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Lugano will die Probleme lösen – mit Krypto-Währungen und dem Plan B

Lugano
Lugano mit dem Monte Bré im Hintergrund.Bild: watson

So will Lugano die Probleme lösen – eine Rolle spielen Krypto-Währungen und der Plan ₿

Eine überalterte Bevölkerung, fast keine Jobs für junge Talente, zu hohe Mieten und schlechte Löhne: Das sind nur einige Baustellen in Lugano. Die Stadt möchte dieser Entwicklung als neues Krypto-Mekka entgegensteuern. Ob das alle Probleme löst? Da scheiden sich die Geister, wie eine Reportage vor Ort zeigt.
28.10.2022, 15:4630.12.2022, 14:18
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Es ist kurz vor 12 in Lugano, als die 17-jährige Ludovica Imerico aus dem Unterricht am Gymnasium kommt. Zusammen mit Freundinnen ist sie unterwegs ins Stadtzentrum. Während die Mittagssonne heiss auf die Strassen brennt, sagt sie: «80 Prozent aller Klassenkameraden ziehen für das Studium von Lugano weg». Sie selbst wisse noch nicht, ob sie nach ihrer Ausbildung jemals wieder zurückkomme.

Die 17-Jährige fasst damit zusammen, was in Lugano gerade falsch läuft. Viele Jugendliche ziehen für eine aussichtsreiche Karriere lieber weg, als dass sie im Tessin bleiben. Zu angeschlagen sei der Wirtschaftsstandort. Diesem versucht die Stadt nun, neues Leben einzuhauchen.

So steht Lugano heute im Fokus der weltweiten Aufmerksamkeit. Schuld daran ist der sogenannte «Plan ₿», eine Art städtischer Marschallplan für Bitcoin und Blockchain. Dieser wird heute der Bevölkerung vorgestellt.

Dadurch sollen Steuern künftig in Kryptowährungen beglichen werden können. Nicht nur die Behörden, sondern auch private Unternehmen sollen das digitale Geld für Geschäfte des Alltags akzeptieren.

Als erste Stadt Europas wird in Lugano die Zahlungsinfrastruktur auf Kryptowährungen basieren. Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel einzuführen, ist aber keine neue Idee: Das zentralamerikanische Land El Salvador hat dies bereits 2021 gemacht.

Obwohl Lugano und El Salvador «ihren Plan» massiv anders angehen, vereint sie doch derselbe Gedanke: Mit Blockchain und Bitcoin der angeschlagenen Wirtschaft neuen Aufschwung zu verleihen.

Lugano am See
Malerische Landschaft: So kennt man Lugano.Bild: watson

Die neuntgrösste Schweizer Stadt versucht so, nicht komplett in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Denn der einstige Glanz des drittgrössten Finanz- und Wirtschaftszentrums im Land ist schon länger verblasst.

Diesen Verlust teilweise auszugleichen versuchte Lugano zunächst mit ihrem 2015 eröffneten Kulturzentrum LAC. Gleichzeitig wurde das Angebot an der Universität ausgebaut und um einen Campus erweitert. Dies reichte aber nicht, um den Finanzplatz zeitnah neu auszurichten.

Knapp 2000 Vollzeitstellen weniger

Denn mit dem Ende des Bankgeheimnisses zogen zahlreiche Finanzinstitutionen einen Schlussstrich unter ihre Tätigkeiten in Lugano. Den Rest gegeben hat der Stadt das italienische Selbstanzeigeprogramm für die Doppelbesteuerung im Jahr 2015. Ein Schweizer Bankkonto verlor damit an Attraktivität für italienische Steuerpflichtige.

Die Folgen waren spürbar: Bis zum Jahr 2005 erhielt die Stadt Lugano rund 45 Millionen Franken Steuern von den Banken, mittlerweile sind es noch 14 Millionen.

Auch die jährliche Bankenstatistik der Schweizer Nationalbank unterstreicht diese Entwicklung: Während es im Jahr 2000 im gesamten Tessin 287 Bankensitze und Filialen hatte, waren es 2021 nur noch 164.

Auswirkungen hatte dies auch für die Arbeitsplätze: Lugano verlor zwischen 2007 und 2019 exakt 1898 Vollzeitstellen im Banksektor, wie das Centro Studi Villa Negroni 2020 in einer Erhebung feststellt.

Lugano, LAC Kulturzentrum
Das 2015 eingeweihte Kulturzentrum LAC.Bild: watson

Dieser Jobverlust hat die Stadt hart getroffen. Knapp 2000 Vollzeitstellen weniger, verteilt auf rund 62'000 Einwohner, sind eine Menge. Für Lugano war es eine Herkulesaufgabe, das auszugleichen. Denn die verlorene Attraktivität am Arbeitsmarkt betrifft vor allem die normalverdienenden Einwohner.

Das Resultat: Lugano erlebte eine Bevölkerungsabwanderung – rund 2200 Einwohner haben die Stadt in den vergangenen fünf Jahren verlassen. Entgegen dem schweizweiten Trend ziehen immer mehr Menschen von Lugano weg. Gleichzeitig wird der Ort beliebter bei Superreichen und der älteren Bevölkerung.

Denn die Stadt gilt für viele als Traumdestination: der Luganersee vor der Haustür, zahlreiche schmucke Restaurants und Luxus-Modegeschäfte in der Nähe. Und das alles verbunden mit einem italienischen Flair, aber in Schweizer Ordnung. Der perfekte Ort, um den Ruhestand zu verbringen.

Deshalb verwundert es nicht, dass Lugano altert: Die ältere Bevölkerung nimmt zu, die Jugendlichen ziehen vermehrt weg.

Die Statistik bestätigt dies: Das mittlere Alter aller Einwohner ist in Lugano mit 46,6 Jahren deutlich höher als etwa in Zürich (38,4 Jahre). «Ich will in Italien studieren, weil es in Lugano zu wenig Optionen hat», sagt dazu etwa die 17-jährige Ludovica Imerico, die am Gymnasium hinter dem Stadtpark Parco Ciani maturiert. Zusammen mit ihren drei Freundinnen ist sie unterwegs ins Stadtzentrum.

«Jobs wie in Zürich»

Alle vier wollen Lugano nach ihrer Matura verlassen, um an einem anderen Ort zu studieren. Zürich, Mailand und Lausanne sind hoch im Kurs. «80 Prozent aller Klassenkameraden ziehen für das Studium von Lugano weg», schätzt Ludovica. Sie selbst wisse noch nicht, ob sie nach ihrer Ausbildung jemals wieder zurückkomme – aus Jobgründen.

Das merkt auch die Politik, wie der Sozialdemokrat Rudolfo Pulino sagt: «Viele meiner Freunde haben Lugano verlassen. Die meisten studierten in der Deutschschweiz und blieben danach dort.»

Pulino arbeitet zwar als IT-Experte bei einer Bank, doch auch er habe schon über einen Wegzug nachgedacht, als sich die Arbeitssuche in der Vergangenheit einmal schwierig gestaltete.

Lugano, SP-Politiker Rodolfo Pulino
Sieht viele Baustellen in der Stadt: SP-Politiker Rodolfo Pulino.Bild: watson

Die Problematik mit den Arbeitsmöglichkeiten ist auch Ivano D'Andrea bewusst. Der Ökonom und Chef der Tessiner Treuhand- und Immobilienfirma Multi sowie Mitte-Politiker sagt: «Als meine Generation das Studium abgeschlossen hatte, fand man in Lugano noch Jobs wie in Zürich». Heute sei dies nicht mehr so.

D'Andrea fordert deshalb: «An der Luganer Universität müssen mehr Ausbildungen angeboten werden, die an die moderne Arbeitswelt angelehnt sind.» Lugano sei bereits ein wichtiger Forschungsstandort für künstliche Intelligenz.

«Fokus auf die Jungen fehlt»

Mit dem «Plan ₿» wolle die Stadt nun auch in die Blockchain-Technologie investieren. «Junge Menschen müssen an der Universität hier entsprechend ausgebildet werden, damit sie künftig in Lugano in diesen Bereichen arbeiten können», sagt D'Andrea.

Die Luganer Universität erfülle ihre Funktion nur dann, wenn es ihr gelinge, junge Talente nach dem Studium im industriellen, lokalen Gewerbe anzusiedeln.

In der Verantwortung stehe die Stadt, aber vor allem der Kanton Tessin. «Dort fehlt der Fokus auf die Jungen», sagt der Ökonom und fügt an: «Der Kanton muss die Rahmenbedingungen schaffen, um neue Unternehmen und Arbeitnehmende anzulocken.»

Lugano, Ökonom und Mitte-Politiker Ivano D'Andrea
Setzt sich für die Universität Lugano ein: Ökonom Ivano D'Andrea.Bild: watson

Damit die Jugend eine Zukunft in Lugano habe, brauche es zudem besser bezahlte Jobs, findet IT-Experte Rodolfo Pulino. Er selbst wisse vor allem aus der Informatikbranche, wie gross die Lohnunterschiede zu Zürich seien.

«In Lugano gibt es für denselben IT-Job 2000 Franken weniger im Monat». Trotzdem würden Dinge des alltäglichen Lebens gleich viel kosten. «Die Krankenkasse ist sogar teurer als in Zürich», beschwert sich der SP-Politiker.

Er sei überzeugt, dass im Tessin am Ende des Monats weniger Geld übrig bleibe als in der Deutschschweiz.

Exakt 1567 Franken tiefer ist der monatliche Bruttolohn von Arbeitnehmern im Tessin verglichen mit dem Kanton Zürich, wie das Bundesamt für Statistik in seinem «City Statistic Porträt 2021» schreibt. Im Vergleich zum schweizweiten Durchschnitt verdient man in Lugano pro Monat 1119 Franken weniger.

Dieses Bild bestätigt auch ein Kellner, der in einem Restaurant am Luganer Piazza Riforma arbeitet. Er verdiene hier genau 1100 Franken weniger pro Monat, als er für denselben Job in St.Gallen bekommen habe.

Die Wohnung sei aber ähnlich teuer: In der Ostschweiz habe er für eine 3,5-Zimmerwohnung 1300 Franken bezahlt, hier in Lugano 1100 Franken.

Vergleichsweise hohe Mieten seien ein anderes Problem von Lugano, findet der SP-Politiker Pulino. «In den letzten Jahren wurden vermehrt sehr teure Häuser und Wohnungen gebaut, anstatt bezahlbares Wohnen zu fördern».

Der Leerstand bei den Luxuswohnungen sei dementsprechend hoch. Aber auch bei den günstigsten Wohnungen auf dem Markt: «In diesen möchte jedoch niemand mehr wohnen, weil sie so alt sind», sagt Pulino.

«Wo bleibt der Plan A?»

Luganos Leerwohnungsziffer ist mit 3,2 Prozent tatsächlich viel höher als etwa Zürich mit 0,1 Prozent, wie Zahlen des Bundes zeigen. Die Lösung? Genossenschaftswohnungen, findet der Sozialdemokrat Pulino: «Davon gibt es bisher nur wenige im Tessin. Die Stadt hat zwar kürzlich mit so einem Wohnbauprojekt begonnen – aber es braucht noch viel mehr.»

Lugano
Aussicht: Lugano ist die neuntgrösste Schweizer Stadt.Bild: watson

Eine Möglichkeit sieht darin auch der Ökonom Ivano D'Andrea. Aber: «Im Tessin haben es Genossenschaften schwer, da der kollektive Gedanken nicht so präsent ist». Zudem würden solche Vereinigungen nicht von heute auf morgen entstehen.

Doch genau das hätte Lugano nötig. Denn je länger sich nichts tut, desto grösser werden die Probleme. Die Stadt hofft nun auf den Erfolg ihres neuen «Plan ₿».

Auch Ivano D'Andrea glaubt daran, dass dieser ein neues Bild von Lugano kreieren werde. «Durch den Plan wird die Stadt weniger als Old-Fashion-Finanzplatz, sondern als ein neuer, moderner Finanzplatz angesehen.» Er sei überzeugt, dass so die Aufmerksamkeit stärker auf Lugano gelenkt werde und man wieder junge Talente ins Tessin locke.

Diese Euphorie teilen nicht alle. SP-Politiker Rodolfo Pulino fasst zusammen: «Es ist schön, einen Plan B zu haben – aber wo bleibt der Plan A?» Denn in Lugano ist es kurz vor 12.

(Mitarbeit: Sarah Serafini)

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65 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Steasy
28.10.2022 16:23registriert Dezember 2019
Soll das ein Witz sein?
Die wollen Arbeitsplätze und bezahlbare Wohnungen schaffen indem man seine Steuern mit Bitcoin bezahlen kann?
Da hats wohl in irgendeinem Marketing-Hirn einen Kurzschluss gegeben, um auf eine solche Idee zu kommen.
Zug versucht sich auch bereits seit Jahren als Krypto-Standort zu positionieren, mit bescheidenem Erfolg. Die Firmen die sich von sowas anziehen lassen haben oft ein zweifelhaftes Geschäftsmodell und bringen weder grossartig Steuereinnahmen noch besonders viele Arbeitsplätze. Und wie das zu günstigeren Wohnungen führen soll, ist mir absolut schleierhaft.
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ingmarbergman
28.10.2022 15:57registriert August 2017
Man könnte auch auf Firmen setzen die produktiv sind und nicht auf solche, deren Business Modell daraus besteht, Grenzgänger zum Mindestlohn anzustellen.
Aber was erwartet man, wenn man SVP und Lega wählt?

Eine Alternative wäre: Steuern für Firmen runter, welchen einen GAV haben und überdurchschnittliche Löhne. Dafür Steuern massiv hoch für Firmen welche Dumpinglöhne zahlen.
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Atavar
28.10.2022 16:19registriert März 2020
Die einseitige Ausrichtung der Region auf Tourismus, wohlhabende Rentner und Ferienwohnungen über Jahrzehnte rächt sich nun.
Dieser Trend wird sich nicht mit Bitcoin ändern. Rodolfo Pulino hat mit seinen Gründen für den Youth- und Braindrain recht.
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