Am kommenden Wochenende ist es so weit: Catherine* wird in Echallens VD zum ersten Mal an der Versammlung der Westschweizer SVP-Frauen teilnehmen.
Früher war Catherine in den Augen des Gesetzes ein Mann. Heute ist sie eine Frau und wird auch als solche anerkannt. Sie ist 49 Jahre alt, Mutter von sechs Kindern, nachdem sie deren Vater war, und ist bei der Sektion Gros-de-Vaud der Schweizerischen Volkspartei eingeschrieben. Am 23. Dezember 2020 hatte sie ihr Coming-out, wie sie watson anvertraut.
Letzte Woche nominierte die SVP-Fraktion den offen homosexuell lebenden Zürcher Hans-Ueli Vogt als Bundesratskandidaten. Damit könnte ein SVP-Mann in eine Domäne eindringen, die oft der Linken vorbehalten ist: jene der Progressivität.
Wie kann man schwul, lesbisch oder transgeschlechtlich sein und gleichzeitig einer Partei beitreten, die von denjenigen, die die SVP nicht mögen, teilweise als reaktionär oder sogar rechtsextrem eingestuft wird?
Drehen wir die Frage um: Was wäre, wenn die SVP gerade wegen ihrer Radikalität und ihrer «ungefilterten» Sprache bei bestimmten Themen homosexuelle Menschen und Transgender-Personen anzieht?
Im Fall von Catherine, die ein kleines Unternehmen leitet, war es eine schlechte Erfahrung mit der Stadt Lausanne, die sie dazu veranlasste, am 22. Februar der SVP beizutreten. «Meine Frau, meine Kinder und ich wohnten in einer Sozialwohnung mit fünf Zimmern. Die Lausanner Behörden sagten mir, dass ich zu viel verdiene, um in dieser Wohnung bleiben zu können. Wir mussten ausziehen, an unserer Stelle ist eine Migrantenfamilie eingezogen», sagt sie und meint, dass ihr dabei Unrecht widerfahren sei. Die Familie fand eine neue Bleibe in einem ruhigen Haus auf dem Land.
Für die neue SVP-Aktivistin ist die «Linke völlig losgelöst von der Realität der unteren Mittelschicht». Ihr Urteil über die Linke in gesellschaftlichen Fragen fällt hart aus:
Catherine glaubt, dass sie bei den Westschweizer SVP-Frauen gut aufgenommen wird. Wer hätte das vor zehn oder zwanzig Jahren für möglich gehalten?
Damals begann für die konservative Partei in der Schweiz alles am helllichten Tag. Am Ende der 90er-Jahre wurde der damals 30-jährige Thomas Fuchs, ein Berner SVP-Mitglied, geoutet. Er stand zu seiner sexuellen Orientierung und musste sich mit homophoben Kommentaren in seiner Partei auseinandersetzen.
Zehn Jahre später gründete Thomas Fuchs die Gay SVP. Mitglieder der Jungen SVP Unterwallis bezeichneten sie kurz danach als «Krebsgeschwür». Heute würde eine solche Reaktion wahrscheinlich zu einem sofortigen Parteiausschluss führen. Der Verein vertritt unterdessen rund 60 Frauen und Männer, die sich mit der SVP identifizieren und gleichzeitig homosexuell sind.
Ein homosexueller ehemaliger Waadtländer SVP-Mann spricht von einer «kalten Toleranz» für Schwule innerhalb der Partei. «Am Anfang sind die Gesichter etwas verkniffen, aber da man in der SVP ziemlich viel trinkt, lockern sich alle recht schnell», erzählt der 52-jährige Impfgegner, der die Partei aufgrund von Differenzen mit der Gesundheitspolitik während der Covid-19-Krise verlassen hat. Wie Catherine hat er eine negative Meinung zur Linken, der er das Recht abspricht, Minderheiten, zumindest Schwule, zu vertreten:
Bei der SP gäbe es Hipster und Sozialfälle, fährt er aufgebracht fort, während bei der SVP ein ganzes Spektrum von Individuen, Hautfarben, Herkunft und sozialen Schichten vorhanden sei.
Der Yverdoner Gemeinderat Ruben Ramchurn bestätigt:
Innerhalb der SVP habe man darum kämpfen müssen, den Stimmen für die «Ehe für alle» Gehör zu verschaffen, da sich die Delegierten der Partei klar gegen das Gesetz ausgesprochen hatten. Ruben Ramchurn gehörte zu einer Minderheit, die diese Änderung befürwortete.
Der Front National in Frankreich, der 2018 in Rassemblement National umbenannt wurde, war für viele Schwule ein Zufluchtsort, als Marine Le Pen, die in ihren Augen als schützende Mutterfigur galt, 2011 Vorsitzende der Partei wurde.
Der FN gewann damals das Image einer schwulenfreundlichen Partei, obwohl Jean-Marie Le Pen in den 1980er-Jahren, als viele Homosexuelle an Aids starben, verachtenswerte Äusserungen über Homosexuelle gemacht hatte.
Seine Tochter Marine umgab sich mit Führungskräften, von denen einige homosexuell waren. Schwule junge Menschen schlossen sich der rechtsextremen Partei an, weil sie angeblich auf die Schikanen und Beleidigungen reagierten, denen ihre Altersgenossen aus dem Maghreb oder der Subsahara ausgesetzt waren.
Marine Le Pen verzichtete auch darauf, an vorderster Front gegen die «Ehe für alle» zu kämpfen, als der Gesetzentwurf das konservative katholische Frankreich auf die Strasse brachte.
Aber nicht alle homosexuellen Menschen, die sich von der harten oder extremen Rechten angezogen fühlen, sind auf der Suche nach einem schützenden Kokon. Das ehemalige Waadtländer SVP-Mitglied, das selbst schwul ist, liefert andere Erklärungen:
An der Konferenz, an der Hans-Ueli Vogt seine Kandidatur bekannt gab, wurde der offen homosexuelle Politiker gefragt, ob die Schweiz bereit sei für einen schwulen Bundesrat. Vogt sagte dazu, dass man in der Schweiz schon viel für «seine» Minderheit erreicht hätte, also ja. Seine sexuelle Orientierung spiele in der Politik ja keine Rolle.
2017 machte Vogts Parteikollege und Gemeinderat Daniel Regli äusserst homophobe Aussagen, wie der «Blick» berichtete. Vogt zeigte sich empört: «Aus seinen Aussagen hört man Mitleid und Verachtung gegenüber Homosexuellen.» Er schätze Regli als Parteikollege sehr, könne ihn für diese Äusserungen aber nicht in Schutz nehmen. Und er betont:
(cpf)
*Name geändert
Dieses Bild, dass hier wieder einmal vermittelt wird, ist höchst bedenklich! Warum soll Homosexualität mit einer SVP Mitgliedschaft im widerspruch stehen? Die Sexualität hat doch keinen Einfluss darauf, wie ich zu Migrationsfragen oder Finanzpolitik stehe! Immer dieses Narrativ, dass nicht-linke Homosexuelle, einfach nicht weit genug denken können um zu wissen, was gut für sie ist.