Tierwohl bei Masthühnern: Coop führt, Transparenzlücken bei Aldi
Auf saftig grünen Wiesen scharren Hühner im Gras und picken zufrieden Körner. So idyllisch suggeriert die Werbung das Leben der Schweizer Hühner.
Die Realität sieht anders aus: In der Schweiz werden jährlich über 80 Millionen Masthühner gehalten und geschlachtet. Mehr als 90 Prozent verbringen ihr gesamtes Leben im Stall und sehen nie Tageslicht, wie Sentience Politics berichtet. «Hinter dieser Zahl stehen empfindungsfähige Lebewesen, die auf unnatürlich schnelles Wachstum herangezüchtet werden», so die Organisation, die sich für Tiere einsetzt. Dadurch können sie oft kaum stehen oder gehen und weisen oft Verhaltungsstörungen auf. Oftmals kann auch Herz und Lunge mit dem schnellen Wachstum nicht mithalten, sodass viele Masthühner unter Herz-Kreislauf-Problemen oder Atemwegserkrankungen leiden.
Millionen Masthühner leben demnach unter Bedingungen, die alles andere als artgerecht sind. Grossverteiler hätten die Macht, das zu ändern – beispielsweise durch den Umstieg auf langsam wachsende Rassen.
Schweiz als Vorreiter fürs Tierwohl?
In der EU gibt es Bestrebungen, den Einsatz schnell wachsender Masthuhnrassen einzuschränken. Anders sieht es in der Schweiz aus: «Die Schweizer Grossverteiler rühmen sich mit Qualität, Verantwortung und Transparenz – doch kein einziger hat das European Chicken Commitment (ECC) unterzeichnet», kritisiert Sentience Politics. Das freiwillige EU-Abkommen zielt darauf ab, das Leid von Masthühnern zu verringern – durch langsam wachsende Rassen, mehr Platz, bessere Haltungsbedingungen sowie unabhängige Kontrollen und Transparenz. Grosse europäische Unternehmen wie Subway, KFC, Burger King UK, Domino's oder Nestlé haben sich freiwillig verpflichtet, bis 2026 höhere Tierschutzstandards umzusetzen. Rechtlich bindend ist dieses Versprechen allerdings nicht.
Bleibt die Schweiz zurück? Sentience Politics hat untersucht, wie die Schweizer Grossverteiler im Vergleich zu den ECC-Standards abschneiden: Wer nimmt seine Tierschutzversprechen ernst – und wo gibt es Verbesserungsbedarf?
Coop schneidet beim Ranking am besten ab. Das Unternehmen punktet bei Haltungsbedingungen und Schlachtmethoden. Dennoch stammen weiterhin 88 Prozent der Hühner aus schnell wachsenden Rassen.
Coop erklärt gegenüber watson: «Wir halten uns stets an die gesetzlichen Vorgaben sowie an die Richtlinien der Branche. Sämtliche Schweizer Betriebe, die für uns Pouletfleisch produzieren, erfüllen mindestens die BTS-Vorgaben, deren Einhaltung regelmässig kontrolliert wird.» BTS (Besonders tierfreundliche Stallhaltungssysteme) ist ein Schweizer Tierwohlprogramm, das höhere Standards als gesetzliche Mindestanforderungen für Nutztiere vorsieht: mehr Platz, Tageslicht, Einstreu, geschützten Aussenklimabereich. Eine Abkehr von bestimmten Rassen würde angesichts des steigenden Geflügelkonsums in der Schweiz höhere Importe nach sich ziehen – mit niedrigeren Tierwohlstandards und grösserer Klimabelastung.
Doch das Problem: «Von mehr Platz, zur Verfügung gestellten Sitzstangen oder von Aussenklimabereichen profitieren Masthühner von schnellwachsenden Linien nur selten», sagt die Juristin Sibel Konyo von der Stiftung für das Tier im Recht (TIR). «Diese Masthühner erreichen innert kürzester Zeit ein sehr hohes Gewicht und leiden unter gesundheitlichen Problemen, die sie unter anderem in ihrer Bewegung einschränken.» Aus diesem Grund sei es essenziell, dass die Schweiz von schnellwachsenden Zuchtlinien wegkommt und auf andere Linien umstellt. Nur so könne das Tierwohl effektiv verbessert werden.
«Migros in starker Position – mit ungenutztem Potential»
Migros hat aufgrund ihres Marktanteils von fast 40 Prozent grossen Einfluss auf den Schweizer Lebensmittelsektor. Das Unternehmen sticht durch seine vergleichsweise hohe Transparenz heraus. Dennoch bleibe in Sachen Tierwohl noch erhebliches Potenzial, insbesondere beim Umstieg auf langsam wachsende Rassen.
Die Migros sagt gegenüber watson: «Das Wohl der Tiere liegt uns am Herzen, denn nur gesunde Tiere ermöglichen die Produktion von hochwertigen Lebensmitteln.» Alle Schweizer Poulets, welche die Migros verkauft, würden gemäss den Anforderungen des BTS-Programms gehalten werden.
Transparenzlücken bei Lidl und Aldi
Lidl mache vage Versprechen, liefere aber kaum Beweise. Informationen zu zentralen Tierwohlkriterien seien öffentlich nicht auffindbar. Die Organisation Sentience Politics kontaktierte das Unternehmen, um mehr Details zu erhalten. Lidl teilte gegenüber watson mit, dass diese Anfrage untergegangen sei, kündigte aber an, die Informationen einzureichen, um für mehr Transparenz zu sorgen.
Aldi bildet das Schlusslicht der Recherche aufgrund fehlender Transparenz bei Rassenwahl und Besetzungsdichte. Das Unternehmen hinkt auch seinen europäischen Schwesterunternehmen in Deutschland, Spanien und Frankreich hinterher, die das ECC bereits unterschrieben haben. Aldi erklärt gegenüber watson: «Tierwohl liegt uns am Herzen und wir arbeiten eng mit unseren Lieferanten zusammen. Diese sind verpflichtet, sämtliche gesetzlichen Anforderungen sowie die vertraglich festgelegten Tierwohlstandards einzuhalten.» Das gesamte Frischfleisch-Sortiment erfülle den BTS-Standard (Besonders tierfreundliche Stallhaltungssysteme). «Zusätzlich bauen wir das unser Geflügelangebot mit Bio-Standard kontinuierlich aus und bieten unseren Kundinnen und Kunden damit Alternativen.»
Das Unternehmen nehme die Recherche zum Tierwohl bei Masthühnern aber zum Anlass, um mit Lieferanten allfällige Optimierungsmöglichkeiten zu prüfen.
