Seit vielen Jahren kämpfen zivilgesellschaftliche Organisationen, Parteien und Gewerkschaften für die Einführung einer Elternzeit in der Schweiz. Doch viele nationale Vorstösse wurden mal mit mehr, mal mit weniger Getose wieder versenkt. Erst die Zustimmung für zwei Wochen Vaterschaftsurlaub vor eineinhalb Jahren markierte für die Linken einen ersten, wenn auch kleinen Meilenstein.
Sogleich wurden weitere Elternzeit-Initiativen angekündigt. Doch jetzt verlagerten die Sozialdemokraten ihren Kampf auf die Kantone. In Zürich, Bern und Luzern lancierten sie kantonale Initiativen. In Genf und Basel-Stadt forderte die SP eine Elternzeit im Parlament. Ihr Credo war: Die progressiven Kantone müssen als Pioniere vorangehen, damit das Projekt auch auf nationaler Ebene eine Chance bekommt.
Am Sonntag wurde in Zürich nun zum ersten Mal über eine kantonale Elternzeit-Initiative abgestimmt. Je 18 Wochen bezahlten Urlaub für Mamis und Papis hatte die SP gefordert. Sie erhoffte sich ein Resultat mit Signalwirkung. Doch 65 Prozent der stimmberechtigten Zürcherinnen und Zürcher lehnten die Vorlage ab. Nur die Stadt Zürich sagte als einzige Gemeinde mit bescheidenen 53 Prozent Ja.
Für die Bürgerlichen ist das Thema damit vorerst mal vom Tisch, wie verschiedene SVP und FDP-Exponenten am Sonntag durchblicken liessen. Nicht aber für die SP, die Grünen und die GLP. Tanja Bauer, Präsidentin des Initiativkomitees für eine kantonale Elternzeit in Bern, sagt: «Sozialpolitischer Fortschritt braucht in der Schweiz immer viele Anläufe. Das sahen wir beim Frauenstimmrecht oder bei der Mutterschaftsversicherung.» Gerade diese Vorlagen seien ebenfalls zuerst kantonal eingeführt worden, bevor die Schweizer Stimmberechtigten einer landesweiten Lösung zustimmten.
«Es ist wichtig, dass wir uns in den Kantonen engagieren und vorwärtsmachen», sagt Bauer, die für die SP im Berner Grossrat sitzt. Anders als in Zürich mit 36 Wochen schlägt die Berner Initiative zusätzlich zu den 14 Wochen Mutterschaftsurlaub und den 2 Wochen Vaterschaftsurlaub eine zusätzliche Elternzeit von insgesamt 24 Wochen vor. Davon sind je sechs Wochen für jeden Elternteil reserviert, die restlichen 12 Wochen sollen sie sich frei aufteilen können.
Nun sei wichtig, dass sich das Komitee weiter verbreitert. «Wir wollen möglichst viele Unterstützerinnen aus möglichst vielen Parteien ins Boot holen», so Bauer. Es müsse klar werden, dass es sich bei der Elternzeit um ein gesamtgesellschaftliches Anliegen handelt. «Wenn dadurch Frauen vermehrt im Arbeitsmarkt verbleiben, kommt das gerade in Zeiten des Personalmangels allen zugute. Insbesondere auch der Wirtschaft.» Die Berner Initiative wurde Ende April 2021 eingereicht. Bauer rechnet damit, dass sie innerhalb der nächsten eineinhalb Jahren an die Urne kommt.
Auch für die GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy gehört die Elternzeit nach dem Flop in Zürich noch lange nicht beerdigt. «Das Resultat vom Sonntag ist für mich kein Grundsatzentscheid gegen eine Elternzeit. Vor allem nicht gegen eine arbeitsmarktfreundliche, paritätische», sagt sie. Verschiedene Faktoren hätten zu einer schwierigen Ausgangslage geführt.
Partei-Initiativen hätten es an der Urne immer schwer. Auch die klein geführte Kampagne habe nicht geholfen. «Und die zahlreichen Vorlagen aus dem eher linken Spektrum haben in Zürich am Wochenende hauptsächlich bei der Gegnerschaft mobilisiert», vermutet Bertschy.
Vom Scheitern in Zürich könne man lernen. So seien vorgängig die Vorteile des paritätischen Elternzeitmodells kaum thematisiert worden. Laut Bertschy ist dieses Modell das geeignetste, um den Wiedereinstieg von Frauen in den Arbeitsmarkt zu erleichtern. «Und das ist nicht nur ein linkes Thema. Das ist vor allem auch gesamtwirtschaftlich interessant.» Nun brauche es eine nationale Lösung und eine gute Kampagne, dann habe das Thema Elternzeit durchaus noch eine Chance.
Nebst verschiedenen kantonalen Bemühungen in der Deutschschweiz, werden auch in der Romandie verschiedene Elternzeit-Modelle diskutiert. In den Kantonen Waadt und Neuenburg gilt bereits ein Vaterschaftsurlaub von vier Wochen. In Genf fordert eine Allianz von SP, Grünen und anderen linken Gruppen eine Elternzeit von 18 Wochen pro Elternteil. Dem Parlament liegt ein entsprechender Gesetzesentwurf vor.
Für den Demokratie-Aktivisten Daniel Graf ist die Debatte um die Elternzeit nach wie vor eine, die national geführt werden muss, nicht kantonal. Die Stiftung für direkte Demokratie, die Graf mitgegründet hat, unterstützt die Unterschriftensammlung für eine Elternzeit-Initative. «Ich bin weiterhin zuversichtlich, diese in einem Jahr lancieren zu können», sagt er. Welches Modell dabei zum Zuge kommen werde, sei im Detail noch nicht klar.
Eine Auszeit für alle nicht nur für wenige.
Da profitieren wenigstens alle, nicht nur Familien…