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Kaum jemand spricht heute mehr über die Kosovaren. Sie haben es aus den Schlagzeilen geschafft. Dabei ist die Durchsetzungs-Initiative, über die wir Ende Februar abstimmen, das Kind einer Zeit, in der in der Schweiz heftig über Ausländerkriminalität gestritten wurde. Die Initiative geht auf die Ausschaffungs-Initiative der SVP von 2012 zurück. Aus ihrer Sicht hat das umsetzende Parlament die Forderung verwässert, härter gegen kriminelle Ausländer vorzugehen.
Mit Ausländern waren häufig die «Jugos» gemeint. Vor allem die seit Mitte der 1990er-Jahre stark ansteigende Zahl der Kosovo-Albaner. Wofür man sie alles verantwortlich machte: Raser waren sie, Schläger, Sozialschmarotzer und Messerstecher.
So spuckt die Suche in der Schweizer Mediendatenbank nach Kosovaren, Balkan und Ausschaffungs-Initiative in den zwei Jahren vor der Ausschaffungs-Abstimmung Ende November 2010 gut 100 Online- und Zeitungsartikel aus. Sucht man hingegen nach denselben Personenkreisen, kombiniert mit Durchsetzungs-Initiative, so findet man für die letzten beiden Jahre weniger als 20 Artikel. Den Schlusspunkt zur Angstmache vor Kosovo-Albanern setzte quasi das Plakat mit der Aufschrift «Kosovaren schlitzen Schweizer auf» anlässlich der Masseneinwanderungs-Initiative im Februar 2014.
In den Jahren 1998 und 1999 sorgten die Kosovaren wegen des Kriegs in ihrer Heimat für die höchsten Asylzahlen in der Schweiz. Letztes Jahr baten hierzulande knapp 40'000 Menschen um Asyl. Darunter sehr viele Eritreer, Afghanen und Syrer.
Mit der Kölner Silvesternacht, in der sich vor allem Nordafrikaner an Frauen vergangen haben sollen, sind die Kosovaren weiter aus dem Scheinwerferlicht gerückt. Ist das ein Zeichen dafür, dass die Kosovo-Albaner nun in der Schweiz integriert und akzeptiert sind? Eine Kosovo-Albanerin, ein Albanologe und eine Forscherin, welche die kosovarische Diaspora in der Schweiz untersucht hat, geben Antworten.
Ähnlich wie heute, ebnete eine Flüchtlingswelle das Terrain für die Debatte um kriminelle Ausländer. Als Gastarbeiter waren Kosovaren schon seit den 1960ern in die Schweiz gekommen. Sie waren Saisonniers und verdienten hierzulande gutes Geld, das sie ihrer Familie in der Heimat schicken konnten. Mit Ausbruch der Balkankriege in den 1990er-Jahren stieg ihre Zahl rapide an. Es kamen vor allem politische Flüchtlinge dazu. Und in den Rekordjahren 1998/1999 baten über 50'000 Kosovaren in der Schweiz um Asyl. Die meisten von ihnen hatten bereits Verwandte in der Schweiz.
Doch ihre Integration stellte sich als schwierig heraus: Bis heute ist die Kriminalitätsrate unter Kosovo-Albanern in der Schweiz hoch und das Bildungsniveau tief. Mangels Qualifikationen haben noch immer viele Mühe, im Arbeitsleben Fuss zu fassen.
Das erging anfänglich auch der Familie von Kaltrina Ahmetaj nicht anders. Die heute 29-jährige Kosovo-Albanerin kam als 7-Jährige in die Schweiz. Zusammen mit ihrer Familie, ein Jahr später nur, nachdem ihr Vater 1993 hier politisches Asyl erhielt. Vater Ahmetaj war ein im Kosovo politisch aktiver Englischlehrer und wurde deshalb verfolgt. In der Schweiz fand er zu Beginn keinen Job.
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Doch Kaltrina Ahmetaj wurde gefördert und studierte in Zürich und Basel visuelle Kommunikation. Sie sagt, dass die Zahl der albanisch-stämmigen Studenten stark ansteigt: «2008 habe ich in Zürich mit meinem Studium begonnen. Den albanischen Studentenverein der Uni Zürich gab es schon damals. Das waren aber erst etwa zehn Nasen.»
Heute spricht der albanische Studentenverein der Uni Zürich von 200 Mitgliedern. Ähnlich Zahlen nennen die Vereine in Bern, Basel oder Freiburg. Und der Albanologe und Dozent an der PH Zürich, Basil Schader, bestätigt Ahmetajs Beobachtung: «Früher hatte ich als Dozent an der PH nie albanische Studenten, das hat sich prägnant geändert», sagt er. Viele liessen sich ausserdem für Kaderstellen der Spitalpflege oder im kaufmännischen Bereich ausbilden. «Dort sind albanische Sprachkenntnisse ein grosser Vorteil, weil sie den Zugang auch zu jenen Albanern ermöglichen, welche die Landessprache noch nicht angemessen beherrschen.»
Vielen kosovo-albanischen Jugendlichen erging es anders als Kaltrina Ahmetaj. Manche von ihnen kamen erst, als der Krieg längst ausgebrochen war. Einige waren traumatisiert. Die Kosovo-Albaner hatten Mühe mit Schule und Jobsuche. Manche wurden arbeitslos, rutschten in die Sozialhilfe. Nicht wenige wurden kriminell. Fälle von Rasern, Blutrache und Zwangsheiraten sorgten für Schlagzeilen.
Und so ging es nicht lange, bis die Debatte über Ausländerkriminalität Aufschwung erhielt.
Barbara Burri hat die kosovarische Bevölkerung in der Schweiz in einer Studie für den Bund untersucht. Die Entwicklungshelferin ist verheiratet mit einem Kosovo-Albaner und sagt: «Früher hatten die Italiener einen schlechten Ruf, später waren es die Kosovaren. Solche Dinge ändern sich, Italiener wie Kosovaren haben einen ähnlichen Prozess durchlaufen.»
Burri ist zuversichtlich, dass die Kosovaren der Anerkennung durch Schweizer einen wichtigen Schritt näher gekommen sind. Weil sie eine Entwicklung durchgemacht haben, die sie wie folgt beschreibt: Vor der Befreiung Kosovos im Jahr 1999 haben sich die Kosovo-Albaner in der Schweiz sehr stark mit der Unabhängigkeitsbewegung und mit den Freiheitskämpfern der UÇK sympathisiert und zu deren Unterstützung viel Geld in den Kosovo geschickt. Zuvor haben sie bereits das parallele Gesundheits- und Bildungssystem finanziert.
Ungefähr ab 2003 änderte sich das: Die Kosovaren begannen in dieser Zeit nicht nur, Wohneigentum zu erwerben, sondern gründeten vermehrt eigene Geschäfte, vor allem im Bau-, Reinigungs- und Gastgewerbe. Zudem engagierten sie sich in den politischen Parteien in der Schweiz.
Gemäss dem Albanologen Schader ist die Mehrheit der Kosovaren bestens integriert, führt ein unauffälliges und arbeitsames Leben. Viele der Kosovaren sind mittlerweile eingebürgert. Manche Kosovo-Albaner geben sich schweizerischer als die Schweizer selbst. Eine Beobachtung, die die Studentin Kaltrina Ahmetaj macht: «Mir fällt jeweils auf, wie sie beim Warten auf den Flug in den Kosovo am Flughafen stolz den Schweizer Pass in ihren Händen halten.»
Kaltrina Ahmetaj sieht ihre Volksgruppe immer besser integriert. Auch wenn sie selbst Fragezeichen stellt. So seien die Kosovaren in der Schweiz eher unter sich. Das zeige sich besonders bei der Wahl des Ehepartners. «Meine Brüder haben sich in den Ferien im Kosovo verliebt, die Frauen geheiratet, worauf diese in die Schweiz kommen konnten», erzählt sie. Und betont, selbst nicht die Herkunft als Bedingung zur Wahl des Partners, sondern ähnliche Interessen und Vorstellungen zu stellen.
Fragen zur Identität begleiten ihr Leben. So hat sich Kaltrina Ahmetaj überlegt, für eine Weile in den Kosovo zurückzukehren. «Denn der Grund, weshalb meine Eltern in die Schweiz gekommen sind, ist mittlerweile behoben. Der Krieg ist vorbei, politisch würden wir nicht mehr verfolgt.» Doch seien Korruption und Arbeitslosigkeit hoch. Das Leben dort sei schwierig und die Standards liessen sich nicht mit den hiesigen vergleichen.
«Die meisten haben realisiert, dass ihre Zukunft eher in der Schweiz liegen wird, weil sich in ihrer alten Heimat sowohl ökonomisch als auch politisch wenig zum Besseren veränderte», sagt Barbara Burri, die die kosovarische Diaspora untersucht hat.
Die Kosovaren haben sich mit dem Leben hier arrangiert. Und die Schweizer mit den Kosovaren? Albanologe Schader hofft, dass die Syrer, Eritreer und Nordafrikaner die Kosovaren nicht nur temporär von der Rolle als Sündenböcke abgelöst haben. Und, dass ihre Integration ebenfalls gelingen wird.
>> Interaktive Grafiken zur Situation der Kosovaren in der Schweiz findest du hier.