Tödliche Chemikalien im Schweizer Trinkwasser – diese Frau hat eine Lösung
Die blauen Überzieher über ihren Schuhen stören den gepflegten Auftritt von Fajer Mushtaq mit kurzem Kleid, glitzernden Ringen, sorgfältigem Make-up ein bisschen. Aber sie passen zur Labor-Umgebung ihres Arbeitsorts. Mushtaq schickt sich an, mit Hightech eines der grösseren Probleme der Welt zu lösen. Sie und ihr Geschäftspartner Silvan Staufert sagen, sie können PFAS, die als «Ewigkeitschemikalien» Substanzen, aus Wasser eliminieren. Also nicht nur rausfiltern, sondern zerstören.
Und das ganze von Schlieren aus, wo ihr fünf Jahre altes Start-up Oxyle seinen Sitz hat. Und mittlerweile 34 Angestellte.
Mushtaq kam vor 13 Jahren als Studentin in die Schweiz. Aufgewachsen ist sie in Delhi, in einer Familie von Ärzten. «Ja, ich bin privilegiert aufgewachsen», sagt die 35-jährige Unternehmerin. «Aber auch bei uns war Wasser ein ständiges Thema.» Dass man das Hahnenwasser nicht trinken konnte, war klar. Aber im Sommer wusste man oft nicht einmal, ob es genug gebe, um zu duschen oder die Pflanzen im Garten zu tränken.
Ganz anders in Kaschmir, von wo ihre Familie stammt und wo sie oft die Ferien verbrachte. «Da gab es sauberes Quellwasser im Überfluss – und doch gehen die Menschen dort sehr sorgsam damit um.»
Mushtaq nennt PFAS «silent killers»
Und so ist es vielleicht kein Zufall, dass Mushtaqs Leben immer noch ums Wasser kreist. Denn das Wasser in Europa mag zwar so sauber sein, dass niemand darüber nachdenkt, einfach ein Trinkglas unter den Hahn zu halten. Gefahrlos ist es deswegen nicht. «Silent killers», stille Mörder, nennt Mushtaq die PFAS. Denn sie können das Immunsystem schädigen, den Hormonhaushalt, die Fruchtbarkeit. Manche der Substanzen stehen im Verdacht, krebserregend zu sein. Die meisten der über 10’000 PFAS sind jedoch nicht einmal ausreichend erforscht, um zu wissen, welchen Schaden sie anrichten.
Und dennoch sind sie überall – in Teflonpfannen, Regenjacken, Wärmepumpen, Wimperntusche. Ihre wasser-, fett- und schmutzabweisenden Eigenschaften machen sie zu Allzweckwaffen bei der Produktion von vielen Gütern. Übers Abwasser gelangen sie in die Böden, in Flüsse, Seen, Meere und auch ins Trinkwasser, in Früchte, Gemüse, Fleisch – und so in unseren Körper.
PFAS, chemisch gesprochen sind das Kohlenstoffketten, deren Wasserstoffatome vollständig oder teilweise durch Fluoratome ersetzt worden sind, sind sehr stabil. Sie zersetzen sich kaum. Die einzelnen Elemente wieder voneinander zu trennen, ist nur mit viel Energie möglich. «Man kann sie verbrennen, braucht dazu aber mindestens eine Temperatur von 1200 Grad Celsius», sagt Mushtaq. «Ansonsten verbrennt alles Mögliche, aber die PFAS gelangen einfach in die Luft und dann wieder in die Böden.»
Eine chemische Schere kommt zum Einsatz
Mushtaq und ihr Team haben daher eine neue Methode entwickelt – und sie versprechen, damit bis zu 99 Prozent der PFAS aus dem Wasser filtern und zerstören zu können. Dazu wird das Wasser mit Luft aufgeschäumt, ein bisschen wie in einem Schaumbad. Dadurch werden die PFAS konzentriert und vom Restwasser getrennt. Dann werden sie durch Filter geschleust, in denen sie hängen bleiben.
Jetzt kommt die Magie: Den PFAS werden weitere Chemikalien zugesetzt, die wiederum mit UV-Licht aktiviert werden. Wie eine Schere zerschneiden sie die Kohlenstoffketten und zerlegen sie in ihre Einzelteile. «Wir brechen die Kohlenstoff-Fluor-Bindungen auf, jene Bindungen, die PFAS in der Umwelt so schwer abbaubar machen», sagt Mushtaq. «Damit machen wir die Verbindungen unschädlich, so dass das behandelte Wasser sicher abgeleitet werden kann.»
Oxyle bietet seinen Kunden zudem massgeschneiderte Lösungen an. Denn: «Jedes Wasser ist anders», erklärt Mushtaq. Manche PFAS seien langkettig, andere so kurz, dass viele Labore sie nicht einmal messen – also finden – können. Oxyle analysiert die Wasserproben darum selbst, im Vorfeld und direkt in der Anlage. «So wissen die Kunden, womit und wie stark ihr Wasser belastet war.» Manche Kunden würden sie engagieren, um zwei PFAS zu eliminieren. Im Labor würden dann aber viel mehr auffallen. «Dann können wir unser Produkt an diese anderen PFAS anpassen.»
Kunden hat das Start-up in der Schweiz, aber auch in Belgien und den Niederlanden, wo die PFAS-Konzentration in Boden und Wasser besonders hoch sei. Nächstes Jahr, so hofft die Unternehmerin, werde man nach Frankreich und Italien expandieren können. In zwei Jahren will man zehn Anlagen in Europa betreiben.
Ende gut, alles gut, also? Können wir dank Mushtaq das Problem der Ewigkeitschemikalien zu den Akten legen? Nein, sagt diese. «Es braucht technische Lösungen wie unsere, aber auch öffentlichen Druck auf die PFAS-Produzenten und Regierungen. Wir brauchen strengere Regulierungen, um die Menge an PFAS, die in die Umwelt gelangt, zu begrenzen.»
Die produzierende Industrie steht im Fokus
Und dafür sollten nicht die Konsumenten bezahlen, findet Mushtaq. Zwar sei es technisch möglich, ihren PFAS-Killer in jedem Haushalt einzubauen. «Richtiger und deutlich effektiver ist es aber, das Problem an der Quelle anzugehen.»
Für Mushtaq heisst das: Die chemische Industrie soll sich darum kümmern, PFAS aus der Umwelt zu entfernen. Dabei verteufelt die Inderin PFAS gar nicht. Sie kritisiert zwar die Anwendung für Mascara und Teppiche, sieht aber auch, dass PFAS für bestimmte Produkte wie Halbleiterchips sehr wichtig sind. «Ohne PFAS in Pestiziden wird es nicht möglich sein, den Hunger auf der Welt zu beenden», nennt sie ein weiteres Beispiel. «Aber: Die Produzenten sollten zumindest dafür sorgen, dass das Wasser dadurch nicht kontaminiert wird. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein.» (aargauerzeitung.ch)