Luft raus, Deckel drauf – dieses Mantra befolgen die meisten Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz beim Entsorgen von PET-Flaschen. Auch das Zuführen von Papier- und Kartonabfall in den Recycling-Kreislauf ist hierzulande seit vielen Jahren klar geregelt. Doch Getränkekartons von Milch oder Fruchtsäften landen nach wie vor im herkömmlichen Müll. Genauso wie Plastikverpackungen wie zum Beispiel von Salaten, Joghurts oder Donuts.
Das soll sich ändern. Im Juli machte CH Media publik, dass die Branchenorganisation Recypac noch dieses Jahr eine schweizweite Sammlung von Getränkekartons und anderen Kunststoffverpackungen plant, die heute im herkömmlichen Abfall enden. Denn bis heute gibt es keine einheitliche Lösung dafür, sondern einen Flickenteppich mit einzelnen, regionalen Initiativen wie dem Kuh-Bag oder Sammelsack.
Hinter Recypac stehen indes bekannte Branchengrössen. Zu den Gründungsmitgliedern gehören die Detailhändler Migros, Coop, Lidl, Aldi und Spar sowie grosse Lebensmittelhersteller wie Nestlé, Unilever und Emmi. Ihre Offensive dürfte national somit mehr Durchschlagskraft haben.
Recypac-Geschäftsführerin Odile Inauen nennt gegenüber CH Media erstmals Details zur Strategie. «Ab Oktober können die Gemeinden das Recypac-System bei sich nahtlos in ihre bestehende Recycling-Infrastruktur einführen.» Die Eidgenössische Wettbewerbskommission habe der Branchenlösung, die kein Gewinnziel verfolge, grünes Licht gegeben. Bis 2030 werden Recyclingquoten von 55 Prozent für Kunststoff-Verpackungen und 70 Prozent für Getränkekartons anvisiert.
Inauen verweist darauf, dass trotz Pionier-Leistungen die Verwertungsquote von Plastikverpackungen und Getränkekartons erst bei knapp 3 Prozent liegt. «Von den 195'000 Tonnen an Plastikverpackungen und Getränkekartons, die in Schweizer Haushalten als Abfall anfallen, werden derzeit nur rund 6000 Tonnen rezykliert.» So kann es nicht weitergehen. Tatsächlich ist die Recypac-Massnahme nicht zuletzt eine Folge der 2020 eingereichten Motion von FDP-Nationalrat Marcel Dobler, welche die Förderung der Kreislaufwirtschaft forderte.
Auch im Vergleich mit anderen Ländern wie Irland oder Deutschland sei die Schweiz im Hintertreffen, sagt Inauen. Der aktuelle Flickenteppich an Lösungen zeige, dass kein Unternehmen den ganzen Kreislauf alleine organisieren könne. Deshalb hätten Verpackungsproduzenten wie Tetra Pak, Detailhändler wie Coop und Migros, Gemeinden und Verwerter die Branchenorganisation Recypac gegründet. «Diese Kooperation entlang der gesamten Wertschöpfungskette ist der grosse Vorteil gegenüber den bisherigen Sammelsystemen», sagt Inauen.
Künftig könne aus der gesammelten Getränkekarton- und Plastikmenge ein hochwertiges Rezyklat hergestellt werden, sagt Inauen. Supermärkte und Gemeinden können ab Oktober einen Recypac-Sammelsack verkaufen. Zu welchem Preis, würden die abgebenden Stellen bestimmen, sagt Inauen. «In den meisten Regionen wird der Recypac-Sammelsack jedoch günstiger sein als ein herkömmlicher Kehrichtsack, denn wir möchten auch finanziell einen Anreiz bieten, um die Rückführungsquote zu erhöhen». Der volle Sack soll dann in den Sammelstellen der Supermärkte und Gemeinden abgegeben werden können.
Weil Plastikverpackungen und Getränkekartons unter das Abfallmonopol der öffentlichen Hand fallen, benötigt Recypac von den Gemeinden eine Konzession für die Aufnahme der Sammeltätigkeit. Allerdings: Bei den heute bereits existierenden Initiativen wird zwar hierzulande gesammelt – aber im Ausland recycelt, in erster Linie in Süddeutschland und Österreich. Dort werden die verschiedenen Materialien auch getrennt. Das wird bis auf weiteres bei Recypac ebenfalls der Fall sein.
«Leider existiert derzeit in der Schweiz keine passende Recycling-Infrastruktur für den Plastikverpackungen- und Getränkekartonabfall», sagt Inauen. Aber: «Wir sind in Gesprächen für den Aufbau einer entsprechenden Recycling-Anlage in der Schweiz und hoffen, dass eine solche bereits in ein paar Jahren den Betrieb aufnehmen kann.»
Das Recycling-Potenzial ist gross. Wie Simone Alabor, Geschäftsführerin des Vereins Getränkekarton-Recycling Schweiz, zuletzt gegenüber CH Media sagte, gehen in der Schweiz pro Jahr Getränkekartons mit einem Verpackungsgewicht von 16'000 Tonnen über den Ladentisch. Damit stehe der Getränkekarton an dritter Stelle nach Glas und PET. Er schneide zudem auch bei der Ökobilanz gut ab, sagt Alabor: «Wird das schweizweite Recycling umgesetzt, gibt es keine umweltfreundlichere Verpackung auf dem Markt als den Getränkekarton.»
Greenpeace Schweiz sieht dies derweil anders, wie Sprecherin Michelle Sandmeier sagt. Grundsätzlich sei die Verwendung von Einwegverpackungen immer verschwenderisch. «Für jede neue Verpackung muss Material und Energie investiert werden», sagt Sandmeier. Recycling löse dieses Problem nicht. «Der ökologische Nutzen ist sehr klein und der Aufwand verhältnismässig gross.» Anstatt viel Geld in den Aufbau einer Sammel- und Recyclinginfrastruktur für Plastik und Getränkekartons zu investieren, fordert Greenpeace von den Akteuren dieses Geld stattdessen in die Entwicklung und den Aufbau eines ökologischen Mehrwegsystems zu stecken.