Neue Umfrage zeigt den Machtmissbrauch und Stress an Schweizer Unis
Eine Stelle an der Universität gilt als prestigeträchtig: Den ganzen Tag widmet man sich der geistigen Arbeit, forscht unermüdlich und leistet so nicht nur einen Beitrag zu einer besseren Welt, sondern auch zur Ausbildung tausender Studentinnen und Studenten dieses Landes. Umso mehr, weil die Schweizer Universitäten zu den Besten weltweit gehören. Fragt man Doktorierende, Post-Doktorierende (Post-Docs) und andere wissenschaftliche Mitarbeitende, sieht es aber nicht mehr so rosig aus.
Eine neue Umfrage von Actionuni, dem Dachverband des universitären Mittelbaus, zeigt zwar, dass zwar 61 Prozent der Befragten eher zufrieden mit ihrem Job sind. Gleichzeitig weisen 22 Prozent depressive Symptome auf, viele fühlen sich ausgebrannt.
Gemäss Actionuni sind rund 80 Prozent der Angestellten in der Schweizer Akademie befristet angestellt. Die unsichere Joblage belastet: 39 Prozent der Befragten geben an, deswegen sehr gestresst zu sein. Zudem leiden sie unter einer hohen Arbeitsbelastung, Konkurrenzdruck und teilweise tiefen Löhnen.
Dazu kommt eine starke Machthierarchie zwischen den Professorinnen und Professoren und ihren wissenschaftlichen Mitarbeitenden. Ein Drittel der Befragten erlebte Mobbing, Diskriminierung oder Belästigung. 59 Prozent der Befragten erlebten oder beobachteten, dass Vorgesetzte Druck aufbauten, am Abend, Wochenenden oder in den Ferien zu arbeiten. Und 40 Prozent sagen, ihre Institution würde nicht zuhören, wenn sie Sorgen äussern würden. Am stärksten betroffen von all diesen Problemen scheinen Frauen und Personen, die sich weder als männlich noch weiblich definieren, sowie ausländische Angestellte mit nicht-permanenter Arbeitserlaubnis.
«Der Konkurrenzkampf ist riesig»
Eine, die aus Erfahrung sprechen kann, ist S.H. Sie ist rund 30 Jahre alt, doktorierte in einem europäischen Land, kam dann in die Schweiz. Um ihre akademische Karriere zu schützen, möchte sie anonym bleiben. «Mein betreuender Professor während des Doktorats hatte die Attitüde eines Haifischs. Aber vielleicht muss man ein Haifisch werden, um in der Akademie zu überleben», sagt S.H.
Der Leistungsdruck sei so hoch gewesen, dass es schwierig war, ein Gleichgewicht zwischen Privatleben und Arbeit zu finden. Als sie einmal freitags um 17 Uhr Feierabend machte, schrieb ihr Professor ihr eine Stunde später eine Mail, dass sie nie eine gute Akademikerin werden könne, wenn sie ihr persönliches Leben über ihren Beruf stelle. «Rückblickend erkenne ich, dass diese Erfahrung mich auf die Realität im akademischen Umfeld vorbereitet hat», sagt S.H.
Nach Abschluss ihrer Promotion begann S.H. an einer Schweizer Universität zu arbeiten. Ihre neue Vorgesetzte war freundlich, aber die Arbeitsstruktur war oft chaotisch. Häufig musste S.H. einen Teil der Arbeitslast ihres Vorgesetzten übernehmen, manchmal sogar emotionale Stütze sein. Sie bereitete Unterrichtsmaterialien vor, erledigte administrative Aufgaben und übernahm Verantwortlichkeiten, die normalerweise eher erfahrenen Mitarbeitern zukommen würden.
Ihrer Zukunft blickt S.H. mit Sorge entgegen. Ihre Anstellung endet bald, bisher suchte sie erfolglos nach einer neuen Postdoc-Stelle. In der Akademie gibt es viele, die alle paar Jahre das Land wechseln, weil sich eine Jobchance ergibt. Doch S.H. hat in der Schweiz ein soziales Umfeld aufgebaut, das Wegziehen wird schwieriger.
Der Bund will über die Universitäten sparen
Seit Jahren kämpft der akademische Mittelbau für bessere Arbeitsbedingungen. Im Oktober dieses Jahres führten Gewerkschaften, Studierendenvertretungen und Mittelbauvertretungen gemeinsam einen nationalen Aktionstag mit verschiedenen lokalen Demonstrationen und Vorträgen durch. Ziel war der Protest gegen das «Entlastungspaket 2027».
Damit will der Bundesrat seine Ausgaben bremsen. Zehn Prozent sollen bei den Hochschulen in der ganzen Schweiz gespart werden, auch beim Schweizerischen Nationalfonds, der einen grossen Teil der Forschungsstellen finanziert. Das Geschäft wird in der Wintersession im Ständerat behandelt. Kritikerinnen und Kritiker befürchten, dass nicht nur der Forschungsstandort Schweiz geschwächt würde, sondern dass sich die prekären Arbeitsbedingungen im Mittelbau noch verschlimmern.
Im Oktober 2025 erzählten 180 Personen dem investigativen Rechercheteam «Reflekt» von Machtmissbrauch, Mobbing und Belästigung. Auch sexuelle Belästigung, rassistische Kommentare und sogar das Stehlen der Forschung kamen zur Sprache. Wie auch die Umfrage von Actionuni spricht Reflekt von einem strukturellen Problem.
«Das aktuelle System ist schlecht für alle Beteiligten»
Die einzigen unbefristeten Stellen, die es in der Akademie gibt, sind eigentlich Professuren. Und von denen gibt es extrem wenige. Dabei sind auch Professorinnen und Professoren dauerhaft überlastet, bei vielen kommt die Forschung zu kurz, weil sie gleichzeitig viel lehren und die ständig wachsende administrative Arbeit erledigen müssen. Postdocs und Doktorierende federn diesen Stress oft ab, ohne jedoch planbare Aussicht auf eine längerfristige Stelle zu haben. «Das aktuelle System ist ein Durchlauferhitzer und schlecht für alle Beteiligten – von den Studierenden bis hinauf zur Professur», sagt Jonathan Pärli deshalb. Er gründete 2022 die Gruppe Mittelbau bei der Gewerkschaft VPOD mit.
«Die Arbeit, die Verantwortung, die Macht und die Ressourcen, die sich derzeit überproportional auf Professuren konzentrieren, müssen nachhaltig auf mehr Köpfe und Schultern verteilt werden», fordert Pärli. Erreichen will er das über dauerhafte gewerkschaftliche Organisierung und mittels Allianz mit den Studierenden. «Nur spürbare Gegenmacht wird die Universitäten und Politik dazu bringen, sich nicht in Scheinlösungen oder gar Sparpolitik zu flüchten», betont er.
Ähnlich klingt es bei Actionuni: Unter anderem fordern sie, die Forschungszeit für Doktorierende vertraglich festzulegen und unbefristete Anstellungen für Personen nach dem PhD zu schaffen. Für S.H. kämen diese Massnahmen aber zu spät. Womöglich wird sie, die leidenschaftlich gerne forscht, der Akademie den Rücken kehren.
