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Was LGBTQ-Menschen an der SVP finden

Auf viele LGBTQ-Menschen hat die SVP anziehende Wirkung – warum das so ist

25.11.2022, 11:2425.11.2022, 15:04
Antoine Menusier
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Am kommenden Wochenende ist es so weit: Catherine* wird in Echallens VD zum ersten Mal an der Versammlung der Westschweizer SVP-Frauen teilnehmen.

Früher war Catherine in den Augen des Gesetzes ein Mann. Heute ist sie eine Frau und wird auch als solche anerkannt. Sie ist 49 Jahre alt, Mutter von sechs Kindern, nachdem sie deren Vater war, und ist bei der Sektion Gros-de-Vaud der Schweizerischen Volkspartei eingeschrieben. Am 23. Dezember 2020 hatte sie ihr Coming-out, wie sie watson anvertraut.

Hans-Ueli Vogt könnte bald der erste offen homosexuelle Bundesrat werden.
Hans-Ueli Vogt könnte bald der erste offen homosexuelle Bundesrat werden.Bild: keystone/watson

Letzte Woche nominierte die SVP-Fraktion den offen homosexuell lebenden Zürcher Hans-Ueli Vogt als Bundesratskandidaten. Damit könnte ein SVP-Mann in eine Domäne eindringen, die oft der Linken vorbehalten ist: jene der Progressivität.

Wie kann man schwul, lesbisch oder transgeschlechtlich sein und gleichzeitig einer Partei beitreten, die von denjenigen, die die SVP nicht mögen, teilweise als reaktionär oder sogar rechtsextrem eingestuft wird?

Drehen wir die Frage um: Was wäre, wenn die SVP gerade wegen ihrer Radikalität und ihrer «ungefilterten» Sprache bei bestimmten Themen homosexuelle Menschen und Transgender-Personen anzieht?

«Mir ist ein Unrecht widerfahren»

Im Fall von Catherine, die ein kleines Unternehmen leitet, war es eine schlechte Erfahrung mit der Stadt Lausanne, die sie dazu veranlasste, am 22. Februar der SVP beizutreten. «Meine Frau, meine Kinder und ich wohnten in einer Sozialwohnung mit fünf Zimmern. Die Lausanner Behörden sagten mir, dass ich zu viel verdiene, um in dieser Wohnung bleiben zu können. Wir mussten ausziehen, an unserer Stelle ist eine Migrantenfamilie eingezogen», sagt sie und meint, dass ihr dabei Unrecht widerfahren sei. Die Familie fand eine neue Bleibe in einem ruhigen Haus auf dem Land.

Für die neue SVP-Aktivistin ist die «Linke völlig losgelöst von der Realität der unteren Mittelschicht». Ihr Urteil über die Linke in gesellschaftlichen Fragen fällt hart aus:

«Die Linke ist in ihrem Inklusionswahn ständig bestrebt, die Minderheiten, wie sie es nennt, für die Wahlen zurückzugewinnen. Sie hat nur das Wort «Gleichheit» auf den Lippen. Ihr Kampf stigmatisiert uns mehr als alles andere.»

Catherine glaubt, dass sie bei den Westschweizer SVP-Frauen gut aufgenommen wird. Wer hätte das vor zehn oder zwanzig Jahren für möglich gehalten?

Damals begann für die konservative Partei in der Schweiz alles am helllichten Tag. Am Ende der 90er-Jahre wurde der damals 30-jährige Thomas Fuchs, ein Berner SVP-Mitglied, geoutet. Er stand zu seiner sexuellen Orientierung und musste sich mit homophoben Kommentaren in seiner Partei auseinandersetzen.

Thomas Fuchs, deleguee de l'UDC, participe au congres de programme des delegues du parti de l' Union Democratique du Centre, UDC, qui est organise sous la forme d'une landsgemeinde sur  ...
Thomas FuchsBild: Keystone

Zehn Jahre später gründete Thomas Fuchs die Gay SVP. Mitglieder der Jungen SVP Unterwallis bezeichneten sie kurz danach als «Krebsgeschwür». Heute würde eine solche Reaktion wahrscheinlich zu einem sofortigen Parteiausschluss führen. Der Verein vertritt unterdessen rund 60 Frauen und Männer, die sich mit der SVP identifizieren und gleichzeitig homosexuell sind.

Kalte Toleranz

Ein homosexueller ehemaliger Waadtländer SVP-Mann spricht von einer «kalten Toleranz» für Schwule innerhalb der Partei. «Am Anfang sind die Gesichter etwas verkniffen, aber da man in der SVP ziemlich viel trinkt, lockern sich alle recht schnell», erzählt der 52-jährige Impfgegner, der die Partei aufgrund von Differenzen mit der Gesundheitspolitik während der Covid-19-Krise verlassen hat. Wie Catherine hat er eine negative Meinung zur Linken, der er das Recht abspricht, Minderheiten, zumindest Schwule, zu vertreten:

«Schwänze zu lutschen, ist keine Ideologie.»

Bei der SP gäbe es Hipster und Sozialfälle, fährt er aufgebracht fort, während bei der SVP ein ganzes Spektrum von Individuen, Hautfarben, Herkunft und sozialen Schichten vorhanden sei.

Der Yverdoner Gemeinderat Ruben Ramchurn bestätigt:

«In der SVP, meiner Partei, gibt es viel mehr Schwule, als man denkt. Für viele von ihnen ist die sexuelle Orientierung kein politisches Thema. Was sich mit dem Bundesratskandidaten Hans-Ueli Vogt ändert, ist, dass er offen homosexuell ist.»

Innerhalb der SVP habe man darum kämpfen müssen, den Stimmen für die «Ehe für alle» Gehör zu verschaffen, da sich die Delegierten der Partei klar gegen das Gesetz ausgesprochen hatten. Ruben Ramchurn gehörte zu einer Minderheit, die diese Änderung befürwortete.

Marine Le Pen, der schützende Kokon

Der Front National in Frankreich, der 2018 in Rassemblement National umbenannt wurde, war für viele Schwule ein Zufluchtsort, als Marine Le Pen, die in ihren Augen als schützende Mutterfigur galt, 2011 Vorsitzende der Partei wurde.

Der FN gewann damals das Image einer schwulenfreundlichen Partei, obwohl Jean-Marie Le Pen in den 1980er-Jahren, als viele Homosexuelle an Aids starben, verachtenswerte Äusserungen über Homosexuelle gemacht hatte.

Seine Tochter Marine umgab sich mit Führungskräften, von denen einige homosexuell waren. Schwule junge Menschen schlossen sich der rechtsextremen Partei an, weil sie angeblich auf die Schikanen und Beleidigungen reagierten, denen ihre Altersgenossen aus dem Maghreb oder der Subsahara ausgesetzt waren.

Marine Le Pen verzichtete auch darauf, an vorderster Front gegen die «Ehe für alle» zu kämpfen, als der Gesetzentwurf das konservative katholische Frankreich auf die Strasse brachte.

Männliche Werte

Aber nicht alle homosexuellen Menschen, die sich von der harten oder extremen Rechten angezogen fühlen, sind auf der Suche nach einem schützenden Kokon. Das ehemalige Waadtländer SVP-Mitglied, das selbst schwul ist, liefert andere Erklärungen:

«Die harte Rechte oder die extreme Rechte verkörpert Ordnung, das Militär oder auch die Uniform. Für einen Teil der Schwulen ist das ganz einfach eine Anziehung männlicher Werte. Als ob sie das Gefühl hätten, etwas beweisen zu müssen, anderen, aber vor allem sich selbst, als Wiedergutmachung oder Kompensation. Von der extremen Rechten gab es in Holland den offen homosexuellen und anti-islamischen Politiker Pim Fortuyn, der 2002 von einem militanten Linksextremisten ermordet wurde. In Österreich, wo seine Homosexualität jedoch erst nach seinem Tod durch einen Autounfall im Jahr 2008 bekannt wurde, war es der FPÖ-Parteivorsitzende Jörg Haider.»

Was sagt Vogt dazu?

Einer der Kandidaten fuer die Bundesratsersatzwahl, Hans-Ueli Vogt, ZH, wartet auf seinen Einsatz, am Rand der SVP-Fraktionssitzung zu Nomination des Tickets, am Freitag, 18 November 2022 in Heremence ...
Hans-Ueli Vogt könnte bald der erste offen homosexuelle Bundesrat werden.Bild: keystone

An der Konferenz, an der Hans-Ueli Vogt seine Kandidatur bekannt gab, wurde der offen homosexuelle Politiker gefragt, ob die Schweiz bereit sei für einen schwulen Bundesrat. Vogt sagte dazu, dass man in der Schweiz schon viel für «seine» Minderheit erreicht hätte, also ja. Seine sexuelle Orientierung spiele in der Politik ja keine Rolle.

2017 machte Vogts Parteikollege und Gemeinderat Daniel Regli äusserst homophobe Aussagen, wie der «Blick» berichtete. Vogt zeigte sich empört: «Aus seinen Aussagen hört man Mitleid und Verachtung gegenüber Homosexuellen.» Er schätze Regli als Parteikollege sehr, könne ihn für diese Äusserungen aber nicht in Schutz nehmen. Und er betont:

«Seine Aussagen entsprechen nicht der Parteimeinung! Auch wenn die SVP die Familie in ihrer traditionellen Form ins Zentrum stellt, so ist sie doch nicht homophob, und ich erlebe die Partei auch nicht so.»
Hans-Ueli Vogt

(cpf)

*Name geändert

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322 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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jyperion
25.11.2022 12:08registriert März 2015
“Wie kann man schwul, lesbisch oder transgeschlechtlich sein und gleichzeitig einer Partei beitreten, die von denjenigen, die die SVP nicht mögen, teilweise als reaktionär oder sogar rechtsextrem eingestuft wird?“
Dieses Bild, dass hier wieder einmal vermittelt wird, ist höchst bedenklich! Warum soll Homosexualität mit einer SVP Mitgliedschaft im widerspruch stehen? Die Sexualität hat doch keinen Einfluss darauf, wie ich zu Migrationsfragen oder Finanzpolitik stehe! Immer dieses Narrativ, dass nicht-linke Homosexuelle, einfach nicht weit genug denken können um zu wissen, was gut für sie ist.
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du_bist_du
25.11.2022 11:46registriert Mai 2020
Diese ellenlangen Analysen und unzähligen Artikel die es ansonsten gibt sind eigentlich unnötig und kann man sich für die Uni Mensa aufsparen. Dieser Artikel bestätigt eigentlich was an jedem Stammtisch erzählt wird. Es gibt konservative Menschen die sich eine konservative Partei suchen und wenn es halt nur die SVP gibt, tja, dann ist halt die SVP das Sammelbecken für alles mögliche... Und es gibt Menschen die das Gefühl haben, die Linken vertreten nicht mehr "den kleinen Mann oder die kleine Frau". Die wählen dann auch mal entgegen den eigenen Interessen nicht links.
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Roli_G
25.11.2022 11:56registriert Januar 2021
Die "Der Ausländer nimmt mir mein Guezli weg" - Haltung kann halt eben auch bei Trans-Menschen oder Homosexuellen auftreten. Wieso auch nicht...
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