Lehrerin klagt über Kosten für Diplomanerkennung: «Ich will einfach nur arbeiten»
Über ein kaum bekanntes Geschäft, das Hunderttausende von Franken umfasst.
Stell dir vor, du besuchst einen Kurs und stellst fest, dass dein Sitznachbar über 30-mal weniger bezahlt als du. Diese Situation erlebt derzeit Christina (Name geändert). Die 59-Jährige arbeitete ihr ganzes Leben lang als Lehrerin. Doch weil die gebürtige Ukrainerin ihre Ausbildung in ihrer Heimat und später in Grossbritannien absolviert hat, werden ihre Diplome in der Schweiz nicht ohne Weiteres anerkannt.
Kurz vor der Pensionierung drückt Christina deshalb die Schulbank an einer pädagogischen Hochschule (PH) in der Romandie – im Rahmen von Ausgleichsmassnahmen zur Diplomanerkennung. «Ich verstehe und respektiere den Prozess, aber es ist sehr entmutigend, nach Jahrzehnten praktischer Arbeit und kontinuierlicher Weiterbildung wieder zur Schülerin zu werden», sagt die Frau, die mittlerweile den Schweizer Pass besitzt.
CH Media berichtete bereits letztes Jahr über Christinas Fall. Er zeigt, wie hoch die Hürden sind, wenn Personen hierzulande ein ausländisches Lehrdiplom anerkennen lassen wollen – obwohl vielen Schulen die Fachkräfte fehlen. Das Verfahren kam nicht vom Fleck, die für die Anerkennung zuständige Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) war überlastet. Jetzt wird deutlich, wie fest der Marathonlauf für Christina ins Geld geht.
Das «Ja, aber» zu Musik und Heilpädagogik
Doch von vorne: Christina erhielt 1991 in der Ukraine das Diplom als Musiklehrerin. 2008 berechtigte sie das Vereinigte Königreich zur uneingeschränkten Berufsausübung. Sie lehrte in der Folge in England, Kasachstan und ab 2012 an Privatschulen in der Romandie. Die EDK anerkannte letzten Herbst das Diplom von Christina für das Fach Musik – unter der Bedingung, dass sie ein C2-Zertifikat in einer Landessprache vorlegt. Also das Muttersprache-Niveau.
Christina hat den Französisch-Test, der jeweils 450 Franken kostet, nun schon viermal vergeblich absolviert. Und will es trotzdem weiter probieren. Diesen Juli eröffnete sich für Christina jedoch eine neue Perspektive: Die EDK anerkannte ihren britischen Master in Sonderpädagogik. Wieder kostete das Verfahren 800 Franken, und wieder gab es Auflagen. Weil britische Credits nur halb so viel zählen wie hierzulande erworbene, muss Christina 12 ECTS-Punkte nachholen, um offiziell als Heilpädagogin arbeiten zu können. Das entspricht weniger als einem halben Semester.
Die drei PH-Module kosten Christina dabei 5400 Franken. Zum Vergleich: Eine reguläre Schweizer Studentin zahlt für ein ganzes Semester – je nach Hochschule – zwischen 300 und 800 Franken, bei Ausländern sind es zwischen 300 und 5000 Franken.
Fehlende Subventionierung erklärt Kosten
Christina spricht von einer «ungerechten Ungleichbehandlung». Die Arbeitslosenkasse hat es abgelehnt, den Betrag zu übernehmen. Die 59-Jährige will rekurrieren, weil sie künftig unabhängig von Arbeitslosengeldern sein möchte. Ohne anerkanntes Diplom bekommt Christina in ihrem Kanton nämlich keinen unbefristeten Arbeitsvertrag: Mal eine Stellvertretung, mal eine befristete Stelle – doch zum Beispiel in den Sommerferien ist sie arbeitslos. «Die ständige Unsicherheit ist für mich ein riesiges Problem. Ich will einfach nur voll arbeiten, um mir um meine Rente keine Sorgen machen zu müssen. Es darf doch nicht sein, dass ich kurz vor dem Ende meiner Karriere noch Geld aus meiner Pension in ein Studium stecken muss.»
Doch warum muss Christina für die PH-Kurse so viel bezahlen? Grund ist die fehlende Subventionierung. Die Trägerkantone beteiligen sich nicht an den Ausgleichsmassnahmen. Die geforderten 450 Franken pro ECTS-Punkt gelten als kostendeckend. Die EDK sieht einzig einen Plafond von 12'500 Franken vor.
«Bei regulär immatrikulierten Studierenden wird die Differenz zwischen dem Selbstkostenpreis und den Studiengebühren durch den Staat finanziert», erklärt die EDK-Medienstelle. Ausländischen Lehrkräften stehe es jedoch frei, sich als reguläre Studierende einzuschreiben und von denselben Finanzierungsmechanismen zu profitieren. In diesem Fall müssen die PHs entscheiden, welche ausländischen Studienleistungen sie anerkennen. In der Regel lohne sich das nicht, heisst es bei den Hochschulen. Die Kosten liegen beim Regelstudium zwar tiefer, der Zeitaufwand sei aber höher, weil meist mehr Module zu absolvieren wären.
Nur: Christina wurde nicht auf diese Option hingewiesen. Sie fühlt sich, nicht zum ersten Mal, alleine gelassen.
Hochschulen bieten Zahlung in Raten an
Mit ihren Geldsorgen ist sie indes nicht alleine. Eine mit den Verfahren vertraute Person berichtet von ähnlichen Fällen und bezeichnet die Kosten der EDK-Ausgleichsmassnahmen bisweilen als «grosse Hürde», zumal Betroffene mit Lohneinbussen leben und Sprachkurse bezahlen.
Dass die finanzielle Belastung real ist, zeigt sich auch daran, dass die Möglichkeit zur Ratenzahlung «relativ häufig» genutzt wird, wie die PH der Fachhochschule Nordwestschweiz bestätigt. Andere PHs geben derweil an, keine Kenntnis von entsprechenden Fällen zu haben. Womöglich sehen Betroffene mit Geldproblemen schlicht vom Kursbesuch ab.
Fest steht: 2024 absolvierten rund 180 Personen mit ausländischem Diplom Ausgleichsmassnahmen. Bei der PH Zürich beliefen sich die Erträge auf 60'000 Franken. Bei der PH der Nordwestschweiz sind es im Schnitt 55'000 Franken pro Jahr von zehn Betroffenen. Hochgerechnet auf die ganze Schweiz belaufen sich die Einnahmen auf mehrere hunderttausend Franken. Die Summe verteilt sich auf wenige Schultern – wie diejenigen von Christina.
