Es sind Horrorszenarien, die niemand erleben will. Flüchtlinge, die ihr Leben einem Schlepper anvertrauen, riskieren alles, um zu ihrem Zielort zu kommen – meist unter prekären Verhältnissen. Der neuste Vorfall in Nidwalden hat viele schockiert, doch es ist längst kein Einzelfall.
Die Kantonspolizei stoppte am Montagmorgen einen mutmasslichen Schlepper, der mit seinem Lieferwagen 23 Flüchtlinge in die Schweiz schmuggelte. Der Schlepper wurde festgenommen, er ist nicht geständig.
Während Stunden mussten die 23 Menschen auf engsten Verhältnissen stehend im Lieferwagen ausharren. «Der gesundheitliche Zustand der Personen ist zum Glück stabil», sagt Senad Sakic-Fanger, Chef der Kriminalpolizei Nidwalden. Der Transport sei jedoch menschenunwürdig und habe sicherlich eine psychische und physische Belastung mit sich gebracht. «Nach der Befreiung durch die Polizei waren die 23 Personen erleichtert, aber natürlich auch etwas verängstigt.»
Laut dem Chef der Kriminalpolizei Nidwalden ist der Lieferwagen in Italien mit den 23 Flüchtlingen gestartet. «Das Ziel war, nach Basel zu fahren. Dort hätte ein neuer Schlepper übernehmen sollen, um die Menschen nach Frankreich und weiter bis nach Deutschland und Grossbritannien zu schmuggeln», sagt Sakic-Fanger.
Diese wurden in einer Flüchtlingsunterkunft in Stansstad untergebracht. Die Personen werden bei einer Asylgesuchstellung dem nächsten Bundesasylzentrum zugeführt. Falls kein Asylgesuch gestellt wird, werden die Personen je nach Situation an die zuständigen Behörden übergeben oder aus der Schweiz weggewiesen.
Schleppertätigkeiten können Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren nach sich ziehen. Das Strafmass kommt auf den Tatbestand an. Wer Menschen schmuggelt, macht sich oft aus mehreren Gründen strafbar. Verboten ist auch, Menschen auf Ladeflächen zu transportieren. Oder wenn die Flüchtlinge aussteigen wollen und selber keine Tür öffnen können, macht sich der Schlepper der Freiheitsentziehung strafbar. Gibt es einen Unfall oder leiden die Flüchtlinge gesundheitlich unter der Fahrt, ist auch der Tatbestand der fahrlässigen oder vorsätzlichen Körperverletzung gegeben. Ebenfalls strafbar ist, wenn Flüchtlinge gedrängt werden, in einem gefährlichen Transportmittel mitzufahren. Dies erfüllt den Tatbestand der Nötigung.
Neben den kantonalen Polizeistellen ist vor allem das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) fast täglich mit Schlepperfällen konfrontiert. Meist handelt es sich jedoch um Fälle, bei denen bloss einige wenige Personen mit einem Schlepper unterwegs sind. Aufgrund der geografischen Lage ist die Durchreise durch die Schweiz eine der kürzesten Verbindungen von Süden nach Norden und daher für Schlepper interessant.
Die jährlichen Verdachtsfälle für Schleppertätigkeiten nehmen seit der Coronapandemie wieder zu. Letztes Jahr wurde mit knapp 480 mutmasslichen Schleppern ein neuer Rekord gebrochen. Sogar die Flüchtlingswelle von 2015 ergab mit 464 Verdachtsfällen weniger. Die Dunkelziffer dürfte aber massiv höher sein, schätzten Experten.