In den Alpen schmelzen nicht nur die Gletscher, sondern auch die vergletscherten Kuppen der Gipfel. Von den rund zwei Dutzend permanent von Eis bedeckten Bergspitzen in der Schweiz haben in den letzten 60 Jahren praktisch alle zwischen einem und bis zu 29 Meter Höhe verloren, wie eine Auswertung der «SonntagsZeitung» zeigt.
Bislang ging die Forschung stets davon aus, dass die Höhe der Schweizer Berge ungefähr konstant bleibt. Zwar wachsen die Alpen wegen der Plattentektonik pro Jahr um einige Millimeter, gleichzeitig erodiert die Oberfläche der Berge ganz leicht.
Doch die Wissenschaftler haben die Rechnung ohne den Klimawandel gemacht. Wegen der Schmelze der vergletscherten Kuppen hat beispielsweise der Tödi, der höchste Gipfel der Glarner Alpen, seit 1960 zwölf Meter an Höhe verloren. Die Jungfrau ist um acht Meter geschrumpft, die Parrotspitze im Monte-Rosa-Gebiet gar um 29 Meter. Das Fletschhorn im Kanton Wallis hat bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts seinen Status als 4000er verloren. Heute beträgt dessen Höhe noch 3985 Meter, elf Meter weniger als noch 1960.
Eine Ausnahme gibt es jedoch: Der vergletscherte Gipfel des Mönchs im Berner Oberland liegt heute ganze 11 Meter höher als 1960, als die ersten exakten Messungen durchgeführt wurden. Dessen spezielle geografische Lage führe nämlich dazu, dass heftige Stürme in Kombination mit unglaublich grossen Niederschlagsmengen Schnee auf dem Gipfel auftürmen.
Seit den 1960er-Jahren sind die Messungen des Bundesamts für Landestopografie (Swisstopo) auf den Zentimeter genau – entsprechend sind sie auch auf den Landeskarten angegeben. Blickt man noch weiter als bis 1960 zurück, ist der Höhenverlust mancher Berge deutlich grösser. Allerdings waren die früheren Messmethoden per Trigonometrie aus der Distanz vergleichsweise unzuverlässig. Wie viel Eis und damit Höhe die Gipfel pro Jahr tatsächlich verloren haben, ist bisher weitgehend unerforscht.
Für die meisten Glaziologen ist das Thema zu wenig relevant, und auch Geografen beschäftigten sich bisher kaum damit. Glaziologe Matthias Huss von der ETH Zürich setzt sich seit Jahren intensiv mit dem Gletscherschwund auseinander. «Die Beschleunigung des Abschmelzprozesses in den vergangenen Jahren war extrem», erklärte er. Selbst wenn in Zukunft im Winter mehr Schnee fallen würde, könnte das nicht kompensiert werden.
Mit seinem Team hat Huss berechnet, wie schnell sich das Eis bis zum Ende des 21. Jahrhunderts zurückziehen wird. Je nach Klimaschutzmassnahmen bleiben bis 2100 nur noch kleinere Gletscher übrig – oftmals aber auch nur noch der blanke Felsen. Das könnte etwa auch dem Weissmies – seine Spitze liegt aktuell 4013 Meter über Meer – den 4000er-Status kosten. Ein kleiner Image-Verlust. Schlimmer sind die Folgen allerdings für den lokalen Tourismus: Die Gletscherschmelze macht nämlich das Besteigen der Berge deutlich gefährlicher. (pre)