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Ukraine: Nationalrat anerkennt Holodomor als Akt von Völkermord

Nationalrat anerkennt Holodomor in Ukraine als Akt von Völkermord – SVP dagegen

24.09.2024, 09:4824.09.2024, 09:48
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Der vom Sowjetregime unter Josef Stalin zu verantwortende Hungertod von mehreren Millionen Menschen vor rund 90 Jahren ist ein Akt von Völkermord. So steht es in einer Erklärung, die der Nationalrat am Dienstag mit klarem Mehr gutgeheissen hat.

Beantragt und formuliert hatte die Erklärung die Mehrheit der Aussenpolitischen Kommission (APK-N). Der Rat nahm sie mit 123 zu 58 Stimmen und mit sieben Enthaltungen an, gegen den Willen der SVP. Sie wird nun über das diplomatische Netzwerk des Aussendepartements verbreitet.

Gemäss der Erklärung anerkennt der Nationalrat den Opfern den Holodomor als einen Akt von Völkermord. Gemäss dem Text starben während der Hungersnot in den Jahren 1932 und 1933 in der Ukraine vier Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer, rund zwei Millionen Kasachinnen und Kasachen und hunderttausende Russinnen und Russen.

«Grossflächig und gezielt»

Im Text heisst es weiter:

«Der Nationalrat anerkennt nachweislich systematische Handlungen, welche grossflächig und gezielt zum Hungertod führen und in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören, als einen Akt von Völkermord.»

Der grossen Hungersnot – eine Folge der vom sowjetischen Machthaber Stalin angeordneten Kollektivierung der Landwirtschaft – fielen mehrere Millionen Menschen zum Opfer. Stalin liess massenhaft Getreide, Vieh und Lebensmittel in der Ukraine konfiszieren und entzog den Menschen damit Nahrungsmittel.

Die Mehrheit der APK-N wollte mit der Erklärung ein symbolisches Zeichen setzen, dass des Holodomor gedacht werde, wie Sprecherin Christine Badertscher (Grüne/BE) sagte. Die SVP lehnte die Erklärung mit einem Minderheitsantrag ab.

epa10994775 People place candles before the 'Bitter Memory of Childhood' statue by Petro Drozdowsky at the Holodomor Genocide complex of the National Museum in Kyiv, Ukraine, 25 November 202 ...
In Kiew wird des Holodomor gedacht, 25. November 2023.Bild: keystone

Aufgabe von internationalen Gerichten

Die Anerkennung des Holodomor als Völkermord sei nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 auf die politische Agenda gesetzt worden, sagte Sprecherin Monika Rüegger (SVP/OW) dazu. Dass nicht nur Ukrainerinnen und Ukrainer von der Hungersnot betroffen gewesen seien, werde dabei ausgeblendet.

Die Bewertung des Begriffs Völkermord obliege internationalen Gerichten mit entsprechendem Mandat, so Rüegger. «Die Schweiz entscheidet nicht über Völkermord und soll sich nicht instrumentalisieren lassen.»

Bislang haben Parlamente in mehreren Ländern den Holodomor als Völkermord anerkannt, darunter in Deutschland, Frankreich, Polen, den baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland und auch das EU-Parlament.

Der National- und der Ständerat können zu wichtigen Ereignissen oder Problemen eine Erklärung abgeben. Diese kann die Innen- und auch die Aussenpolitik betreffen. Die Erklärung angestossen hatte die ehemalige Berner Nationalrätin Natalie Imboden (Grüne) mit einem inzwischen zurückgezogenen Postulat. (rbu/sda)

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35 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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AlfredoGermont
24.09.2024 09:27registriert März 2022
Die SVP getraut sich nicht mal mehr, Stalin zu kritisieren aus Angst sie könnten ihre ruzzischen Freunde verärgern…
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CSD
24.09.2024 10:05registriert August 2015
Ich bin ja sehr gegen die vereinfachte Einteilung der Welt in “die Guten“ und “die Bösen“. Wenn ich aber jeweils über die Entscheide und Aussagen der SVP als Partei und deren Mitglieder lese, entspricht das doch öfter dem, was ein klassischer Bösewicht machen würde.
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Lou Disastro
24.09.2024 10:31registriert August 2020
Die SVP hat Mühe damit, die systematische Kollektivierung der Landwirtschaft eines kommunistischen Regimes zur gezielten Verhungerung von Völkergruppen die nicht kompatibel sein wollten, als Völkermord zu bezeichnen? Und das steht also auf einer politischen Agenda? Ich habe langsam das Gefühl, die SVP-Politiker stehen auf der Lohnliste des Kremls und haben in ihrer gebückten Haltung ihren Allerwertesten weit aufgesperrt in Richtung Osten für noch mehr Gelder. Und das ist dann eben auch keine neutrale Haltung mehr.
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