Schweiz
Solothurn

Peter Bichsel: Schweizer Schriftsteller gestorben

Peter Bichsel gestorben (Archivbild)
Peter Bichsel ist am Samstag, 15. März gestorben. (Archivbild)Bild: keystone / watson

Meister des Erzählens Peter Bichsel ist mit fast 90 gestorben

Peter Bichsel ist am Samstag kurz vor seinem 90. Geburtstag gestorben. Sein Umfeld bestätigte am Montag Medienberichte gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Bichsel gilt als eine der wichtigsten Stimmen der Schweizer Literatur mit internationaler Ausstrahlung.
17.03.2025, 11:1417.03.2025, 16:33
beat mazenauer, sda
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Peter Bichsel kennen fast alle. Seine legendären Milchmann- und Kindergeschichten sind bis heute Schullektüre. Während Jahrzehnten haben seine Kolumnen eine breite Leserschaft erreicht. Und in zahllosen Interviews hat er Einblick in sein Denken und Empfinden gegeben.

Diese Popularität hat mit der Art zu tun, wie er erzählt und argumentiert hat. Bichsel war ein echter Erzähler; seine Geschichten und Gedanken trug er vor, als hätte er sie beim Reden oder Erzählen fortwährend entwickelt. Der Hochmut des Wissenden ist ihm völlig abgegangen. Dabei täuscht die vordergründige Einfachheit seiner Sprache gerne darüber hinweg, dass in seinen Geschichten ein Stachel der Irritation oder des Widerspruchs steckt.

Ein Lehrer fürs Leben

Peter Bichsel kam 1935 in Luzern zur Welt, er wuchs in Olten auf und besuchte in Solothurn das Lehrerseminar. Anschliessend wirkte er von 1955 bis 1968 in der Region Solothurn als Primarlehrer, «aus Überzeugung», wie er einmal schrieb.

«Ich wollte der Menschheit etwas beibringen, ich wollte die Menschheit verändern.»
Peter Bichsel
ARCHIVBILD ZUM TOD DES SCHWEIZER SCHRIFTSTELLERS PETER BICHSEL - Peter Bichsel, Schweizer Schriftsteller, aufgenommen in Solothurn, Juli 1997. (KEYSTONE/Ayse Yavas)
Peter Bichsel in Solothurn, 1997.Bild: keystone

Wie wichtig gerade eine Lehrperson sein kann, hat er selbst erfahren. Seine Erweckung zum Schriftsteller verdankte er, wie er später immer wieder betont hat, seinem Lehrer Kurt Hasler. Er wäre kaum Schriftsteller geworden, schreibt er, wenn dieser nicht «unter dem Schutt von dreissig Rechtschreibfehlern» sein Talent entdeckt hätte. Nicht zuletzt wegen dieser Erfahrung hat er sich immer wieder mit der Rolle des Lehrers und mit der chancengerechten Schule befasst.

Mitten in die Lehrerzeit fiel 1964 das Erscheinen von «Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen». Bichsel erregte auf Anhieb Aufsehen. Die Koryphäe der Literaturkritik, Marcel Reich-Ranitzki, verlieh ihm mit einer euphorischen Kritik die literarischen Weihen und verkündete «die Entdeckung eines jungen, bisher gänzlich unbekannten und zugleich hochbegabten Schriftstellers».

Damit war der Grundstein für ein literarisches Werk gelegt, das, so Reich-Ranitzki, sein «eigenartiges Mass in sich» hat. In den Milchmann-Miniaturen ist ein literarischer Stil angelegt, der in den unterschiedlichsten Facetten zum Kennzeichen Bichsels wurde: vertrackt einfach. Nichts klingt so unverwechselbar leicht wie eine Geschichte aus seiner Hand.

Bichsel wurde dafür zahlreich ausgezeichnet, etwa mit dem Grossen Schillerpreis (2012), mit dem Solothurner Literaturpreis (2011) oder mit dem Gottfried-Keller-Preis (1999). Die Theologische Fakultät der Universität verlieh ihm 2004 den Ehrendoktortitel.

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Was wäre, wenn ...

Die Triebfeder von Bichsels Erzählen ist der Konjunktiv «Was wäre wenn». Bichsel-Geschichten klingen verführerisch leicht. Wir lesen mit und denken: Genau so könnte es sein – oder umgekehrt. Und zwischen den Zeilen spüren wir, dass es das Wahre nur gibt, wenn wir das wahrhaftig Mögliche verteidigen.

Lassen wir uns aber nicht täuschen. So einfach seine Sätze anmuten, so verraten sie dennoch einzigartiges Raffinement und wohl bedachte Klarheit. Ihr Geheimnis liegt im feinen, oft unmerklichen Verstoss gegen Konventionen – grammatikalische wie rhetorische.

Bichsel knüpfte keine Pointen und verkündete keine Botschaft. Lieber hielt er mitten in einer Erzählung inne, um deren Fortgang und Ende den Leserinnen und Lesern zu überlassen. Damit wollte er ihnen, wie er einmal sagte, «die Möglichkeit geben, weiterzudenken, weiterzuarbeiten, mitzuarbeiten an diesen Geschichten».

Das Kolumnen-Gebirge

Peter Bichsels Werk umfasst eine Reihe von Erzählbänden wie «Die Jahreszeiten» (1967), ihm selbst vielleicht das liebste Buch, «Zur Stadt Paris» (1993) oder «Cherubim Hammer und Cherubim Hammer» (1999). Dazu gibt es von ihm Reden und Essays, in Büchern wie «Des Schweizers Schweiz» (1969) oder «Schulmeistereien» (1985).

Vor allem aber sind die unzähligen Kolumnen zu seinem Markenzeichen geworden. In vierzig Jahren entstand ein Geschichtengebirge, das getrost sein Opus magnum genannt werden darf. In seinen Kolumnen hat Bichsel die Kraft des Erzählens mit politischem Einspruch und poetischer Raffinesse verbunden. Es ist kein Zufall, dass er sich besonders für diese Textform erwärmte, die eigentlich eher journalistisches als literarisches Ansehen geniesst.

Der erzählende Gestus und die behutsam abwägende Art dieser kurzen Texte gibt den Leserinnen und Lesern das gute Gefühl, ernst genommen zu werden, gerade auch da, wo ihnen der Autor mit Leidenschaft widerspricht.

So einzigartig wie populär

In den letzten Jahren hat sich Peter Bichsel vom Schreiben zurückgezogen. Er sei kein leidenschaftlicher Schriftsteller, beteuert er. Viel wichtiger ist ihm das Erzählen. Glücklicherweise gibt es von ihm eine Reihe von Büchern und Texten, deren Lebensklugheit, wie der Autor Ralf Rothmann schreibt, «immer wieder Mut macht zur eigenen Geschichte und aus der Sprachlosigkeit heraushilft». Genau das macht Peter Bichsel so einzigartig wie populär.

Am Samstag ist er in einem Pflegeheim in Zuchwil «friedlich eingeschlafen». Wie sein Umfeld der Nachrichtenagentur Keystone-SDA bestätigte, hätte er seinen runden Geburtstag am 24. März gerne noch gefeiert. Nicht zuletzt, weil dann ein dem Autor gewidmetes Projekt eingeweiht werden sollte: das «Büro Bichsel», zu dem auch ein mobiles Museum gehören soll. Bichsels Themen sollen damit in die Öffentlichkeit getragen werden und über seinen Tod hinaus lebendig bleiben.

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18 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Nordkantonler
17.03.2025 09:08registriert September 2020
Auch nach vielen Jahren erinnere ich mich noch gut an "Ein Tisch ist ein Tisch", "Onkel Jodok", ...

Einer der beiden Schweizer Autoren, die den Weg auch in meinen bundesdeutschen Deutschunterricht gefunden haben.

Ruhe er in Frieden.
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Chuchichäschtli
17.03.2025 10:05registriert März 2022
Aues guete uf dim witere Wäg Peter.
Äs Glesli Rote im Chrütz uf di.
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Kermel
17.03.2025 09:45registriert September 2018
Muss zu meiner Schande gestehen, noch nichts von ihm gelesen zu haben. Habe damals aber den Dokfilm über ihn gesehen und fand das einfach eine unfassbar sympathsiche Person. 89 zudem ein stolzes Alter. Alles Gute auf der weiteren Reise!
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