Die deutsche Ampelkoalition will den «Pöbelparagraf» verschärfen. Abgeordnete, die im Bundestag unflätig werden oder stören, sollen härter sanktioniert werden – mit bis zu einer Busse von 4000 Euro im Wiederholungsfall. Der Grund: Seit die AfD im Bundestag sitzt, ist der Umgang miteinander dort rauer.
In Bundesbern kennt man zwar keine Bussgelder, doch auch hier gilt: Verstossen Parlamentarierinnen und Parlamentarier gegen Ordnungs- und Verhaltensvorschriften oder verletzen das Amtsgeheimnis, können sie mithilfe von sogenannten Disziplinarmassnahmen zur Räson gebracht werden. Diese reichen vom Entzug des Wortes in einer Debatte bis zu einem temporären Ausschluss aus einer Kommission.
Anders als in Deutschland wird hierzulande keine Statistik über die grössten Parlaments-Rowdys geführt. Ein Blick auf die von den Parlamentsdiensten dokumentierten Fälle zeigt: Auch im Bundeshaus ereigneten sich denkwürdige Episoden.
Im März 1994 erhielt die digitale Revolution auch im Nationalratssaal Einzug. Statt sich jedes Mal von seinem Sitz zu erheben, konnten die Ratsmitglieder fortan bequem einen Knopf drücken, um ihre Stimme abzugeben. Möglich machte dies die neue elektronische Abstimmungsanlage. Wenige Tage später sollte sie bei einer Debatte über die Gleichstellungspolitik Gegenstand einer Kontroverse werden. Der Zürcher SVP-Nationalrat Christoph Blocher stimmte nicht nur für sich ab, sondern langte auch zum Pult seiner kurzzeitig abwesenden Parteikollegin Lisbeth Fehr rüber und drückte den Knopf.
Während der SVP-Übervater von einem «Jux» sprach, fanden seine politischen Kontrahenten die doppelte Stimmabgabe weniger lustig. Es handle sich «ganz klar um ein strafbares Delikt», sagte SP-Nationalrat Alexander Tschäppät. Auch die Justiz schaltete sich ein. Aufgrund einer Strafanzeige beantragte Bundesanwältin Carla Del Ponte dem Parlament, die Immunität von Blocher aufzuheben. Der Nationalrat lehnte das zwar ab. Doch Blocher wurde für sein Verhalten gerügt, und daraufhin wurde das Geschäftsreglement des Nationalrates verschärft.
Er war das Enfant terrible in der Schweizer Politlandschaft. Giuliano Bignasca, Gründer der Tessiner Protestpartei Lega, sorgte täglich für Schlagzeilen. So feierte er etwa die guten Resultate seiner Partei mit einer Salve aus einem Sturmgewehr oder forderte seine Anhänger auf, Radarfallen abzumontieren. Auch als Nationalrat in Bundesbern sorgte er für Provokationen, die nach Amtsantritt nicht lange auf sich warten liessen.
Für grosses Aufsehen sorgte ein Vorfall im März 2003. In einer Wahlsendung im Tessiner Radio sagte Bignasca: «Man sollte alle Umweltschützer in eine Telefonkabine sperren und dann auslöschen wie den serbischen Premier Zoran Djindjic.» Das liess die Grünen-Partei nicht auf sich sitzen. Sie ging nicht nur juristisch gegen ihn vor, sondern ersuchte auch das Büro des Nationalrates, Bignasca einen Verweis zu erteilen, was dieses auch tat. Der Lega-Politiker entschuldigte sich später für seine Aussage, die er in einem «hitzigen Kontext» während des Tessiner Wahlkampfs gemacht habe.
Was während Kommissionssitzungen gesagt wird, kann auch Zündstoff bergen. Keine sorgte wohl für mehr Wirbel als jene der nationalrätlichen Wissenschaftskommission am 1. Februar 2008. Bei einer Debatte über Forschung am Menschen verglich der damalige Bundespräsident Pascal Couchepin den Zürcher SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli mit Josef Mengele. Als er über den Nazi-Arzt sprach, sagte er: «Fast hätte ich Doktor Mörgele gesagt, natürlich meine ich aber Mengele.»
Couchepin kam massiv unter Druck und wurde von der SVP zum Rücktritt aufgefordert. Doch auch für fünf Kommissionsmitglieder hatte die Sitzung ein Nachspiel. Das Büro des Nationalrates sprach gegen die SVP-Nationalräte Christoph Mörgeli, Oskar Freysinger und Lieni Füglistaller sowie die CVP-Politiker Jacques Neirynck und Kathy Riklin einen Verweis wegen Indiskretionen aus.
Eindeutig war der Fall bei Mörgeli. Weil er an der ominösen Sitzung nicht teilgenommen hatte, durfte er die Tonaufnahme bei den Parlamentsdiensten nachträglich hören und fertigte davon eine Abschrift an. Diese landete prompt in der Sonntagspresse. Die vier restlichen Ratsmitglieder hatten aus dem Nähkästchen geplaudert und Couchepins Aussagen Medien gegenüber bestätigt.
Alle wehrten sich gegen den Verweis, und so musste letztlich der Nationalrat entscheiden. Dieser gab ihnen recht. In Erinnerung bleibt indes vor allem die sarkastische Rede von Freysinger: «Verbannt mich, belegt meine vorlaute Zunge mit tausend Jahren Schweigen, damit Couchepins Prophezeiungen auf ewig im Kommissionsprotokoll erstarren und anstelle der Götterdämmerung ein neues ‹Mörgeli› für unser Land anbricht!»
Einige Jahre später stand die Berner FDP-Nationalrätin Christa Markwalder im Scheinwerferlicht. Sie hatte einen vertraulichen Bericht des Bundesrats an eine Lobbyistin weitergereicht. Alles halb so wild, befand die Aussenpolitische Kommission des Nationalrates. Der Inhalt sei bereits bekannt gewesen.
Trotzdem dominierte die Episode monatelang die Schlagzeilen. Bei den Informationen ging es um Antworten des Bundesrates auf eine Interpellation von Markwalder zum Verhältnis zwischen der Schweiz und Kasachstan. Die NZZ hatte aufgedeckt, dass der Text der Interpellation von einer PR-Agentur im Auftrag einer regierungsnahen kasachischen Partei verfasst worden war.
Ungeschoren kam auch der damalige SVP-Nationalrat Roger Köppel davon. Der «Weltwoche»-Verleger hatte im März 2022 publik gemacht, dass Agenten des russischen Geheimdienstes die Räume des Schweizer Luxusuhrenherstellers Audemars Piguet in Moskau durchsucht und dabei Uhren im Millionenwert beschlagnahmt hatten.
Die Informationen stammten aus einer vertraulichen Infonotiz des Aussendepartements, die unter anderem an die Mitglieder der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates verschickt worden war – unter ihnen auch Köppel. Trotzdem sah das Büro des Nationalrates von Disziplinarmassnahmen ab. Köppel könne nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass er das Kommissionsgeheimnis verletzt habe. (ear/aargauerzeitung.ch)