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Sex im Pfarrhaus mit einem Schüler: Ein alter Fall holt Priester ein

Pfarrer Franz Sabo bei einer Predigt 2015 in Röschenz
Pfarrer Franz Sabo bei einer Predigt 2015 in Röschenz.Bild: CH Media / Juri Junkov

Sex im Pfarrhaus mit einem Klosterschüler: Ein alter Fall holt Priester aus Baselland ein

Der Kirchenrat von Röschenz in Basel-Landschaft verteidigt seinen Pfarrer gegen jede Kritik. Doch jetzt erscheint ein alter Konflikt in einem neuen Licht.
23.09.2023, 06:5723.09.2023, 10:56
Andreas Maurer / ch media
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Helfer des Kirchenrates von Röschenz BL sind am Freitag das gesamte Gemeindegebiet abgeschritten und haben in die Briefkästen aller 800 Haushalte ein zweiseitiges Schreiben gelegt. Darin erklärt der Kirchenrat, dass er sich «vorbehaltlos» hinter Pfarrer Franz Sabo stelle. Er reagiert damit auf einen Vorwurf des sexuellen Missbrauchs, den der «SonntagsBlick» publik gemacht hat.

Der Kirchenrat begrüsst zwar, dass nun die Jahrzehnte der Vertuschung und Verharmlosung schlimmsten Missbrauchs endlich vorbei seien. Dann kommt das «aber»: «Besonders tragisch ist jedoch, dass diese notwendige Aufarbeitung offenbar auch genutzt wird, um alte Rechnungen zu begleichen.»

Die Geschichte beginnt 1982 in einer Klosterschule im deutschen Bamberg. Der 17-jährige Thomas Pfeifroth besucht das Internat, weil er Priester werden will. Doch er hat ein Problem. Er ist schwul und weiss nicht, wie er damit umgehen soll. Deshalb sucht er einen verständnisvollen Priester. Ihm wird der frisch geweihte Priester Franz Sabo empfohlen. Dieser ist zehn Jahre älter und schon damals für seine liberale Haltung zur Sexualität bekannt.

Sabo lädt den Klosterschüler zu einem Beichtgespräch in seine Wohnung im Pfarrhaus ein und später zu einem zweiten Treffen am gleichen Ort. Der Beichtvater serviert dem Beichtenden Wein und die beiden kommen sich näher. Dann kommt es zu Sex in Sabos Bett – einvernehmlich, aber in einem Abhängigkeitsverhältnis. Kurz darauf bricht Sabo den Kontakt ab.

Pfeifroth ist enttäuscht und verliert seinen Glauben. Er verlässt die Klosterschule und ist damit auf einen Schlag verschuldet, weil er nun die Ausbildungskosten zurückzahlen muss – plus 5 Prozent Zins. Er wird drogensüchtig und beginnt eine Therapie. Darin findet er seinen Glauben zurück und er beginnt wieder ein Priesterseminar.

Ein alter Konflikt erscheint in einem neuen Licht

Im Jahr 2002 erhält Pfeifroth plötzlich einen Anruf von Franz Sabo. Dieser arbeitet inzwischen als Pfarrer von Röschenz und führt einen Kampf gegen den damaligen Basler Bischof Kurt Koch. Sabo inszeniert sich als Kirchenrebell von Röschenz, der es als einziger wage, die ewiggestrigen Kirchenoberen zu kritisieren.

Erst Jahre später wird die Öffentlichkeit die Hintergründe des Konflikts erfahren: Sabo wird in dieser Zeit von einem anderen enttäuschten Verehrer angezeigt. Dieser behauptet, Sabo habe ihm gebeichtet, auf Sex mit Minderjährigen zu stehen. Bischof Koch nimmt die Vorwürfe ernst und bestellt bei einem auf sexuelle Übergriffe spezialisierten Psychiater ein Gutachten.

Sabo erschrickt und meint, Pfeifroth stecke dahinter. Als dieser ihm am Telefon aber glaubhaft versichern kann, nichts damit zu tun zu haben, ist das Gespräch für Sabo erledigt. Pfeifroth ist jedoch aufgewühlt. Alles kommt wieder hoch. Deshalb schreibt er Sabo einen Brief, in dem er eine Entschuldigung und eine finanzielle Wiedergutmachung verlangt.

Sabo antwortet Pfeifroth 2002 in einem Brief, der dieser Zeitung vorliegt, und er gesteht: «Ich habe damals einen Fehler gemacht. Aus meiner Sicht liegt auch ein ‹Missbrauch› vor! Allerdings sehe ich diesen Missbrauch ‹vor allem› – nicht nur! - darin, dass ich mein ‹Amt› missbraucht habe, und weniger Dich! Denn ich habe Dich wirklich sehr gemocht, und es ging mir nicht nur um Deinen Körper, und ich habe Dich ganz sicher nicht vergewaltigt!»

Er gesteht die Tat also ein, wertet sie aber nicht als sexuellen Missbrauch, sondern als Amtsmissbrauch. Zudem gibt er dem Opfer eine Mitschuld. «Wo ist dein Anteil?», will er wissen. Und er antwortet gleich selber: «Du bist damals zu mir in die Wohnung gekommen – ob bewusst oder unbewusst! Du bist damals zu mir ins Bett gestiegen – ich habe dich nicht gezwungen!» Das «Du» unterstreicht er jeweils.

Sabo dreht den Spiess um: «Auch das, was Du da tust, ist nicht in Ordnung, ist auch eine Art ‹Missbrauch›.» Damit meint er die Geldforderung, die einem angehenden Priester nicht anstehe, da er die Vergebung Gottes verkünden solle – kostenlos. «Oder hat uns Jesus etwa eine Rechnung gestellt?», fragt Sabo im Brief rhetorisch.

Pfarrer Franz Sabo freut sich 2007 über seinen Sieg vor Gericht.
Pfarrer Franz Sabo freut sich 2007 über seinen Sieg vor Gericht.Bild: Keystone

Das Bistum und der Vatikan wollen den Fall ruhen lassen

Acht Jahre später reicht Pfeifroth Anzeigen beim Bistum und der Staatsanwaltschaft Bamberg ein, wo die Tat stattgefunden hat und Sabo zum Gottesmann wurde. Pfeifroth reagiert erst 2010, weil Deutschland in diesem Jahr von einem Missbrauchsskandal erschüttert wird.

Die Staatsanwaltschaft stuft die Aussagen zwar als «im vollen Umfang glaubhaft» ein, stellt die Ermittlungen wegen sexuellen Missbrauchs eines Schutzbefohlenen aber ein, weil die Tat verjährt ist. Das Bistum legt den Fall mit der gleichen Begründung zu den Akten und verweist Pfeifroth für ein kirchenrechtliches Verfahren an das Bistum Basel.

Just in dieser Zeit erlöst der Papst den unbeliebten Bischof Koch und beruft ihn als Kardinal nach Rom. Sabo hat inzwischen den Streit gegen ihn gewonnen. Die Vorwürfe wegen Kindsmissbrauchs aus dem anderen Fall erwiesen sich als haltlos. Die Basler Staatsanwaltschaft stellte ein Verfahren ein. Koch hatte Sabo zwar den Auftrag entzogen, doch dieser machte danach mit dem Segen der Kirchgemeinde einfach weiter und hielt wilde Predigten. Vor Gericht erhielt er schliesslich Recht.

Neuer Bischof von Basel wird 2010 Felix Gmür. Dieser positioniert sich im Gegensatz zu seinem konservativen Vorgänger als liberaler Kirchenhirte. Er hat kein Interesse an einem neuen Machtkampf mit dem populären Pfarrer und lässt Pfeifroth abblitzen. Gmür legt den Fall wegen Verjährung zu den Akten und schreibt: «Ich werde auch nicht die Glaubenskongregation um Dispens von der Verjährungsfrist bitten.»

Die Glaubenskongregation ist die zuständige Zentralbehörde im Vatikan. Eines der Mitglieder ist Kardinal Koch. Also schickt Pfeifroth seine Anzeige nach Rom. Für Sabos Tat gibt es im Kirchenrecht einen Begriff: Sollizitation. Dazu gehört die sexuelle Verführung eines Beichtenden durch den Beichtvater. Diese Tat sei aber verjährt, beschliesst der Vatikan 2015.

Dennoch sieht die Zentralbehörde Handlungsbedarf. Sie beauftragt Bischof Gmür gleichzeitig, Sabo zu einer Beichte vorzuladen und ihm eine Busse aufzuerlegen. Diese ist geheim. Vermutlich muss Sabo um Vergebung beten.

Der Basler Bischof Felix Gmür und der Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain diese Woche in St.Gallen.
Der Basler Bischof Felix Gmür und der Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain diese Woche in St.Gallen.Bild: keystone

Priester Pfeifroth ist enttäuscht. Er fühlt sich nicht ernst genommen. Deshalb macht er seinen Fall publik. Er kritisiert, dass nicht nur die Bischöfe, sondern auch die Kirchgemeinden solche Fälle endlich aufarbeiten sollten.

Der Kirchenrat von Röschenz sieht das anders. Der Fall sei kirchlich und staatsrechtlich behandelt und abgeschlossen. Nun solle er «im Zuge der medialen Empörung» nicht wieder «aufgewärmt» werden.

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67 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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The Danisher
23.09.2023 07:11registriert Juni 2019
Ist es nicht schön dass sich der Kirchenrat geschlossen hinter Sabo stellt? Da weiss man dann auch gleich woher der Wind weht..
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Holzkopf
23.09.2023 08:25registriert November 2017
Die kapieren es nie! Auch wenns nicht um Vergewaltigung geht, sind es exakt die selben Muster sexuellen Missbrauchs und psychischer Gewalt:
Ein jugendlicher (!) Schützling öffnet sich einer kirchlichen Vertrauensperson, welche dies zur eigenen sexuellen Befriedigung missbraucht. Egoistisch lässt diese das Opfer zurück, welches über Jahrzehnte massivste Krisen in vielerlei Hinsicht durchlebt.
Versuche des Opfers, minimale Anerkennung seines Leids zu erhalten, werden über viele Ebenen mit Victim Blaming abgeblockt, vertuscht und verjähren damit…was ausgenutzt wird.

Pure Wut beim lesen!!!
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N. Y. P.
23.09.2023 07:52registriert August 2018
Der Kirchenrat begrüsst zwar, dass nun die Jahrzehnte der Vertuschung und Verharmlosung schlimmsten Missbrauchs endlich vorbei seien.

Himmel, Jesu, wie naiv ist denn diese Truppe unterwegs. Dieser Kirchenrat glaubt tatsächlich, dass plötzlich alle Priester und Bischöfe einen grossen Bogen um Ministranten und Chorknaben machen. Das ist mir eine lustige Truppe.
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