«Habe so etwas noch nie gemacht»: YouTuber besteigt Matterhorn allein – und erntet Kritik
Die Matterhorn-Besteigung ist nichts für Unerfahrene. Immer wieder kommt es am Berg zu Todesfällen, Statistiken zufolge handelt es sich um einer der tödlichsten Berge weltweit. Seit der Erstbesteigung liessen rund 600 Menschen am Matterhorn ihr Leben.
Das war sich auch Magnus Midtbø bewusst, bevor er Richtung Zermatt aufbrach. Und dennoch kündigt er zu Beginn seines 25-minütigen YouTube-Videos an, den Berg alleine besteigen zu wollen. «Ach ja, und so etwas habe ich noch nie gemacht», ergänzt er. Er sei zwar Sportkletterer, aber kein Bergsteiger. «Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.»
Im Video dokumentiert der norwegische YouTuber seine Bergtour. Der Grossteil der Ausrüstung, die der 37-Jährige dabei hat, sei neu, erklärt er. «Ich habe solche Sachen noch nie benutzt.» Etwa die Steigeisen. «Ich hätte das wahrscheinlich testen sollen, bevor ich hierher kam. Aber es war so eine spontane Idee.»
Und dann bricht der Norweger auf, nachdem er nach eigenen Angaben eigentlich zu wenig geschlafen hatte. Immer wieder erklärt er, wie überrascht andere Bergsteiger reagierten, wenn er ihnen von seinem Vorhaben erzählte. Und welche Ratschläge er in den Wind geschossen hatte. Auch auf die Gefahren weist Midtbø immer wieder hin – und klettert trotzdem weiter.
Auf gut 4200 Metern berichtet er bereits von starken Kopfschmerzen und Erschöpfung. «Ich weiss nicht, ob es an der Höhe liegt oder am Schlafmangel. Alles kostete mich so viel Kraft.» Etwas später habe er überlegt, abzubrechen, weil sein Urteilsvermögen allmählich getrübt sei. Und doch klettert er immer weiter.
Erschöpfung und Reue
Tatsächlich schafft es der 37-Jährige auf den Gipfel, wo er die Aussicht geniesst. «So hoch war ich noch nie», sagt er in eine seiner Kameras. Aber: «Auch wenn ich glücklich wirke und ein bisschen feiere, geht es mir nicht wirklich gut.»
Beim Abstieg habe er immer mehr Fehler gemacht. Trotzdem habe er auf ein Seil verzichtet, um Zeit zu sparen. Schliesslich verlor Midtbø auch noch die Orientierung. «Ich habe mich tatsächlich verlaufen.»
Der letzte Abschnitt des Abstiegs wird im Video nicht mehr gezeigt, die Erschöpfung sei zu gross gewesen. Dennoch schaffte es der Norweger heil nach unten. «Es ist wohl das erste Video, das ich ein bisschen bereue gemacht zu haben. Das liegt an der mangelnden Vorbereitung.» Es sei zu riskant gewesen. «Ich möchte auch nicht, dass das jemand nachmacht.»
Videos verleiten zu Übermut
Das besorgt auch Anjan Truffer, Rettungschef bei Air Zermatt. «Solche Situationen sind brenzlig. Da kann auch einem guten Kletterer ein Unfall passieren», sagt er gegenüber SRF. Viele, die solche Videos sehen, könnten nicht zwischen Profi- und Hobby-Kletterer unterscheiden und würden es deshalb nachmachen.
Ähnlich klingt es von Daniel Süess, Professor für Medienpsychologie an der Uni Zürich. «Heldenhaft ist nicht, wenn man Risiken eingeht, die man nicht abschätzen kann.» Würden die Leute in den Videos sehen, dass solch riskante Aktionen gut ausgingen, könnten sie im Gedanken bestärkt werden, dass es auch bei ihnen so sei.
YouTube-User bestürzt über Vorgehen
In rund zwei Wochen wurde das Video fast 2 Millionen Mal aufgerufen. Beinahe 10'000 Kommentare gibt es dazu.
Dass sich manche der Gefahr bewusst sind, wird schnell ersichtlich. Menschen, die eigenen Angaben zufolge auch schon am Matterhorn unterwegs waren, kritisieren in der Kommentarspalte die Aktion. «Die fehlende Vorbereitung und Akklimatisierung sowie die Eile sind ein absolutes No-go», heisst es etwa. «Beim Schauen des Videos hatte ich wirklich Angst um dich. Dass du nicht gefallen bist, gleicht für mich einem Wunder», heisst es in einem anderen. «Bitte stirb nicht für so ein Video», schreibt ein anderer User.
Unerfahrene beschäftigen Bergführer
Influencer bereiten Bergführern zunehmend Sorgen. Erst wenige Tage vor Midtbøs Aktion musste eine junge Frau wegen einer Panikattacke am Schilthorn mit dem Helikopter gerettet werden. Sie war mit ihrem Freund zum Gipfel aufgebrochen, während die ganze Wanderung live auf Twitch gestreamt wurde.
Auch die Suva warnt, dass Wanderunfälle in den Bergen häufig auf falsche Ausrüstung, mangelnde Erfahrung, fehlende Achtsamkeit und überschätzte Fitness zurückzuführen seien. In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der Unfälle beim Bergwandern fast verdoppelt. Die häufigste Ursache: Stolpern, ausrutschen, stürzen und Misstritte. (vro)