Kommt er oder kommt er nicht? Obwohl der 23. November seit einiger Zeit als Termin für den Besuch von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Bern genannt wurde, blieb eine Bestätigung aus Brüssel lange aus. Erst am letzten Freitag war es so weit und erst nach einem Telefonat von Juncker mit Bundespräsidentin Doris Leuthard am Montag gab die EU definitiv grünes Licht.
Das Zögern aus Brüssel überrascht nicht, denn im bilateralen Verhältnis zwischen der Schweiz und der Europäischen Union herrscht seit Jahren mehr oder weniger Stillstand. Zentraler Streitpunkt ist das institutionelle Rahmenabkommen. Fortschritte in diesem Bereich sind kaum zu erwarten, nicht zuletzt wegen des erst vor drei Wochen erfolgten Chefwechsels im Aussendepartement.
Für einen simplen Fototermin mit Doris Leuthard aber würde sich Jean-Claude Juncker kaum nach Bern bequemen. Deshalb richtet sich der Fokus auf einen weiteren umstrittenen Punkt, die Zahlung einer neuen «Kohäsionsmilliarde» für die strukturschwachen EU-Länder in Osteuropa. Die Schweiz hat sich im Grundsatz dazu bereit erklärt, sie aus taktischen Gründen aber bislang blockiert.
Der frühere Aussenminister Didier Burkhalter machte die Zahlung von Fortschritten in anderen Dossiers abhängig. Solche gab es in letzter Zeit tatsächlich, zumindest auf «Nebenschauplätzen». Letzte Woche gaben die EU-Staaten grünes Licht für den im Grundsatz schon lange beschlossenen Zugang der Schweiz zum Emissionshandelssystem der EU.
An seiner Sitzung von letzter Woche diskutierte der Bundesrat über die «Kohäsionsmilliarde», hielt seinen Beschluss aber geheim, was in Politik und Medien für Stirnrunzeln sorgte. Gemäss der «SonntagsZeitung» hat er die Auszahlung beschlossen, doch der neue FDP-Aussenminister Ignazio Cassis habe einen Auftritt vor den Medien verweigert, um die SVP nicht zu verärgern.
Die «NZZ am Sonntag» hingegen berichtete, der Bundesrat wolle in Sachen Kohäsionszahlungen gegenüber Juncker zwar «gewisse Zusagen» machen, doch bestehe noch Diskussionsbedarf. Diese Konfusion war möglicherweise der Grund, warum Juncker am Montag noch einmal mit Leuthard telefonieren wollte. Denn mit schönen Worten hätte sich der Luxemburger kaum begnügt.
Für die EU sind die Zahlungen von insgesamt 1,3 Milliarden Franken kein «Geschenk» der Schweiz, sondern eine Art Eintrittspreis für den privilegierten Zugang zum Binnenmarkt. Auch Norwegen, Island und Liechtenstein leisten entsprechende Beiträge, und diese Länder sind als EWR-Mitglieder in den gemeinsamen Markt integriert.
Es ist deshalb absehbar, dass sich Bundespräsidentin Leuthard am Donnerstag in einer Form zum Kohäsionsbeitrag verpflichtet, die einen Rückzieher der Schweiz faktisch unmöglich macht. Dies geschieht eventuell im Rahmen einer nicht näher definierten Unterzeichungszeremonie, die für 11 Uhr geplant ist. Die definitive Auszahlung aber könnte sie von weiteren Abklärungen abhängig machen.
Ohnehin ist für diesen Schritt die Zustimmung des Parlaments nötig. Sie dürfte mehr oder weniger Formsache sein. Das Volk aber hat zur Ostmilliarde nichts zu sagen. Die Grundlage dafür liefert das letztes Jahr revidierte Osthilfegesetz. Ein Referendum dagegen wurde nicht ergriffen. Auch SVP und AUNS blieben anders als bei der ersten «Kohäsionsmilliarde» 2006 untätig.
Selbst wenn die Schweiz den Weg für die Auszahlung frei macht, bleibt das Verhältnis zur Europäischen Union eine Baustelle. Es entbehrt nicht einer gewissen Symbolik, dass der EU-Kommissionschef kurz vor dem 25. Jahrestag der EWR-Abstimmung nach Bern kommt. Mit dem Nein hatte sich die Schweiz faktisch auf den bilateralen Weg gezwungen. Als exportorientiertes Land ist sie auf ein gutes Verhältnis zum wichtigsten Handelspartner angewiesen.
Der bilaterale Weg aber ist steinig geworden. So lange die Verhandlungen über das Rahmenabkommen festgefahren sind, wird sich daran nichts ändern. Bundesrat Cassis hat vor seiner Wahl angekündigt, er wolle bei diesem Dossier den «Reset»-Knopf drücken. Die NZZ hingegen meint, die Schweizer Europapolitik müsse nicht neu starten. «Aber sie braucht einen Plan, um das Verhältnis zur EU zu stabilisieren.» Ein Juncker-Besuch allein genügt dafür nicht.