nach Baden, um ihr Stadtfest zu feiern. Alfons denkt zurück: «An der letzten Badenfahrt waren wir eigentlich schon auf dem Nachhauseweg, da liefen wir um zwei Uhr morgens an ein Konzert von Hanery Amman heran.» Das Konzert des inzwischen verstorbenen Schweizer Musikers wecke noch heute schöne Gefühle, meint Veronika. Es sei heute schwieriger, auf dem Musikprogramm jemanden zu finden, den man kenne. «Das ist eine Folge des Älterwerdens», stellt Alfons fest. Trotzdem entdecken die beiden an der Badenfahrt immer wieder mal neue musikalische Darbietungen, die es ihnen antun.

«Die Badenfahrt und Baden fühlen sich an, wie unser Zuhause», sagt Veronika mit strahlenden, blauen Augen. Auf der Strasse würden ihr Mann und sie erkannt von ehemaligen Mitarbeitern oder Schülern, die inzwischen eine eigene Familie haben. Dass solche Begegnungen die zwei überglücklich machen, merkt man schon beim Zuhören. Während der zehn Festtage treffen sie immer wieder auf Leute, die sie bereits lange nicht mehr gesehen haben. Und beim Schlendern übers Festgelände entdecken sie Konzerte von ihnen unbekannten Musikern, die sie begeistern.

«Ich habe auch richtig Lust, in die Stadt zu gehen. Man kommt in ein regelrechtes Fahrtwasser.» Veronika glaubt ausserdem, dass die Badenfahrt gerade die älteren Semester aus dem Schneckenhaus – wie sie es nennt – lockt. Das Fest erleben sie natürlich etwas entspannter, als sie noch jünger waren. Trotzdem sind sie dankbar für ihre Gesundheit. Herr und Frau Müller fühlen sich nach wie vor fit genug, um die steilen Treppen zur Limmat und wieder hoch in die Stadt in Angriff zu nehmen. «Das ist nicht selbstverständlich, wenn wir uns in unserem Freundeskreis umsehen», sagt Veronika.

Der Zauber liegt in der Verrücktheit

Angesprochen darauf, was sie am ersten Badenfahrts-Wochenende gemacht haben, grinsen die zwei sich an und sagen im Kanon: ausgeschlafen. Man müsse sich dem Takt des Festes ja schliesslich anpassen, um mitzuhalten. Der Freitag sei da, um sich erstmal einen Überblick vom Fest zu verschaffen. Direkt um 18 Uhr, pünktlich zur Eröffnung, haben sie sich ins Gewimmel gestürzt. Kurz habe Veronika dann an Corona gedacht und war heilfroh, dass Feste wie diese wieder stattfinden dürfen. «Wir haben einer tollen Badener Musikerin gelauscht.» Leider hätten nur wenige den Weg bis zur etwas abgelegenen Bühne bei den Regionalwerken Baden auf sich genommen für ihr Konzert. Alfons zeigt Fotos von der Lichtershow in der reformierten Kirche, die ihm so sehr gefällt, dass er vielleicht nochmals hingehen will.

Das kulturelle Angebot habe heute einen höheren Stellenwert. «Es wird meines Erachtens bewusster wahrgenommen, gerade auch von der jüngeren Generation.» Verändert habe sich seit der Badenfahrt in den 70er-Jahren einiges. «Sie ist grösser geworden und die Bauten aufwändiger», findet Alfons. Früher sei das Fest noch bescheidener gewesen. «Ich finde das aber positiv. Man soll nicht jammern, dass immer alles verrückter wird. In genau dieser Verrücktheit liegt doch der Zauber.»

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14 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Lagi
24.08.2023 19:10registriert Mai 2022
Ganz genau… „in der verücktheit lieg der zauber“

Oder, wie ich es formulieren würde: die liebe, die bei (fast) jedem aufbau greifbar wird sorgt für unglaublich gute vibes an diesem grossartigen strassenfest.

Grüsse aus dem thurgau…
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